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Wohnungsbesichtigung undercoverMietendeckel? Hält sich keiner dran

Um den Mietendeckel zu umgehen, lassen sich Vermieter viel einfallen. Ein Nutzungsvertrag statt eines Mietvertrages? Schauen wir es uns an.

Wohnungsbesichtigung (Symbolbild) Foto: dpa

Berlin taz | Am Dienstagvormittag setzt der freie Autor Tom Kraftwerk einen Tweet ab: „Hab morgen ne Wohnungsbesichtigung und wurde eben telefonisch darauf hingewiesen, dass kein Mietvertrag, sondern ein ‚Nutzungsvertrag‘ vergeben wird, um den Mietendeckel zu umgehen. So viel zur Umsetzung.“

Einen Tag und mehr als 5.000 Likes später, stehen Tom und sein neuer Bekannter, also ich – für diese Besichtigung aber Henri, der Startup-Mitarbeiter – vor einem Haus in der Agnes-Wabnitz-Straße 6, einem Neubauviertel an der Landsberger Allee, südöstlichster Zipfel von Prenzlauer Berg. Hier also liegt sie, unsere „charmante und grosszügige Dreizimmerwohnung“. Kaltmietpreis 1.395 Euro.

Der Makler wartet bereits rauchend vor dem grauen, irgendwie gesichtslosen Viergeschosser, der im Prospekt als „Stadtjuwel mit Metropolen-Flair“ beschrieben ist. Der etwa 50-Jährige mit dem bodenständig-karierten Hemd stellt sich vor, in diesem Text soll er Herr Schuster heißen. Er braucht keine Minute, die Zigarette glüht noch, um auf den Nutzungsvertrag zu kommen: „Das machen wir einfach, um den Mietendeckel zu umgehen. Streng genommen könnte sie ja nur 1.000 Euro kosten.“ Wir nicken. Er hat es ja so gesagt, als wäre es auch in unserem Interesse.

Wirklich streng genommen dürfte die Wohnung nach dem seit Mitte Februar gültigen Mietendeckelgesetz kalt 1.095 Euro kosten: 9,80 Euro als Höchstwert bei einer 2009 fertiggestellten Wohnung, plus einen Euro für die gute Ausstattung mal 101 Quadratmeter. Angeboten wird sie uns für 300 Euro mehr. Hinzu kommen verpflichtende 140 Euro für den Tiefgaragenstellplatz. Tom hat immerhin ein Motorrad.

Ich habe nur den Hinweis eines bekannten Juristen, der mir zuvor schrieb: „Jeder Mietvertrag ist von rechts wegen ein Nutzungsvertrag.“ Den Mietendeckel umgehen, weil man es nicht Mietvertrag nennt, sei unmöglich: „Ein vollkommen hilfloser, untauglicher Umgehungsversuch.“ Man könnte also einfach einziehen und nur die Mietendeckel-Miete überweisen.

Ein Traum von einer Wohnung

Herr Schuster bläst den Rauch in die Luft, wir folgen ihm ins Haus, erste Etage rechts. Beim Blick in die großen, sonnendurchfluteten Räume, auf die Einbauküche, das Parkett und die bodentiefen Fenster könnte man sich fast knauserig vorkommen. Klar, dass so ein Traum nicht für die sozialistisch festgesetzte Fünf-Jahres-Plan-Miete vergeben wird.

Da kann man als Mieter auch in Kauf nehmen, dass es sich um einen befristeten Sieben-Jahresvertrag handelt. „Und danach?“, will ich wissen: „Dann wird die Wohnung wahrscheinlich verkauft“, sagt Herr Schuster. Aber sie sei wirklich ein „faires Angebot“. Ich denke darüber nach, dass Tom und ich je unser eigenes Badezimmer hätten. Wollen wir es vielleicht zusammen versuchen?

Eigentlich ist diese Wohnung nicht für Mieter gebaut worden. Schon in der Bauphase war das Projekt als „Anlageimmobilie“ gelistet; die Eigentumswohnungen wurden paketweise verkauft. Unser Eigentümer, der Auftraggeber von Herrn Schuster, hat hier 15 Wohnungen. Gegenüber habe er gerade eine vermietet, also zur Nutzung überlassen, erzählt Herr Schuster. Ob ein Nutzungsvertrag irgendwie von Nachteil für uns wäre, will Tom wissen. „Na, es gibt dann nicht so einen tollen Schutz vor Zwangsräumung, wenn der Eigentümer pleite geht“, sagt Herr Schuster. Na dann.

Keine Klagen gegen Deckel-Brecher

Herr Schuster erzählt uns noch, dass Mieter ja „klagen“ könnten – die Gänsefüßchen macht er mit seinen Fingern –, wenn eine Miete über den Mietendeckel-Oberwerten liege. Aber das mache keiner, im Gegenteil, es liefen ja die Klagen gegen den Deckel. „Experten sagen, er wird im Sommer gekippt.“

Bei einem Blick in den Keller – „den könnten wir untervermieten“, sagt Tom – treffen wir auch das nachfolgende Interessentenpaar. Vielleicht hat Herr Schuster mit ihnen mehr Glück.

Tom wird sein Glück woanders suchen. Einziehen und die Miete einfach auf den gültigen Höchstwert drücken, will er nicht: „Ich habe keine Nerven für einen Rechtsstreit vom ersten Tag an“, sagt er. 15 Wohnungen habe er schon gesehen, zu noch mehr Angeboten seine Bewerbungsunterlagen geschickt. Der Mietendeckel sei „lieb gemeint“, helfe ihm in der Praxis aber nicht. Anderswo legten Vermieter gleich zwei Verträge vor, einen rechtskonformen und einen mit der tatsächlichen Miete. Frustrierend.

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14 Kommentare

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  • Ach so. Dann hilft nur Enteignung durch Hausbesetzung.

    • @nzuli sana:

      Klar, wenn Sie jetzt in meiner Wohnung wohnen, dann haben wir nach diesem Vorgang ... äh... wieviel Wohnungen mehr?

  • Die Vorgehensweise mit der höheren Miete für den Fall der verfassungswidrigkeit des Mietendeckels hat das Verfassungsgericht doch ausdrücklich so empfohlen.

  • Ach nein, wie dumm von mir...

    Früher musste man ja nur einen Antrag stellen, nicht dutzende.

  • "15 Wohnungen habe er schon gesehen, zu noch mehr Angeboten seine Bewerbungsunterlagen geschickt."

    Wow, entweder ist der Mann sehr wählerisch oder die Vermieter sehr wählerisch.



    Oder er recherchiert einfach nur für ein Buch?

    Muss man sich in Berlin schriftlich um eine Wohnung bewerben??? Wie früher? :P

    • @Fabian Wetzel:

      Wie lange ist es her, dass Sie eine Mietwohnung gesucht haben? Wenn man nicht gerade steinreich ist, vielleicht sogar nur einen zeitlich befristeten Arbeitsvertrag hat, dann geht es sehr schnell, dass man sich sehr viele Wohnungen anschaut und meistens eine Absage bekommt.

      • @IchKannAuchLesen:

        Hm. Naja ich muss zugeben, es ist circa 7 Jahre her.

        Aber unabhängig davon erfährt man doch für gewöhnlich auch ohne Besichtigung einiges über eine Wohnung. Ich war nur verblüfft darüber, dass er tatsächlich 15 Wohnungen selber besichtigt hat. Und keine hat ihm gefallen / hat er bekommen.

        So Sachen wie Einkommen und bla kann man ja auch ohne Besichtigung klären.

        Ich sehe meine Frage also derart beantwortet, dass die Vermieter sehr wählerisch sind in Berlin.

  • Tja. Bleibt wohl bei [1]. Wer nicht hören will muss fühlen.

    [1] www.dwenteignen.de/

    • @tomás zerolo:

      Irgendjemand hat ja mal Geld in die Hand genommen und diese Wohnung errichtet. Warum sollte er sie jetzt anderen gratis überlassen?



      Die Mehrzahl der Vermieter sind Privatleute.



      Grundsätzlich kann übrigens auch jeder selbst sparen und sich eine Wohnung zulegen. Kredite werden einem von den Banken gerade hinterhergeworfen.

      • @La Bahia:

        Strohmann.

        Mein Link zeigt auf "Deutsche Wohnen & Co enteignen", nicht auf "Lieschen Müller & Co enteignen".

        Es geht nicht darum, dass es kein Wohneigentum geben soll. Auch nicht darum, dass WohnungseigentümerInnen nicht eine angemessene Miete zusteht.

        Sondern darum, dass die Mieten in den letzten 20 Jahren überproportional angestiegen sind und gerade die Schwächeren über Gebühr belasten.

        • @tomás zerolo:

          Der Strohmann ist ja wohl eher, bei einem Privatvermieter wie hier im Beispiel auf DW enteignen zu verlinken.

          Wo der Autor sogar selber schreibt, dass eine höhere Miete durchaus angemessen ist.

    • @tomás zerolo:

      Enteignung ändert vielleicht die Besitz- und Eigentumsverhältnisse, beseitigt leider keinen Mangel. Wenn der Bäcker in Hungersnotzeiten sein Brot von Staats wegen gratis abgeben muß, sind zwar die ersten Empfänger von Brot very happy, aber wenn der Bäcker kurze Zeit später pleitegeht, gibt es gar kein Brot mehr. Dieser Zusammenhang überfordert einige dann doch schon. Um einen Wohnungsbauunternehmer dazu zu bringen, Wohnugen zu bauen, muß man ihm das Preissignal geben, daß es sich für ihn lohnt. Als Nebenergebnis gibt es dann aber auch mehr Wohungen für alle. Alle diese Zwangsbewirtschaftungen funktionieren nicht.

      • @Thomas Schöffel:

        "Enteignung ändert vielleicht die Besitz- und Eigentumsverhältnisse, beseitigt leider keinen Mangel" (Thomas Schöffel).

        "Alle Verallgemeinerungen sind doof" (alter Kung-Fu-Meister).

        Es geht hier nicht um Enteignungen-an-und-für-sich-in-ihrer-grundlegend-reinen-philosophischen-Form.

        Es geht um die Situation hier und jetzt, in der

        - der Wert von Grund und Boden in den letzten Jahrzehnten überproportional gestiegen ist



        - die Mietpreise dementsprechend, und somit stellen sie einen zunehmenden Aderlass der produktiven Wirtschaft



        - die Immobilienkonzerne sich nicht als verantwortungsvolle soziale Akteure (ha, ha) gerieren, sondern jeden Trick [1] ausnutzen, um sich um ihre soziale Verantwortung zu drücken (Tricks, die sie über ihre Lobbies den PolitikerInnen ins Ohr geflüstert haben).

        In diesem -- und genau in diesem Kontext halte ich es für meine soziale Verantwortung maximalen Druck auf diese Akteure auszuüben: Gegenlobby, soziale Ächtung, was auch immer legal geht.

        Ich halte nichts davon, Autos abzufackeln oder Fensterscheiben einzuschlagen. Noch weniger davon, Menschen zu bedrohen oder ihnen Gewalt anzutun. Aber jedes andere, friedliche Mittel scheint mir angebracht.

        [1] www.berliner-https...ntgehen-121616.htm

      • @Thomas Schöffel:

        Stimmt. Allerdings ist die Frage, ab welcher Gewinnhöhe das Kriterium des "sich lohnens" erfüllt sein sollte.