Berlin im Zeichen von Corona: Meine Lieben, meine Lämmchen!

Zeiten wie diese sind eine gute Gelegenheit, sich nach neuen Formen des Ausdrucks von Zuneigung, Freundschaft und Anteilnahme umzusehen.

Distanz halten, aber mit Worten liebkosen Foto: dpa

Wer diese Tage zu Hause verbringt und mit seinen Lieben – also denen, die nicht in derselben Wohnung wohnen – nur noch über digitale Medien beziehungsweise soziale Netzwerke verkehrt, hat es gut: Die bieten mit Emojis, Memes, GIFs oder Stickern abertausend Möglichkeiten, Zuneigung, Sehnsucht, Zärtlichkeit, Liebe zu versenden – zuckersüße Candy Storms.

Was ist aber mit denen, die noch auf die Straße und zur Arbeit müssen, die Menschen, Freunde, Nachbarn, Kolleg*innen treffen, die nicht mehr umarmt, geküsst, geherzt werden dürfen? Ja, nicht einmal die Hand darf man ihnen jetzt noch geben – Kälte, Abstand, soziale Distanz zieht so in unsere Leben ein.

Eine gute Gelegenheit, sich nach neuen Formen des Ausdrucks von Zuneigung, Freundschaft und Anteilnahme umzusehen – und dafür von Einwander*innen zu lernen. Sofern Sie weder die türkische noch die arabische oder persische Sprache beherrschen, ist Ihnen vielleicht noch nie aufgefallen, dass Menschen mit diesen Mutter- oder Zweitsprachen einander eigentlich ständig mit Worten liebkosen.

Und das in passgenau zugeschnittenen Abstufungen, fein abgestimmt auf den Wärmegrad der Bekanntschaft – angefangen mit einer kleinen Verniedlichungsform am Ende des Vornamens, entsprechend etwa dem deutschen „-chen“, über wohlgemeinte Verwandtschaftszuschreibungen (die altersangepasst auch für völlig Fremde benutzt werden können, bekannt ist das türkische „großer Bruder“, kurz „abi“) bis hin zu dem Bekannten- und Freundeskreis vorbehaltenen Koseworten, die von „meine Schöne“, „meine Seele“, „mein Leben“, „mein Lämmchen“ bis zu „mein Einziges“ reichen.

Nun ist es vielleicht nicht überall angesagt, den Chef, selbst wenn man ihn duzt, künftig einfach Bertchen, Onkel oder gar Lämmchen zu nennen. Auch möchte Ihr Postbote vielleicht kein Postbötchen sein. Es gilt also, eigene, neue Formen verbaler Freundlichkeit zu entwickeln, oder – das sei denen gesagt, die jetzt meinen, das Deutsche sei dafür doch generell zu kalt – alte wiederzuentdecken. „Mein Freund“ – „Meine Liebe“ – „Verehrtester“ – Hoch geschätzteR“, solche Anreden klingen zwar altmodisch, aber es haben ja schon ganz andere und viel weniger schöne Dinge Revivals erlebt, etwa Bärte, Schlaghosen oder Lavalampen.

Warum also nicht mal freundliche Umgangsformen? Ich habe mich bei meinem ersten Job im Kreise türkeistämmiger Kolleginnen schnell und gern daran gewöhnt, „Zucker“, „Süße“ oder schlicht „Mein Ein und Alles“ gerufen zu werden.

Warnhinweis: Die wortwörtliche Übersetzung allzu spezieller verbaler Liebkosungen kann zu unerwünschten Missverständnissen führen. Ein „Du linke Ecke meiner Leber“ etwa erschließt sich nur den anatomisch Eingeweihten. Und Vorsicht: Auch vom herübergepusteten Kuss ist in diesen Zeiten abzuraten.

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