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Umgang mit Geflüchteten in CoronakrisePortugal macht's besser

Christian Jakob
Kommentar von Christian Jakob

Corona macht sichtbar, wie sehr wir Migration brauchen. Und auch, dass eine Politik, die sie nicht dämonisiert, es schafft, dass alle was davon haben.

Ohne – oft migrantische – Erntehlfer, sieht es in Deutschland ganz schön blöd aus Foto: dpa

D ie Coronakrise zwingt vieles in den Blick, was sonst gern übersehen wird. Etwa, wie sehr unsere Gesellschaft von der Arbeit von MigrantInnen abhängig ist. Sei es in der Pflege, in der Landwirtschaft oder bei den Spediteuren: Die Lücken, die durch die geschlossenen Grenzen entstehen, sind riesig. Deutlicher als sonst zeigt sich auch, wie sehr Aufenthalts- und soziale Rechte zusammenhängen. Gastronomen, um nur ein Beispiel zu nennen, versuchen ihre überflüssig gewordenen Arbeitskräfte gerade massenhaft loszuwerden. Es wird deutlich, wann Migration hier akzeptiert wird: solange sie nützlich ist. Bundesagrarministerin Julia Klöckner will Asylbewerbern und Geduldeten ohne Arbeitserlaubnis eine solche erteilen lassen – aber natürlich „nicht generell“, sondern nur „zeitlich befristet“.

Dass es auch anders geht, zeigt Portugal: Die Regierung hat nun verkündet, dass angesichts der Corona-Epidemie wenigstens bis zum Sommer alle Geflüchteten im Land bleiben dürfen. Alle Ausländer bekommen bis Juli automatisch eine Aufenthaltserlaubnis und Zugang zu Sozial- und Gesundheitsleistungen – unabhängig davon, ob sie gerade auf dem Acker gebraucht werden oder nicht.

Es ist eine rationale und gleichzeitig solidarische Migrationspolitik in Zeiten der Krise. Die portugiesische Regierung hat dabei eine ähnliche Ausgangslage wie Deutschland: eine niedrige Geburtenrate und eine hohe Abhängigkeit, etwa in der der Landwirtschaft, von migrantischen ArbeiterInnen. Schon länger zeigt sich Lissabon auch deshalb offen für die Aufnahme von Flüchtlingen.

Gewiss, das kleine Land ist nicht für viele das erste Ziel. Die niedrige Zahl der Ankommenden macht es leichter, großzügig zu sein. Trotz der Finanzkrise aber wurde Migration in Portugal in den vergangenen Jahren nicht so obsessiv als Problem verhandelt, wie es in Deutschland oft der Fall war. Das zahlt sich jetzt aus: Eine Politik, die Migration nicht dämonisiert, kann leichter so mit ihr umgehen, dass alle etwas davon haben.

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Christian Jakob
Reportage & Recherche
Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social
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12 Kommentare

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  • Was der Kommentar verschweigt sind die absoluten Zahlen der Migranten in Portugal, die Höhe der Staatsunterstützung (umgangssprachlich Steuergelder genannt) und die Zusammensetzung der Migranten nach Alter und Geschlecht.



    Und was dieser Kommentar schön zeigt sind die Manipulationsversuche, denn in Deutschland kommen die Erntehelfer aus Polen und Rumänien und arbeiten zumeist legal, während in Portugal (und in Spanien & Italien noch extremer) diese illegal arbeiten (müssen).

  • Wenn ich das richtig verstehe, will D. Asylbewerbern und Geduldeten ohne Arbeitserlaubnis eine solche zeitlich befristet erteilen lassen – und dass ist doof.

    Und Portugal hat nun verkündet, dass angesichts der Corona-Epidemie wenigstens bis zum Sommer alle Geflüchteten im Land bleiben dürfen, also auch befristet, und das ist was gaaanz anderes und damit toll?!

  • Bin gerade in Portugal. Hier haben ca 2/3 der Menschen im Ausland im Niedriglohnsektor gearbeitet. Ich bin gerne hier und erlebe selten so bescheidene und offene Menschen in anderen Ländern West- oder Zentraleuropas.



    Dass sie offen sind gegenüber Migranten, seien es nun Asylsuchende aufgrund von Krieg oder sogenannte "Wirtschaftsflüchtlinge" spielt für sie kaum eine Rolle. Sie können beides verstehen...

    • @Wiesner.G:

      Diese Erfahrung habe ich in Portugal auch immer wieder gemacht. Freundliche Menschen mit einem starken Realitätssinn.



      Das sind keine Spinner.

  • RS
    Ria Sauter

    Sie haben in Ihrem Beitrag selbst geschrieben, warum dies in Portugal möglich ist und akzeptiert wird.



    Es sind sehr wenig Menschen, die nach Portugal kommen und dort auch bleiben möchten.



    Das ist eine völlig andere Ausgangsposition und deshalb nicht vergleichbar.

  • 0G
    01767 (Profil gelöscht)

    Das Asylrecht und die gesteuerte Migration von Arbeitskräften sind zwei verschiedene Bereiche - bitte nicht schon wieder vermischen.

  • Ich verstehe nicht, was daran jetzt besser sein soll? Richtig sind jedenfalls zwei Tatsachen: Migration ist akzeptabel wenn sie nützlich ist und Portugal hat sehr viel weniger Fallzahlen.

    • @DiMa:

      Sie werden es nicht glauben, Migration ist sogar akzeptabel, wenn sie human ist, obwohl man an ihr nichts verdient. Das gilt natürlich nicht für Leute, die Migranten ausnutzen und z.B. für den Döner nicht mehr als 2,99 € zahlen wollen.

    • @DiMa:

      Portugal hat auch nur 10 Mio. Einwohner.

    • @DiMa:

      "Migration ist akzeptabel wenn sie nützlich ist"

      klingt nach AFDP

      • @danny schneider:

        Naja, unter welchem Gesichtspunkt wurde den das Fachkräfteeinwanderungsgesetz im Herbst 2019 beschlossen? Und das sicher nicht mit den Stimmen der AFD.

        Im Übrigen hat Herr Rath den Zusammenhang zwischen Akteptanz und Nützlichkeit ins Spiel gebracht.

        Die Akzeptanz von humanitärer Migration würde sicherlich wieder steigen, wenn die Fallzahlen insgesamt abnehmen, abgelehnte Asylbewerber das Land verlassen und Schutzsuchende nach Beendigung des Schutzgrundes wieder in ihre Heimat zurück kehren würden.

    • @DiMa:

      Hier werden nur Prinzipien geritten.

      Portugal hat so niedrige Sozialstandards, dass nur wenige Migranten allein deswegen kommen. Die meisten kommen eh, um zu arbeiten. Und dass diejenigen bleiben dürfen, liegt nah.