Positionspapier zu EU-Flüchtlingspolitik: Für einen echten „Neustart“

Deutsche Expert*innen fordern schnelle Hilfe für die Flüchtlinge in Griechenland. Langfristig müsse endlich eine EU-weite und faire Lösung her.

Mehrere Geflüchtete stehen mit Mundschutz im Hafen von Mytilene auf Lesbos.

Auf der Suche nach einer europäischen Lösung: Geflüchtete auf der griechischen Insel Lesbos Foto: Elias Marcou/reuters

BERLIN taz | Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration hat ein Positionspapier vorgelegt, das eine mögliche neue Flüchtlingspolitik für Europa skizziert. Im Text fordern die Experten unter anderem, die Situation auf den griechischen Inseln zu entschärfen, wo derzeit tausende Flüchtlinge unter schrecklichen Bedingungen leben müssen. Auch den Schutzsuchenden an der türkisch-griechischen Landgrenze müsse geholfen werden. Gleichzeitig geht es den Autor*innen des Papiers auch darum, dass weiter an einer EU-weiten, dauerhaften und fairen Lösung der Flüchtlingsproblematik gearbeitet wird.

Der Sachverständigenrat wurde 2008 von acht deutschen Stiftungen gegründet und forscht zu Migration und Integration. Geld bekommt der Rat für einzelne Projekte auch vom Bund und den Ländern. Hintergrund des jetzt veröffentlichten Positionspapiers ist das erklärte Ziel der Europäischen Kommission, demnächst einen „Pakt für Migration und Asyl“ vorzustellen. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach in diesem Zusammenhang 2019 von einem „Neustart“ in der europäischen Asyl- und Migrationspolitik.

Der Sachverständigenrat pocht dabei vor allem darauf, dass die Flüchtlinge an der türkisch-griechischen Grenze nach geltendem Recht behandelt werden und angemessen versorgt werden. Es müsse allen möglich sein, einen Asylantrag zu stellen.

In den letzten Wochen hatte sich die Situation für Flüchtlinge in Griechenland dramatisch verschäft, nachdem die Türkei ihre Grenzen zum Nachbarland geöffnet hatte. Die Regierung in Ankara versuchte auf diese Weise mutmaßlich Druck auf die EU auszuüben, um Unterstützung für die türkische Position im syrischen Bürgerkrieg zu gewinnen.

Ein neues Narrativ muss her

Griechenland reagierte unter anderem, indem es die Schutzsuchenden an seinen Grenzen mit Tränengas zurücktrieb und indem es das Asylrecht aussetzte. Am Montag zwang die Türkei die Flüchtlinge an der Grenze allerdings vorerst zurück ins Landesinnere – Grund ist wohl die Angst vor einer Verbreitung des Coronavirus unter ihnen.

Die Schutzbedürftigen in der Türkei seien zum „Spielball der politischen Interessen“ geworden, kritisiert der Sachverständigenrat in seinem Papier. Um die Situation zu ändern, bedürfe es nicht nur eines Einlenkens der griechischen Politik, sondern insbesondere auch politischer Verhandlungen mit der Türkei.

Die Zustände in den Camps auf den griechischen Inseln, insbesondere im inzwischen berüchtigten Lager Moria auf Lesbos, müssten schnell verbessert werden, heißt es weiter. Auch wegen der grassierenden Corona-Pandemie drohe dort sonst eine „humanitäre Katastrophe“.

Langfristig fordern die Expert*innen, dass die von der EU-Kommission geplante Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems eine dauerhafte Regelung bringe, bei der die Menschenrechte der Flüchtlinge geachtet werden. Zwar sei es grundsätzlich verständlich, dass die Politik versuche, Wanderungsbewegungen zu steuern. Dies dürfe aber nicht zulasten der Schutzsuchenden und ihrer Rechte gehen. In diesem Zusammenhang sei besonders die deutsche Bundesregierung gefordert, die in der zweiten Jahreshälfte die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen wird.

Die Reform müsse Regeln festschreiben, die Flüchtlinge „solidarisch zu verteilen, schnelle und faire Verfahren überall in der Union zu gewährleisten und ihre Verfahrensstandards und Schutzquoten mittelfristig anzugleichen“. Auch die staatliche Seenotrettung müsse wieder aufgenommen werden.

Schließlich fordern die Expertinnen des Sachverständigenrats, auch die regulären Migrationswege in die EU auszubauen. Zusätzlich könne über die Arbeits-, Sozial- und Gleichstellungspolitik der EU indirekt auch die Integration von Neuangekommenen in den Mitgliedstaaten verbessert werden, auch wenn die Hauptkompetenz hier weiterhin bei den nationalen Regierungen liegt. All das müsse außerdem von einem „neuen Narrativ begleitet werden, das die historische und zukünftige Bedeutung von Zuwanderung nach Europa unterstreicht“.

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