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Maßnahme gegen Corona-KriseWeniger Hürden für Hartz IV

Bisher galten beim Antrag auf Grundsicherung strenge Bemessungsgrenzen bei Vermögen. Das Corona-Sozialpaket sieht nun Erleichterungen vor.

Schläft gerade nicht so gut: die wegen der Krise arbeitslose Schauspielerin Anja Pahl Foto: Sebastian Wells/Ostkreuz

Berlin taz | Schlafen könne sie eigentlich nicht mehr, erzählt Anja Pahl. Die 44-Jährige ist Schauspielerin, genauso wie ihr Mann. Beide arbeiten freiberuflich, haben sich bislang erfolgreich von einem Engagement zum nächsten gehangelt und mit den beiden Kindern im Grundschulalter auskömmlich in Berlin gelebt. Doch die 1.400 Euro Miete für die 4-Zimmer-Wohnung werden sie nun vom Ersparten bestreiten müssen, genauso wie die Beiträge für die Krankenversicherung und alle Ausgaben im Supermarkt. „Bei uns sind alle Einkünfte weggebrochen, wir haben momentan überhaupt keine Chance zu arbeiten“, sagt Pahl.

Die Tour der Shakespeare Company, für die ihr Mann gebucht war, wurde abgesetzt, genauso wie das Stück an der Comödie in Dresden, für das Pahl selbst ab April engagiert wäre. Pahl weiß, dass es allen freiberuflichen KollegInnen ähnlich geht, egal ob sie vor, auf oder hinter der Bühne arbeiten. Sie hofft daher auf schnelle und unbürokratische Hilfe vom Staat. „Für Essen, Miete und Sozialversicherung.“

Hilfe ist in Aussicht. Am Montag hat das Kabinett beschlossen, den Zugang zu Hartz IV zu erleichtern. Davon könnten Hunderttausende Selbständige und GeringverdienerInnen profitieren. Rückwirkend ab dem 1. März können Leute ohne oder mit zu geringen Einkünften Hartz IV beantragen, ohne dass ihr Vermögen bei der Berechnung berücksichtigt wird. Nur „erhebliches Vermögen“ gilt als ein Ausschlussgrund, heißt es im Gesetzentwurf. Dabei will man sich auf die Selbstauskunft des Antragstellers verlassen.

Die laufenden Einkünfte und die Einkommensverhältnisse des Partners oder der Partnerin werden wie bisher beim Antrag mit einbezogen. Die Regelung gilt für Antragszeiträume zwischen dem 1. März und 30. Juni, bewilligt wird Hartz IV dann erst mal nur für ein halbes Jahr.

Bisher gelten beim Antrag auf die Grundsicherung strenge Freigrenzen bei den Vermögen. Zudem stellt die Frage der Angemessenheit der Wohnung immer wieder eine Hürde dar. Auch hier sieht das Sozialpaket Erleichterungen vor. Wer derzeit einen Neuantrag stellt, bei dem wird nicht mehr überprüft, ob die Miete der AntragstellerIn über einer Bemessungsgrenze liegt und daher als nicht mehr angemessen gilt. Die „tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung“ gelten ebenfalls „für die Dauer von sechs Monaten“ als angemessen, so der Gesetzentwurf.

„Es ist richtig, dass der Zugang zur Grundsicherung vereinfacht wird“, sagt der sozialpolitische Sprecher der Grünen, Sven Lehmann, der taz. Das werde zum Beispiel viele Soloselbstständige und Geringverdienende, die durch die Kurzarbeit unter das Existenzminimum fallen, betreffen. Bei den Maßnahmen gebe es aber eine Leerstelle, „das sind die Ärmsten, die jetzt schon im Regelsatzbezug sind und die höhere Kosten haben“, so Lehmann. „Mit den Schließungen der Schulen und Kitas und anderer Einrichtungen fallen die kostenlosen Essen weg, auch viele Tafeln haben geschlossen, das bringt die Leute in Bedrängnis.“ Die Grünen fordern einen höheren Regelsatz.

Linken-Chefin Katja Kipping spricht sich für einen sofortigen Aufschlag von 200 Euro auf den monatlichen Hartz-IV-Satz aus. „Der Ansatz ist richtig, aber es müsste noch viel mehr passieren“, sagt auch Harald Thomé, Berater beim Selbsthilfeverein Tacheles in Wuppertal. Der Verein fordert Einmalzahlungen für Hartz-IV-Bezieher in der Coronakrise wegen der Tafelschließungen und eine unbürokratische Bewilligung von Computern zum E-Learning für Familien im Hartz-IV-Bezug, da derzeit keine Schulen offen sind.

Nach Berechnungen aus dem Bundessozialministerium könnten bis zu 700.000 der 1,9 Millionen Soloselbstständigen und bis zu 300.000 der 1,6 Millionen Selbstständigen mit Angestellten für eine Antragstellung infrage kommen. Zusammen mit weiteren Anspruchsberechtigten wäre eine Größenordnung von 1,2 Millionen zusätzlichen Hartz-IV-Haushalten infolge der Coronakrise möglich, heißt es in dem Papier zum Sozialpaket. Bei sechs Monaten Leistungsbezug entspräche dies Mehrausgaben von rund 9,6 Milliarden Euro. Davon müssten der Bund 7,5 Milliarden Euro und die Kommunen 2,1 Milliarden Euro tragen.

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16 Kommentare

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  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Das Besondere am gegenwärtigen Gießkannenprinzip der bislang bekannten Massnahmen: Menschen, die z u k ü n f t i g von den Folgen des Coronavirus bedroht werden könnten, werden unterstützt. Löblich.

    Menschen, die bereits bedroht sind, nicht. Die bleiben sich - ohne Hilfen von Vater und Mutter Staat als Vollwaisen selbst überlassen. Weniger löblich.

    Darüber zu berichten, könnte sehr hilfreich sein. Ansonsten könnten Spötter schnell mit dem garstigen Vorwurf der "Hofberichtserstattung" kommen.

    Und das wollen wir doch alle nicht - oder?

    • 0G
      05158 (Profil gelöscht)
      @76530 (Profil gelöscht):

      Ich schließe mich sowas von an!



      Die"alten" Hartz 4rer die alles aufgebraucht haben finden das sicher nicht so gut.



      Ich bin kein Freund von Frau Kipping aber in dem Punkt -Zustimmung-!



      ....Linken-Chefin Katja Kipping spricht sich für einen sofortigen Aufschlag von 200 Euro auf den monatlichen Hartz-IV-Satz aus. ...

  • Es ist schon der Hammer, welche Krise es braucht um in die Köpfe der politischen Entscheider auch nur ein Minimum an Verstand einzuhauchen.



    Die gesamte New-Economy ertrinkt förmlich in Geld, die Immobilienfonts saugen sich voll wie Schwämme , die Banken sitzen auf Geldbergen dass sie aber nicht verleihen und die Großindustrie labt sich förmlich am Kapital.



    Die Politik aber gängelt und schikaniert das Volk wo sie kann.

  • Ein Hartz-IV PLUS für den politisch korrekten Mittelstand? Helikoptergeld für Freiberufler? Die Privilegien aus der Künstler- und Sozialkasse noch aufstocken?

    So viel Mitleid wünscht sich manch „Hartzer“ in normalen Zeiten.

    Statt Geld an Privatpersonen zu verteilen, sollte dafür gesorgt sein, dass „nach der Krise“ wieder Arbeitsmöglichkeiten bestehen - somit lieber Geld in Firmen und Unternehmen, die überleben sollen.

    • @TazTiz:

      "Statt Geld an Privatpersonen zu verteilen, sollte dafür gesorgt sein, dass „nach der Krise“ wieder Arbeitsmöglichkeiten bestehen - somit lieber Geld in Firmen und Unternehmen, die überleben sollen."

      Die Meisten dieser Privatpersonen arbeiten hart. Ein 8-Stundentag ist für sie eine Sache, von der sie ab und zu mal träumen. Und sehr viele sind finanziell am Ende, wenn die Einnahmen plötzlich ausbleiben.

      Wenn es da keine Hilfe gibt, klafft in unserer Wirtschaft ein riesiges Loch. Dann fehlen nicht nur Künstler, sondern auch jedes Menge Ingenieure, Postboten, Lokführer und und und...

  • Bei jedem regulären ALG II-Erstantrag werden in den ersten sechs Monaten die kompletten Mietkosten anerkannt. In der Zeit hat man dann Zeit, sich eine neue Unterkunft zu suchen oder die "nicht angemessene" günstiger zu machen, durch Verhandeln mit dem Vermieter (haha!) oder Untervermietung.

    Dieser Punkt ist also nicht neu.

    • Barbara Dribbusch , Autorin des Artikels, Redakteurin für Soziales
      @Hanne:

      Durch das Corona-Sozialpaket werden in den ersten sechs Monaten die Mietkosten voll anerkannt, dies wird laut Gesetzentwurf nicht angerechnet auf den Folgeantrag. Das würde bedeuten, man hat gewissermaßen dann zwölf Monate volle Mietübernahme.

      • @Barbara Dribbusch:

        Hallo Frau Dribbusch, wissen Sie ob den ALG II-Erstantrag auch gilt wenn man vor ein paar Jahren ALG II schon erhalten hat, und möchte dann jetzt wegen die Corona Krise bzw. Kurzarbeitergeld aufstocken?

      • @Barbara Dribbusch:

        @Dribbusch "...zwölf Monate volle Mietübernahme"...bei gegenwärtigen "Corona-Verhältnissen. Das finde ich als Erwerbsloser völlig richtig. Das ist eine (mit-)entscheidende Hilfe für die Existenzsicherung. Es macht keinen Sinn, die Wirkung der Ausgangsbeschränkungen zu mindern, indem man Leute auf Wohnungssuche schickt. Soweit mir bekannt, wird derzeit für alle H4-Empfänger die Prüfung der Angemessenheit der Unterkunft ausgesetzt. Die Angemessenheit wird als gegeben vorausgesetzt. Finde ich ebenfalls schon im oben genannten Sinn richtig. Vorausdenken bedeutet ja nicht, die Aktuhilfen als solche "abzuwerten".

        • @Moon:

          Ich muss mich entschuldigen. Mein Beitrag ist missverständlich. Man kann ihn so verstehen, dass Frau Dribbusch in Bezug in ihrem Artikel "Akuthilfen" u. ä. "abwertet". Das sehe ich gar nicht. Der Artikel ist da eindeutig. Mir kommt es auch auf die Frage an: Was lernt man nach der Corona-Zeit in Bezug auf H4?

      • @Barbara Dribbusch:

        @Dribbusch "...zwölf Monate volle Mietübernahme"...bei gegenwärtigen "Corona-Verhältnissen. Das finde ich als Erwerbsloser völlig richtig. Das ist eine (mit-)entscheidende Hilfe für die Existenzsicherung. Es macht keinen Sinn, die Wirkung der Ausgangsbeschränkungen zu mindern, indem man Leute auf Wohnungssuche schickt. Soweit mir bekannt, wird derzeit für alle H4-Empfänger die Prüfung der Angemessenheit der Unterkunft ausgesetzt. Die Angemessenheit wird als gegeben vorausgesetzt. Finde ich ebenfalls schon im oben genannten Sinn richtig. Vorausdenken bedeutet ja nicht, die Aktuhilfen als solche "abzuwerten".

  • Ist schon krass, daß wir ein Coronvirus brauchen, um leichter an Hartz IV Hilfen zu kommen. Diejenigen die bereits leicht an Hartz IV Hilfe kommen, benötigen jetzt das Coronavirus, um noch leichter an Hartz IV Hilfen zu kommen.

    • @Picard:

      Das ist richtig. Durch die Krise sollen wirtschaftliche Existenzen geschützt werden. Hartz IVer haben und hatten durch Corona nichts zu verlieren. Die Mieten, Stromkosten, Heizung, Lebensunterhaltskosten etc. insgesamt waren vor, während und aller Vorausicht nach auch nach der Krise gesichert. Warum mal wieder die Linken Cheffin einen 200,-- EUR Zuschlag im Zusammenhang der Krise fordert, weiß keiner so genau. Aber wenn schon mal Gelder verteilt werden, dürfen Hartz VIer nicht fehlen... Hier geht es darum, Familien und Firmen durch die die zahlreichen Schließungen zu unterstützen, um zukünftige Steuerzahler und Arbeitgeber vor der Insolvenz zu schützen.

      • 0G
        05158 (Profil gelöscht)
        @Magumpus:

        ... Hartz IVer haben und hatten durch Corona nichts zu verlieren. ...



        Was für ein Satz!



        Ich will jetzt gar nicht die Auflistung machen ,warum der Inhalt mit einer Fäkalie verglichen werden kann .



        Getreu dem Motto, Gott sei Dank gibt es immer noch jemanden der Bescheidener dran ist. Hebt das eigene Selbstwertgefühl!

      • @Magumpus:

        Sie finden es normal, dass man davon ausgeht, dass Menschen dir Hartz IV beziehen sich ihr Essen bei Tafeln holen müssen oder die Kinder von kostenlosen Mittagessen an der Schule abhängig sind? Für diese wegfallenden Leistungen sollen die 200€ mehr sein. Das ist in dem Artikel sehr genau beschrieben . Nebenher würde es allen Helfen, die so plötzlich von normalem Lohn zu Nichts und Hartz IV wechseln müssen, wenn der Hartz IV Satz nicht weiterhin unterirdisch tief liegt. Ansonsten werden wir danach wieder nach dem Motto " seien Sie froh, dass sie überhaupt wider einen Job bekommen" so viele schlecht bezahlte Jobs haben, da werden die Krankenpfleger meinen, sie würden viel verdienen im Vergleich.

    • @Picard:

      "Diejenigen die bereits leicht an Hartz IV Hilfe kommen, benötigen jetzt das Coronavirus, um noch leichter an Hartz IV Hilfen zu kommen."

      Was bitte ist damit gemeint?