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In der Corona-KriseWenn nur eigene Sorgen zählen

Christian Jakob
Kommentar von Christian Jakob

Wir feiern Skype-Partys, für die Wirtschaft soll es Milliardenhilfen geben, Supermärkte bleiben voll. Doch Geflüchtete in Lagern lassen wir sterben.

Kinder im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos Foto: Elias Marcou/reuters

E s ist untergegangen, wie auch nicht, in all den Nachrichten dieser Tage: Sehr viel weist darauf hin, dass griechische Polizisten in den letzten Wochen mehrere Menschen an der Grenze zur Türkei getötet haben. Es ist nur eine Facette einer flächendeckenden Entrechtung von Flüchtlingen in Griechenland in diesen Wochen.

Und die EU? Sie müsste ihr eigenes Recht durchzusetzen, das die Flüchtlinge schützen soll. Doch ein Verfahren gegen Griechenland wird es nicht geben. Man sei sich „der schwierigen Situation“ auf den Inseln bewusst und versuche sie zu bessern, hieß es dazu nur am Donnerstag aus Brüssel. Denn wir haben jetzt eigene Sorgen.

Viele Menschen hierzulande fragen sich, wie sie die soziale Isolation aushalten sollen. Sie sorgen sich um ihre älteren Verwandten oder um ihre wirtschaftliche Existenz, oft nicht zu Unrecht. Und trotzdem: Was wir hier erleben, ist ein Ausnahmezustand de luxe. Es gibt Gra­tis­kon­zerte im Internet und Sondersendungen mit der Maus für die Kinder. Wir feiern Skype-Partys, der Staat hat eine Art Garantie für volle Supermarktregale ausgesprochen. Es wird Milliardenhilfen für die Wirtschaft geben, auch wenn noch nicht ausgemacht ist, wer letztlich etwas von diesen haben wird.

Es geht auch anders. Während hier leere Hallen und Hotels als Notfallkrankenhäuser aufgebaut werden, betreibt das Gesundheitsministerium von Griechenland im Lager von Moria auf Lesbos eine Krankenstation mit zwei Ärzten und einem Psychologen pro Schicht – für über 20.000 Menschen.

Abstand sollen wir hier halten voneinander, zwei Meter am besten. Und in Moria teilen sich teils fünfzehn Menschen ein Zelt, das aus ein paar löchrigen Planen besteht. Hände waschen sollen wir, dreißig Sekunden lang, und ordentlich einseifen. In den Lagern in Griechenland gibt es oft nicht einmal genug Wasser zum Trinken. Der einzige Weg hinaus führt im Moment – in den Knast. Dorthin kommen Flüchtlinge, die die Regierung in Athen von den Inseln evakuiert, um die Lage zu entspannen.

Die Krise, zeigt, was alles möglich ist. Und zwar nicht nur im Schlechten. Es wird auf die Wissenschaft gehört und danach im Großen und Ganzen gehandelt, egal, was es kostet. Unsere Sorgen werden ernst genommen. Die der anderen nicht. In den Lagern in der Ägäis warnen Hilfsorganisationen vor einem Massensterben. Aber dort sterben die anderen. Unternommen wird deshalb: nichts.

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Christian Jakob
Reportage & Recherche
Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social
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11 Kommentare

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  • 8G
    83379 (Profil gelöscht)

    Zuerst muss Deutschland es hier in den Griff kriegen, wenn das geschafft ist den Nachbarländern helfen damit die uns nicht wieder anstecken und dann ist der Zeitpunkt gekommen allen anderen zu helfen. Die Todesrate ist um die 1% laut WHO solange das Gesundheitssystem funktioniert wenn es zusammenbricht 3% plus, d.h. eine Überlastung muss um jeden Preis verhindert werden. Die Betten die jetzt neu gebaut werden die Kräfte die jetzt mobilisiert werden werden auch anderen in einigen Monaten zugute kommen aber wer selber in die Krise rutscht kann anderen nicht helfen.

  • "Ausnahmezustand de Luxe" - im Ernst jetzt? Die geistigen Verrenkungen, um der Leserschaft ein schlechtes Gewissen einzureden, werden immer grotesker.

  • "... lassen wir sterben?"



    Wer ist denn dieses "wir"? Wer würde denn die zusätzliche Versorgung dieser Menschen leisten müssen? Ärztinnen und Pfleger, die ohnehin schon an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit sind und täglich ihre eigene Gesundheit, wenn nicht ihr Leben riskieren? Es ist wohlfeil, sich selbst auf das moralisch einwandfreie hohe Ross zu schwingen und sich selbst ein Gefühl moralischer Überlegenheit zu verschaffen, auf Kosten von anderen, die jetzt schon übermäßig viel leisten. Oder sind "die Politiker" gemeint? Können die zusätzliches medizinisches Personal aus dem Hut zaubern? Ach ja, sie hätten... Es ist ebenso wohlfeil, in einer aktuellen Krise über Versäumnisse der Vergangenheit zu klagen, während andere stillschweigend anpacken. Das Einzige was jetzt in Bezug auf die Menschen in den Lagern geleistet werden kann, ist zur Verfügung stellen von ausreichend Mitteln, damit sie in geeignetere Unterkünfte gebracht werden können, und das passiert.

  • Ja, danke. Schliesse mich @KOLYMA und @NELLY_M an.

    Es gehört schon Mut, daran zu erinnern. Und doch ist es wichtig -- vielleicht wird in dieser Situation die eine oder der andere von uns empfänglicher für die Idee, dass Solidarität etwas grösseres ist.

    Nein -- nicht eine Strafe für das Verhalten der griechischen Regierung. Mir würde es ausreichen, dass wir hier die Arschbacken ein wenig zusammenkneifen Griechenland *jetzt* konkret entlasten, statt monatelang herumzulavieren.

    Ich gewinne den Eindruck, Seehofer & Co *wollen* die Zuspitzung in Griechenland.

  • Vielen Danke fürs Erinnern! Medico International, Diakonie Katastrophenhilfe u.a. brauchen weiterhin Unterstützung. Und unsere Politiker unterstützenden Druck, um wieder auf die Spur zu kommen. Ich könnte mir gerade einen Aufsatzwettbewerb vorstellen: Was ist der Unterschied zwischen Flüchtlingspolitik und Rassenpolitik? oder: Menschenbilder und Menschenrechte der EU (-Bevölkerung) - geordnet nach Herkunft, Vermögen und Rasse der zu Beurteilenden.

  • „Wir feiern Skype-Partys, für die Wirtschaft soll es Milliardenhilfen geben, Supermärkte bleiben voll.“

    Wir ... Immer dieses: Wir!. Also ICH habe noch nie an irgendwelchen „Skype-Parties“ teilgenommen – ich weiß noch nicht mal, was das überhaupt sein soll?



    Aber (wahrscheinlich) gut, das der Autor selbstkritisch in Zukunft von solch verwerflichem Tun Abstand nehmen wird.

    Was „Milliardenhilfen“ angeht, halte ich als kleiner Freiberufler auch nicht den Atem an. Und im Edeka um die Ecke sind (zugegeben: irrsinnigerweise) seit Tagen Klopapier, Seifen, Nudeln, Tomaten, Mehl u.a. ausverkauft. Aber möglicherweise lebte der Schreibende ja bis jetzt in einer privilegierten Blase. Gut, das er das endlich realisiert hat.

  • Danke für diesen Beitrag.

    • @Kolyma:

      Ja, auch von mir: danke fürs dran bleiben. Es ist bestimmt nicht leicht, zurzeit als Zeitung viel andere Themen neben dem allen beherrschenden zu setzen.

  • welche "Fügung"?!

    Schreckensbilder vom lebendigen Elend reichen eben nicht mehr.



    Erleben wir diese Epedemie, und alle damit verbundenen "Komfort"- Einschränkungen gar nur, um das Leid am eigenen Körper verspüren zu müssen. Um wieder menschlicher zu werden?

    Warten wir ab, wie es in zwei bis drei Wochen uns allen im "Komfort-Lager" Deutschland und EU gehen wird. Vielleicht spüren dann einige von uns etwas mehr wie es sich so anfühlt wenn die "Reisefreiheit und Freizügigkeit" eingeschränkt ist. Wenn wir selbst zu "eingesperrten" Flüchtlingen geworden sind.

    Das ethisch moralische Bewußtsein der Masse in Deutschland war leider noch nie besonders ausgeprägt. Bestenfalls kauft sich das "schlechte Gewissen" mit "harter" EU-Währung mit Spenden frei, statt sich selbst zu verändern und das Elend zu vermeiden.

    Am Beispiel Griechenland ist erkennbar, mit wie wenig Ernsthaftigkeit die EU das "geltende" Recht mit Leben erfüllt. Was den Menschen auf der Insel geschieht kann uns somit selbst auch innerhalb der EU drohen.



    Recht und Sicherheit für alle Menschen, es gilt nur scheinbar innerhalb der EU und ist nur ein Traum - wenn es darauf ankommt versagen alle Verantwortlichen und deren Versprechungen sind schnell vergessen. Eine Schande für die EU, deren Bürger und Abgeordnete. Auf gültiges Recht und dessen Umsetzung ist mit solch gelebter politischen Kultur kein Verlass.

  • "Wenn nur eigene Sorgen zählen"...echt jetzt?

    Ich bin für einen Kleinbetrieb (knapp 40 Mitarbeiter) verantwortlich. Zum operativen Geschäft komme ich kaum noch. Täglich mindestens zwölf Stunden im Betrieb, Kompensation für betriebsangehörige Elternteile finden, bei denen Schule /Kita/Kiga geschlossen wurde, Beschaffung und Ausstattung für "Home Office-Plätze", deren Arbeit sinnvoll von zu Hause eigentlich kaum zu machen ist, angsterfüllte Fragen nach Gesundheitsschutz und der beruflichen Zukunft beantworten, Verdachtsfälle im Betrieb bewerten (wen es interessiert: www.rki.de/DE/Cont...13516162bodyText3)



    und dann entscheiden, ob eine (Teil-)Schließung sein muss oder eine Desinfektion des Arbeitsplatzes reicht, Lieferanten und Kunden fallen aus oder sagen ab, nach der Arbeit bei den betagten Eltern und Besorgungen vor die Tür stellen - mehr Kontakt ist nicht opportun - die Kinder, die in einem Alter sind, in dem sie viele Fragen zu diesem Thema haben, beruhigen, Erfahrungsaustausch mit anderen Gewerbetreibenden, denen es genauso geht (zum Glück sind Konkurrenten z.T. sogar solidarisch) und und und...

    Das ist aktuell der Alltag der Menschen, die ich kenne. Skype- oder Coronaparties?? Da kann ich nur lachen. Bitte nehmen Sie mich vom Verteiler.

    • @Trango:

      Ich nehme momentan zwei Gruppen von Menschen wahr, die völlig gegenteilig mit der Lage umgehen:



      1. Die Leidenden & Ignoranten (in einem Topf, da ähnliche Resultate) :



      Nach einer Woche locker gesehener selbstolation mit alleine spazieren gehen: "Soo schlimm, ich fühle mich wie ein eingesperrter Tiger" etwas Realismus hilft zu erkennen, dass der Käfig kleiner werden muss und noch ne Weile da sein muss.... Fangt an Atemmasken zu nähen!



      Extrem viele fangen dann in so einer Situation nur noch ein "Ich will" vs. "ist verboten" vor Augen zu haben haben und versuchen sich möglichst nah an die Verbotsgrenze heranzutasten wollen.



      Was ist daran so unmöglich, sich zu überlegen, was man bestmöglich zur Verlangsamung der Ausbreitung beitragen kann?



      Angesichts dessen, was auf uns zurollt sollte da jeder auch mal seine comfortzone verlassen.



      Kein Verständnis... Aber in dieser 1. Gruppe sind wohl auch Corona-Partygänger zu verorten.

      2. Die Handelnden:



      Der Vorposter, andere, die irgendwie ihr Umfeld versuchen krisenfest zu machen, vor allem auch Bürgermeister, Leute in Krankenhäusern, Gesundheitsämter, Krisenstäben, Lebensmittelhändler, Ärzte & Teams, Pflegeeinrichtungen und z. B. Feuerwehren:



      Noch bevor es allgemeine Einschränkungen gab, habe ich in unserer Feuerwehr orgsnisatorische Maßnahmen umgesetzt um Begegnungen zu beschränken. Seit über einer Woche machen die Wehrführer Telekonferenzen... man muss nicht immer auf Kommandos warten. Mitdenken hilft!



      Und nein, dazu muss man nicht selbst beweglich sein... Ich befinde mich gerade den 8. Tag in Selbstisolation.

      Aber wenn man als Handelnder sieht, dass Ignoranten die Eindämmung, für die man ja gerasmde 200% gibt teils mutwillig untergraben, da braucht es alle Motivationskraft an unseren Zielen hier weiter zu arbeiten. Dann nicht auch noch an Flüchtende zu denken ist da schon legitim.

      so, ich rühre jetzt mal Handdesinfektion für die Feuerwehr an. gibt's fertig nicht mehr.