Nato-Übung „Defender“ in Deutschland: Krieg und Frieden
37.000 Soldaten und 22.000 Stück Material müssen bewegt werden – eine große Aufgabe für General Denk. Und eine Herausforderung für Friedensbewegte.
Neben den freistehenden Backsteinhäusern gibt es in Garlstedt zurzeit eine militärische Zeltstadt zu bestaunen. Gastgeber ist hier Brigadegeneral André Erich Denk, Kommandeur der Logistikschule der Bundeswehr in Garlstedt. Seine Stiefel sind fest geschnürt und beim Reden gestikuliert er mit seinen tarnfarbenen Handschuhen. Er wäre nur schwer zu erkennen in seinem Anzug in grün-braunem Fleckmuster, hätte er kein rotes Barett auf dem Kopf. Denn Denk steht vor einer extra errichteten Skulptur in Form eines Siegestores, die in Tarnnetze gehüllt ist. Darauf zu lesen: „Welcome US Troups to Garlstedt“.
Seit letzter Woche kommen sie: „Die echten Amerikaner zum Anfassen und zum Komisch- Sprechen“, wie Kommandeur Denk sie nennt. Rund 2.000 werden hier in den nächsten Wochen auf ihrem Weg nach Osten übernachten. „Aufregung pur!“, heißt es in den Lokalmedien.
Die Protestler: Männer mit schütterem Haar
Auch 30 Kilometer weiter, in der Fußgängerzone Bremens, wird aufgerüstet, auch wenn die Beteiligten das nie so nennen würden. Eine kleine Gruppe von Personen mit schütterem Haar verschanzt sich hinter ihren großen Plakaten mit gut lesbaren Buchstaben und vielen Ausrufezeichen. Es ist kalt an diesem Abend und auch bei der Demonstration in Bremerhaven am vergangenen Samstag. Immer dabei die gehisste blaue Flagge mit Picassos weißem Vogel. Ekkehard Lentz ist Sprecher der Bremer Friedensbewegung, er ist es seit fast 40 Jahren. Menschen wie Lentz stehen entschlossen hier und drücken PassantInnen Flugblätter mit kleinen und großen Tauben in die Hand. Darauf zu lesen: Stopp Defender 2020.
Bald schon will Lentz selbst in Garlstedt mitmischen, Demos und Straßensperren sind geplant. Er will im Auftrag des Friedens kommen, dorthin, wo man nach seiner Ansicht Russland provoziert und die Geschichte vergisst.
In der Zwischenzeit ist in Garlstedt vom dritten Weltkrieg noch nicht viel zu spüren. An einem sonnigen Tag haben bei dem Pressetermin alle gute Laune, und es gibt Schnittchen: mit Mett, Salami, Kochschinken, Mortadella und, etwas blass daneben, Käse. Kein Schießen, keine Panzer und kein Brüllen. Denn jetzt stehen hier bei zehn Grad Celsius viele der BesucherInnen in schneefester Kleidung. Sie hatten sich auf mehr vorbereitet, denn in der Einladung hatte es geheißen: „Festes Schuhwerk wird empfohlen“.
Der Termin ist gut organisiert. Trotzdem wirkt der Kommandeur Denk ein wenig nervös. Etwas zu schnell eilt er mit seinen langen Beinen zwischen den Zelten auf der großen Wiese voraus. „Wir nennen sie offiziell ‚Life Support Area‘“, sagt er. Immer wieder sucht der Kommandeur nickende Zustimmung, wenn er stolz die Faltstraße, die Stromgeneratoren und die WLAN-Schilder an den Zelten präsentiert. Drinnen gäbe es „für jeden Soldaten eine eigene Steckdose“, sagt André Erich Denk, für die iPhones und iPads der Soldaten. Ganz vergessen hätte er beinahe den Kiosk. Hier wird es Burger geben, die sogar mit US-Dollar und Kreditkarte bezahlt werden können. Während dieser Ansage schwindet die Aufmerksamkeit der Anwesenden. Im Hintergrund passiert etwas: „Da ist die Frau!“
Die Frau fährt Traktor. Er ist groß und gelb und tuckert zwischen der Zuschauergruppe vorbei. Alle Kameras versuchen die Frau einzufangen, die in ihrem Traktor sehr ernst schaut. „Sie können sie ruhig in Ihren Beiträgen promoten, weil bei der Bundeswehr gibt es auch Frauen, das ist uns wichtig“, sagt Pressesprecher Oberstleutnant Schwarm.
Dialog zwischen Oberstleutnant Schwarm und einem Soldaten
Die Frau ist an diesem Vormittag das eine, die Technik das andere. In einem Zelt werden Glühbirnen eingeschraubt. Dafür steht ein junger Soldat auf einer Leiter, er hat eine Glühbirne in der Hand, vor ihm ein Kronleuchter. Oberstleutnant Schwarm schaut sich um, als der Soldat, der die Glühbirne einschraubt, für die Kameras gefragt wird: „Was machen Sie da?“ Der Soldat, der die Glühbirne einschraubt, antwortet: „Ich schraube hier Glühbirnen ein.“ Oberstleutnant Schwarm kratzt sich am Kopf: „Aber erklären Sie mal, wieso ist das so wichtig?“ Während er weiter die Glühbirne einschraubt, ringt der Soldat nach Worten: „Ja, also, es ist wichtig, diese Glühbirnen hier einzuschrauben, damit das Zelt beleuchtet ist.“ Abschließendes Nicken von Herrn Schwarm in Richtung der Gäste. Die Glühbirne ist eingeschraubt.
Die Glühbirnen, die Steckdosen und vielleicht auch die Schnittchen werden in Garlstedt von den USA finanziert. Die US Army ist Initiator und auch Hauptfinanzierer des Nato-Großmanövers. 340 Millionen Dollar soll die US Army für die Militärübung ausgeben, die voraussichtlich bis Juni läuft. Insgesamt sind 37.000 SoldatInnen aus 18 Nato-Staaten involviert. Damit ist es das größte Militärmanöver der Nato seit 25 Jahren. Der Generalsekretär der Nato, Jens Stoltenberg, erklärte, dass Defender 2020 eine Übung sei, um „die Fähigkeit der USA zu beweisen, Europa zu verteidigen, wenn nötig“.
Die eigentlichen Militärübungen finden an Standorten vor allem in Polen und den baltischen Staaten statt. Deutschland ist bei dem Manöver vor allem Transitland, neben den 20.000 amerikanischen SoldatInnen werden ca. 22.000 Stückgüter über deutsche Häfen und Bahnhöfe transportiert. Stückgüter, das sind Waffen, Kampffahrzeuge und andere Kriegsmaterialien.
In Garlstedt braucht die moderne Kriegsführung iPhones, iPads und WlAN. Auch die Friedensbewegung kämpft online, am liebsten mit der akademischen Avantgarde. Rudolph Bauer war von 1972 bis 2002 Professor an der Universität Bremen. Zu seinen Werken zählt neben „Heimerziehung in der DDR“ und „Wohlfahrtsverbände in der Bundespolitik“ das Videogedicht „Gegen Defender 2020“. Seit einem Monat ist das fünfminütige Video online. Mittlerweile hat es 16 Likes und ein Dislike. Das könnte vielleicht an dem strengen Blick des Vortragenden liegen, den langgezogenen Vokalen oder auch an dem verregneten Industriegebiet, das im Hintergrund zu sehen ist.
Alles reimt sich: „Defender zwanzig-zwanzig im Osten / geht auf unsere Kosten“, deklamiert Bauer. Die Kamera, geführt von Sönke Hundt, ebenfalls Professor emeritus, verharrt unbewegt auf Bauers faltendurchzogenem Gesicht, wenn er spricht: „Den Nato-Militärstrategen“, Bauer macht eine Pause, „kommt Russland als Erzfeind gelegen.“ Später reimen sich auch die Weltregionen Palästina und Kina, Bauer ist Ostbayer. Die Botschaft am Ende ist klar: „Nie wieder Kriege, Ulrike“.
In Garlstedt wird Kommandeur Denk zwischen Sonne und Schnittchen noch einmal sehr ruhig. Er atmet tief ein, bevor er die, aus Sicht der Bundeswehr, wahren Gründe für Defender 2020 nennt: „Zu glauben, dass Frieden und Freiheit in Deutschland und Europa von nichts kommt, ist aus meiner Sicht ein Irrglaube.“ Die jüngste Vergangenheit und die Annexion der Krim hätten gezeigt, wie akut die Bedrohung von Osten sei. Und deswegen muss, laut Denk, geübt werden, unter Realbedingungen. Zuletzt im Jahr 2018 hatte die Nato mit 50.000 SoldatInnen „geübt“, auch damals unweit der russischen Grenze in Norwegen und Finnland.
Frieden – mit dem russischen Generakonsul
„27 Millionen russische Tote“, diese Zahl wird an diesem Abend oft wiederholt, auf einer Vernissage mit dem Titel: „Meinst du, die Russen wollen Krieg?“ Der Saal des Bremer Gewerkschaftshauses ist voll, auf Plakaten sind Tauben gezeichnet, sie haben einen Blumenstrauß in den Farben Russlands im Schnabel. Auch Rudolph Bauer ist da, er hat sich einen der begehrten Sitzplätze erkämpft. Ekkehard Lentz muss wie viele auf weißen Tischen am Rand sitzen. In den Abend führt eine vierköpfige Band ein, die ihre Lieder „schon damals bei der Nachrüstung in den 80ern“ gespielt hat. Der Moderator begrüßt die Gäste auf Russisch.
Besonders herzlich den Ehrengast an diesem Abend: den russische Generalkonsul Andrei Sharashkin. In seiner Rede zitiert er seinen Präsidenten Wladimir Putin: „Wie kann ein Volk mit 27 Millionen Toten den Krieg wollen?“ Es gibt Beifall. Für Sharashkin ist Defender 2020 eine Beleidigung und Provokation: „Wer ist vor 75 Jahren in Auschwitz einmarschiert und hat die Opfer des Faschismus befreit, wer?“ Und es stimmt, es war die Rote Armee. An anderer Stelle sind die Geschichtskenntnisse des Diplomaten weniger ausgeprägt, wenn er verkündet: „Ob Napoleon oder der Zweite Weltkrieg, mein Land hat nie offensiv attackiert.“ Er hat die Invasion in Afghanistan oder die Kämpfe in der Ostukraine an diesem Abend womöglich vergessen. Auch der Russisch-Polnische Krieg von 1792 oder der Krimkrieg von 1853 spielen für Sharashkin heute keine Rolle.
Im Publikum scheint das niemanden zu stören. Für die Zukunft hat er eine finale Friedensbotschaft: „Wenn es zu einem Krieg kommt, wird es der letzte sein“, selbst sein Dolmetscher zögert beim Übersetzen, „und das meine ich in keinster Weise positiv.“
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