Abgesagte Militärübung „Defender Europe“: Murinus greift die Nato an

Die US-Army plante für dieses Frühjahr in Europa eine Großübung. Das Szenario dafür ist jetzt bekannt – es erinnert an den Konflikt mit Russland.

Nahaufnahme der Uniformabzeichen eines britischen und eines US-Soldaten

Ein britischer und ein US-Soldat nach der Pressekonferenz zur Militärübung „Defender 2020“ Foto: Soeren Stache/dpa

BERLIN taz | Wäre Corona nicht dazwischengekommen, liefe in Europa gerade eines der größten Militärmanöver seit Ende des Kalten Kriegs. Im Rahmen von “Defender Europe 20“ wollte die US Army 20.000 Soldat*innen über den Atlantik auf den Kontinent verlegen. In Deutschland und anderen verbündeten Ländern, vor allem in Polen und dem Baltikum, sollten sie zusammen mit den Partnerarmeen verschiedene Übungen durchführen.

Erst jetzt ist klar, welchen Konflikt die Militärs dabei simuliert hätten: Wie aus mehreren Regierungsantworten auf Anfragen des Bundestagsabgeordneten Tobias Pflüger (Linke) hervorgeht, basierten die Übungen auf dem sogenannten „Occasus“-Szenario.

Wie dieses Szenario genau aussieht, beantwortete das Verteidigungsministerium dem Abgeordneten „aus Gründen des Staatswohls“ zwar nur geheim in einem als Verschlusssache eingestuften Schreiben. Aber da Nato und US-Army das Szenario auch bei früheren Übungen verwendeten, sind die Grundzüge öffentlich bekannt.

Der Kern des Konflikts: Eine Allianz rund um den fiktiven Staat Murinus will die Nato schwächen und erhöht dafür ihre Militärpräsenz in der Nachbarschaft des Bündnisgebiets. Dann greift sie eines der Mitgliedsländer direkt an und nutzt dafür Mittel der hybriden Kriegsführung. Die fiktive Allianz will also ihre eigene Rolle im Konflikt verschleiern, indem sie beispielsweise Soldat*innen in Uniformen ohne Hoheitsabzeichen in den Kampf schickt. Mittels einer Propagandakampagne verbreitet sie zudem die Behauptung, dass der angegriffene Nato-Staat eine ethnische Minderheit im Land unterdrücke.

„Das Szenario ist fiktiv“

Erinnert an die Rolle Russlands im Ukraine-Konflikt? Auf keinen Fall, schreibt das Verteidigungsministerium: „Das Szenario der Übung ist fiktiv, Ableitungen auf reale Gegebenheiten sind nicht möglich.“

Der Linken-Abgeordnete Pflüger sieht es anders: „Die offiziellen Verlautbarungen der Bundesregierung, das Manöver richte sich nicht gegen Russland, sind nicht haltbar“, sagt er. „Das Occasus-Szenario, das dem Manöver zugrunde liegt, verdeutlicht dies auf offensichtlichste Art und Weise. Wir brauchen Entspannung und Abrüstung statt Säbelrasseln – insbesondere in Zeiten der Corona-Krise!“

Wegen der Corona-Ausbreitung hatten die beteiligten Staaten das Manöver bereits im März deutlich abgespeckt. Insgesamt wurden ihm Rahmen der Übungen nach Regierungsangaben nur 5.500 US-Soldat*innen verlegt, die Bundeswehr hat ihre Teilnahme an den verschiedenen Unterübungen abgesagt.

114 Kampfpanzer allein in Deutschland

Die US Army hielt dagegen zunächst noch an einzelnen Übungsteilen in Polen und am Schwarzen Meer fest. Zumindest bis Anfang April hielt die Bundeswehr laut Regierungsantwort auch noch an „notwendigen Unterstützungsleistungen im Rahmen des Host-Nation-Support“ fest. Dazu gehört zum Beispiel die Treibstoffversorgung für die US-Fahrzeuge in Deutschland.

Anders als bei den beteiligten Soldat*innen ist nicht klar, wie viel Militärgerät bei der Übung unter normalen Umständen insgesamt eingesetzt worden wäre. Aus den Antworten des Verteidigungsministeriums geht jetzt aber zumindest hervor, wie viele Fahrzeuge an den Übungsteilen in Deutschland teilgenommen hätten: unter anderem 114 Kampfpanzer und 181 „gepanzerte Kampffahrzeuge“ wie zum Beispiel gepanzerte Mannschaftstransportwagen.

Zum Vergleich: In den letzten Jahren verfügte die Bundeswehr meist über nur etwas mehr als 100 einsatzbereite Kampfpanzer.

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