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Kälte in Syrien„Wir sterben schweigend“

Mitten im Winter sind eine halbe Million Kinder in Syrien auf der Flucht vor den anrückenden Assad-Truppen. Einige ereilt der Kältetod.

Kinder frieren im Flüchtlingslager von Azaz Foto: Khali Ashawi/reuters

Berlin taz | Wer in Friedenszeiten die Autobahn M4 von der syrischen Mittelmeerküste hinein ins Landesinnere nach Aleppo nahm, den erwartete eine Überraschung: Im Winter zierten kleine Schneemänner die Kühlerhauben der Autos auf der Gegenfahrbahn, die aus den Bergen der Region Idlib kamen. Schnee fällt in Syrien nur in wenigen Gegenden – und nur in den ganz kalten Winterwochen.

Für Hunderttausende Kinder, die derzeit in Nordwestsyrien in improvisierten Zelten, unter Bäumen oder Brücken schlafen, sind diese Winterwochen eine Katastrophe. Rund eine halbe Million Kinder sind seit Anfang Dezember in die Flucht getrieben worden. Und mit jedem Kilometer, den die syrischen Regierungstruppen – unterstützt von der russischen Luftwaffe – vorrücken, werden es mehr.

In den sozialen Medien machen dieser Tage Kinderfotos aus Nordwestsyrien die Runde: Eman Laila hat die Augen weit aufgerissen, ein starrer Blick ins Leere. Eineinhalb Jahre alt soll das Mädchen gewesen sein, dessen Familie aus dem Großraum Damaskus in den Nordwesten des Landes flüchtete. Dann kam der Kältetod. Nach Angaben der Hilfsorganisation MedGlobal starb sie in einem Flüchtlingslager bei Afrin, nördlich von Idlib.

Ein anderes Foto zeigt einen Mann tot auf einer Matratze. Zwei in Decken eingehüllte Kinder, ebenfalls tot, liegen dicht angeschmiegt an seiner Seite. Die Echtheit des Fotos war seitens der taz nicht zu überprüfen, doch sowohl Warnrufe etlicher Hilfsorganisationen, die in der Region aktiv sind, als auch Video- und Fotomaterial aus der Region bestätigen die katastrophale Situation in Idlib und Umgebung.

„Das Wetter ist eisig“, sagt eine junge Frau, die den Tränen nahe ist und sichtlich friert, in einem am Mittwoch auf Facebook geposteten Video, „niemand versucht den Leuten zu helfen.“ Viele wollen fliehen, sagt sie, doch es mangele an Fahrzeugen. Einen Tag später schreibt sie in einem Post: „Wir sterben schweigend.“

Alles, was brennt, wird verheizt

Wie viele Tote die tiefen Temperaturen in den vergangenen Wochen gefordert haben, weiß niemand genau. Auch das UN-Nothilfebüro Ocha spricht lediglich von „mehreren Kindern“, was auch das Hilfswerk Save the Children bestätigt. Am vergangenen Dienstag sind nach UN-Angaben außerdem fünf Menschen an Erstickung gestorben, als sie Materialien in ihrem Unterschlupf verbrannten, die giftige Gase aussonderten. Das Foto mit dem Familienvater soll drei von ihnen zeigen.

„Um kurzfristig warm zu bleiben, verbrennen Familien, die auf der Flucht aus ihren Häusern einen Teil ihrer Habseligkeiten mitnehmen konnten, alles, was sie finden können“, heißt es in einem am Donnerstag veröffentlichten Ocha-Lagebericht zu Nordwestsyrien. In der vergangenen Woche seien die Temperaturen auf -7 Grad abgefallen.

Das hält das syrische Regime und seinen Verbündeten in Moskau nicht davon ab, unaufhaltsam vorzurücken. Das Muster ist das immer gleiche: Aus der Luft wird bombardiert, bevor Regierungstruppen dann Stück für Stück die oft menschenleeren Orte einnehmen.

Die Autobahn M5, die auf ihrem Weg von Damaskus nach Aleppo auch durch Idlib führt, konnte das Assad-Regime in der vergangenen Woche komplett unter seine Kontrolle bringen. Die Einnahme der M4 könnte das nächste strategische Ziel Assads sein, aber auch der Kampf um Idlibs gleichnamige Provinzhauptstadt steht noch aus.

Idlib-Stadt hatte vor dem Krieg 165.000 EinwohnerInnen, ist durch den Zustrom von Flüchtenden Schätzungen zufolge mittlerweile aber auf über eine Million angewachsen. Die syrisch-russischen Bombenflieger haben die Stadt in den vergangenen Wochen weitgehend in Ruhe gelassen. Doch die Regierung in Damaskus hat immer wieder betont, ganz Syrien wieder unter ihre Kontrolle bringen zu wollen. Ein Angriff auf die Stadt würde die ohnehin katastrophale Lage der Menschen in Nordwestsyrien noch weiter verschärfen.

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12 Kommentare

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  • Beim Lesen solcher Berichte wünscht man sich, daß Waffenexporte in Zukunft wie Kriegsverbrechen bestraft werden.

    • @jhwh:

      Produktion generell oder nur Exporte?

  • Die Feigheit Europas, hier sofort einzugreifen, ist der Urgrund für diesen ewigen Krieg. Eine Luftbrücke für die Vertriebenen wäre das einzige, das helfen könnte. Geld wäre da - man muss es halt nicht Erdogan in den Rachen schieben, sondern damit hier Verpflichtende Integrationsprogramme lancieren.

  • Lasst uns was unternehmen!



    hat irgenjemand, der sich gut auskennt, eine idee?



    Ich bin sicher es wären viele dabei.

  • Die Kinder kann die Bundesrepublik sofort aufnehmen. Kein Kind muss dort erfrieren. Zu jedem Kind gehören Eltern, so müsste Deutschland ca. eine Millionen Menschen aufnehmen. Hoffentlich versagt die Regierung in dieser Frage nicht und holt Familien zu uns. Für die Linkspartei ganz sicher kein Problem.

  • Leider ist es ganz schwierig, wirklich objektive Informationen über die Lage in und um Idlib zu bekommen.



    Ich frage mich, warum die Menschen, insbesondere Kinder und Frauen, nicht Richtung Damaskus fliehen. Können sie das nicht, weil sie wie Terroristen behandelt werden, die sich ja zweifelsfrei in Idlib verschanzen? Auch die Weißhelme sind ja z.T. nach Idlib geflohen.



    Wir wissen ja, dass Assad den Terroristen quasi freies Geleit nach Idlib gegeben hat, damit diese sich dort sammeln können. Wieso gibt es z.B. keine Verhandlungen von westlicher Seite mit Russland, damit sich Russland für eine Lösung einsetzt, die es Frauen und Kindern ermöglicht, in Sicherheit zu geraten? Denn diese werden ja auch nicht durch die Türkei gerettet.

  • Und alle konservativen lächeln bei jedem toten Kind innerlich - denn die Grenzen sind dicht. Endlich!

  • "Doch die Regierung in Damaskus hat immer wieder betont, ganz Syrien wieder unter ihre Kontrolle bringen zu wollen."



    Mir fällt keine gute Altervative ein. Die beiden Alternativen die mir einfallen wären entweder ein endlos andauernder Bürgerkrieg oder die Machtübernahme der Dschihadisten. Die Hoffnung auf eine Demokratie nach westlichem Muster habe ich aufgegeben und wüsste auch nicht, ob die Menschen vor Ort das wollten.



    Auf der kleinen Karte ist auch nicht eingezeichnet, wo die Dschihadisten sind.

    • @*Sabine*:

      Sorry für die Tippfehler - war mein Kater, der gerne auf der Tastatur herumtrampelt...

    • @*Sabine*:

      Doch, es ist eingezeichnet: das hellgrüne Gebiet, benannt "Opposion, v.a. HTS". Allerdings wird das leider nicht näher erläutert. Aber mehr und mehr Medien werden in letzter Zeit etwas objektiver in der Berichterstattung, und nennen "Opposion, v.a. HTS" mittlerweile IS oder Islamisten. Da liegt auch das Problem - unsere Regierung gehört zur obskuren Gruppe 'Freunde Syriens' (oder ähnlich), mit dem völkerrechtswidrigen Ziel eines Regime Change. Ich habe leider immer wieder den Verdacht, daß die frierenden Kinder instrumentalisiert werden, um doch noch den RegimeChange hin zu kriegen. Assad die Kontrolle über das ganze Land... wo kämen wir denn da hin?



      Gegenfrage: wieviele würden sowas bei uns akzeptieren, wenn eine illustre Gruppe (D F GB USA Saudis Türken VAE etc) mit Waffengewalt den Staat zerschlagen wil???

      • @dodolino:

        ""Opposition, v.a. HTS""



        Das wundert mich jetzt sehr. Egal, ob man politisch links oder rechts steht, Dschihadisten/IS u.ä. als "Opposition" zu bezeichnen ist in hohem Maße manipulierend. Ich weiß jetzt, wofür HTS steht, wäre aber nicht davon ausgegangen, dass diese Leute unter Linken bzw. in der linken Presse als Opposition bezeichnet werden.



        Stört das außer mir niemanden?

  • In Syrien jagt eine humanitäre Katastrophe die nächste. Der Begriff ist hohl geworden, weil niemand da ist, der interveniert, irgendwie hilft oder auch nur protestiert.

    Der Westen hört, dass auf der Straße jemand angegriffen wird, steht auf, zieht den Vorhang zu, dreht die Musik lauter und setzt sich wieder in den Sessel.