Kälte in Syrien: „Wir sterben schweigend“
Mitten im Winter sind eine halbe Million Kinder in Syrien auf der Flucht vor den anrückenden Assad-Truppen. Einige ereilt der Kältetod.
Für Hunderttausende Kinder, die derzeit in Nordwestsyrien in improvisierten Zelten, unter Bäumen oder Brücken schlafen, sind diese Winterwochen eine Katastrophe. Rund eine halbe Million Kinder sind seit Anfang Dezember in die Flucht getrieben worden. Und mit jedem Kilometer, den die syrischen Regierungstruppen – unterstützt von der russischen Luftwaffe – vorrücken, werden es mehr.
In den sozialen Medien machen dieser Tage Kinderfotos aus Nordwestsyrien die Runde: Eman Laila hat die Augen weit aufgerissen, ein starrer Blick ins Leere. Eineinhalb Jahre alt soll das Mädchen gewesen sein, dessen Familie aus dem Großraum Damaskus in den Nordwesten des Landes flüchtete. Dann kam der Kältetod. Nach Angaben der Hilfsorganisation MedGlobal starb sie in einem Flüchtlingslager bei Afrin, nördlich von Idlib.
Ein anderes Foto zeigt einen Mann tot auf einer Matratze. Zwei in Decken eingehüllte Kinder, ebenfalls tot, liegen dicht angeschmiegt an seiner Seite. Die Echtheit des Fotos war seitens der taz nicht zu überprüfen, doch sowohl Warnrufe etlicher Hilfsorganisationen, die in der Region aktiv sind, als auch Video- und Fotomaterial aus der Region bestätigen die katastrophale Situation in Idlib und Umgebung.
„Das Wetter ist eisig“, sagt eine junge Frau, die den Tränen nahe ist und sichtlich friert, in einem am Mittwoch auf Facebook geposteten Video, „niemand versucht den Leuten zu helfen.“ Viele wollen fliehen, sagt sie, doch es mangele an Fahrzeugen. Einen Tag später schreibt sie in einem Post: „Wir sterben schweigend.“
Alles, was brennt, wird verheizt
Wie viele Tote die tiefen Temperaturen in den vergangenen Wochen gefordert haben, weiß niemand genau. Auch das UN-Nothilfebüro Ocha spricht lediglich von „mehreren Kindern“, was auch das Hilfswerk Save the Children bestätigt. Am vergangenen Dienstag sind nach UN-Angaben außerdem fünf Menschen an Erstickung gestorben, als sie Materialien in ihrem Unterschlupf verbrannten, die giftige Gase aussonderten. Das Foto mit dem Familienvater soll drei von ihnen zeigen.
„Um kurzfristig warm zu bleiben, verbrennen Familien, die auf der Flucht aus ihren Häusern einen Teil ihrer Habseligkeiten mitnehmen konnten, alles, was sie finden können“, heißt es in einem am Donnerstag veröffentlichten Ocha-Lagebericht zu Nordwestsyrien. In der vergangenen Woche seien die Temperaturen auf -7 Grad abgefallen.
Das hält das syrische Regime und seinen Verbündeten in Moskau nicht davon ab, unaufhaltsam vorzurücken. Das Muster ist das immer gleiche: Aus der Luft wird bombardiert, bevor Regierungstruppen dann Stück für Stück die oft menschenleeren Orte einnehmen.
Die Autobahn M5, die auf ihrem Weg von Damaskus nach Aleppo auch durch Idlib führt, konnte das Assad-Regime in der vergangenen Woche komplett unter seine Kontrolle bringen. Die Einnahme der M4 könnte das nächste strategische Ziel Assads sein, aber auch der Kampf um Idlibs gleichnamige Provinzhauptstadt steht noch aus.
Idlib-Stadt hatte vor dem Krieg 165.000 EinwohnerInnen, ist durch den Zustrom von Flüchtenden Schätzungen zufolge mittlerweile aber auf über eine Million angewachsen. Die syrisch-russischen Bombenflieger haben die Stadt in den vergangenen Wochen weitgehend in Ruhe gelassen. Doch die Regierung in Damaskus hat immer wieder betont, ganz Syrien wieder unter ihre Kontrolle bringen zu wollen. Ein Angriff auf die Stadt würde die ohnehin katastrophale Lage der Menschen in Nordwestsyrien noch weiter verschärfen.
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