piwik no script img

Regierungskrise in ThüringenKampf für neue Stabilität

Die Linke will Ramelow nur wieder zur Wahl stellen, wenn es verlässliche Zusagen von CDU und FDP gibt. Nächste Woche finden erste Gespräche statt.

In Thüringen wird es wohl noch einige Sitzungen geben Foto: Martin Schutt/dpa

Berlin taz | Am Montag, nachdem der erste mit Stimmen der AfD ins Amt gehievte Ministerpräsident vereidigt und kaum 72 Stunden später wieder zurückgetreten war, erreichte der Wintersturm „Sabine“ auch Erfurt. Es war der erste Ferientag im Bundesland, eigentlich sitzungsfreie Zeit. Doch passend zur stürmischen Wetterlage ist auch die politische Großwetterlage in Thüringen nach wie vor unbeständig. Wie kommen wir wieder zu stabilen Verhältnissen? Das ist die Frage, die alle Parteien im Landtag, außer der AfD, beschäftigt.

Am Mittwoch hatten AfD, CDU und FDP im Thüringer Landtag den FDP-Politiker ­Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten gewählt, um Amtsinhaber Bodo Ramelow von der Linkspartei endlich abzuwählen. Das Beben, das auf den Dammbruch nach rechts folgte, war gewaltig. Zu den Opfern zählen neben dem neuen, nunmehr geschäftsführenden Ministerpräsidenten Kemmerich auch der Frontmann der Thüringer CDU, Mike Mohring, und die CDU-Bundesvorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer. Beider Parteikarrieren neigen sich dem Ende zu.

Die Thüringer Linke traf sich am Montag erstmals nach der Abwahl Bodo Ramelows wieder zur Fraktionssitzung. Für seine Partei gehe es weiterhin zunächst darum, erst einmal eine arbeitsfähige Regierung zu bilden, so der stellvertretende Parteivorsitzende Steffen Dittes danach zur taz. Wenn diese Regierung stehe, dann müsse erstens der Haushalt auf den Weg gebracht und parallel dazu müssten Neuwahlen vorbereitet werden.

An Neuwahlen führe, so Dittes, kein Weg vorbei. „Diese Legislatur wird definitiv nicht bis 2024 dauern.“ Bis vergangenen Mittwoch habe er geglaubt, man könne mit CDU und FDP phasenweise und in der Sache zusammenarbeiten. „Doch das setzt Vertrauen voraus. Das ist zerstört“, erklärte Dittes.

CDU-Mitglieder fordern Neuwahlen

Neuwahlen sind gemäß der Landesverfassung jedoch nur noch möglich, wenn der Landtag seine Auflösung mit Zweidrittelmehrheit, konkret mit 60 von 90 Stimmen, beschließt. Doch die designierte rot-rot-grüne Koalition verfügt nur über 42 Sitze, die CDU, die zurzeit 21 Mandate hat, sieht angesichts miserabler Umfragewerte keine Notwendigkeit für Neuwahlen.

Doch an der Basis gibt es durchaus einzelne Mitglieder, die sich auch öffentlich dafür aussprechen. Der ehemalige Landtagsabgeordnete Wolfgang Fiedler erklärte am Montagmorgen im Deutschlandfunk, man müsse jetzt einen klaren Schnitt machen.

Auch der Treffurter CDU-Stadtrat Lutz Koscielsky hält Neuwahlen für ein schmerzliches, aber notwendiges Übel, um Verantwortung zu übernehmen. „Alles andere hätte ein Geschmäckle.“ Koscielsky, erfolgreicher Bäckermeister, mahnt zudem, dass seine Partei die Realität endlich anerkenne: Man habe die Wahl verloren und 70 Prozent der Thüringer hielten Ramelow für einen guten Ministerpräsidenten. Sprich: Es spricht nichts dagegen, wenn auch CDU-Abgeordnete für den beliebten Ministerpräsidenten stimmen.

Von der Forderung seiner Partei, nun auf einen unabhängigen Kandidaten zu setzen, hält Koscielsky nichts. „Ohne Ramelow würden sich die Wähler doch verarscht vorkommen.“ Auch die Strategie seiner Partei, den gleichen Abstand zu AfD und Linken zu wahren, sei nicht mehr zeitgemäß. „Ich finde es schlimm, wenn Ramelow mit Höcke verglichen wird.“ Die CDU müsse sich diesem Thema nun offensiv stellen.

Absichtserklärung reicht nicht mehr

Der Linke Ex-Ministerpräsident Bodo Ramelow, der sich im Spiegel-Interview noch beklagte, er sei zum Trottel gemacht worden, könnte sogar gestärkt aus dem Sturm hervorgehen. Linke, Grüne und SPD setzen weiterhin auf Ramelow als Ministerpräsidentenkandidaten. Die Linke will ihn allerdings nur antreten lassen, wenn sie sicher sein kann, dass er im ersten Wahlgang gewählt wird.

„Wir werden Bodo Ramelow nicht aufstellen, wenn wir diese Sicherheit nicht spüren“, so Dittes. Eine Erklärung der Thüringer CDU-Fraktion vom Donnerstag, man werde sich bei der Ministerpräsidentenwahl enthalten, reicht demnach nicht mehr aus. „CDU und FDP müssen ausreichend verbindlich erklären, dass aus ihren Fraktionen eine stabile Mehrheit sichergestellt wird.“

Ob sich beide Parteien darauf einlassen? In der nächsten Woche trifft man sich zu Gesprächen: Linke, SPD und Grüne sowie die Viererverhandlungsgruppe der CDU aus Mario Voigt, Raymond Walk, Volker Emde und Andreas Bühl. Ob die FDP dazustößt, ist noch unklar. Es wären jedenfalls die ersten Gespräche auf Parteiebene zwischen den fünf Fraktionen.

CDU und FDP hatten solche bisher ausgeschlossen und erklärt, nur mit Ministerpräsident Ramelow persönlich zu verhandeln. Aber der ist ja nun nicht mehr im Amt. Ergebnis eines solchen Treffens könnte eine Sondersitzung des Landtags noch im Februar sein. Auf dieser würde dann ein neuer Ministerpräsident gewählt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • Der Vergleich mit dem Dammbruch ist sehr passend:



    Wenn ein Damm bricht, folgt danach immer eine Sturzflut.



    In dieser befinden wir uns gerade.



    Das der Damm brechen würde, war lange klar, weil er aus Paranoia, Klischeedenken, Vorurteilen, Halbwahrheiten und Ausgrenzung bestand - was denkbar ungeeignete Baumaterialien sind.



    Die Frage war nur, wann und wie er brechen würde. Jetzt ist es soweit.



    Und wenn die Verantwortlichen jetzt nicht in sich gehen und in Ruhe mit Überlegung und Besonnenheit handeln, sondern nur einen Notdamm errichten, dann wird dieser wieder brechen - obendrein wahrscheinlich mit viel weitreichenderen Folgen.

  • »Ehrlich muss man sein«

    Die einzige bürgerlich-demokratische Parlamentspartei ist DIE LINKE. Sie ist die einzige bürgerlich-parlamentarische Partei die bisher noch nicht vom Kapitalinteresse gehalten und korrumpiert wurde.

    Die bürgerliche AfD wurde nachweislich auch schon aus der Schweiz mitfinanziert (Alice Weidel).

    Die CSU wie auch die CDU über Spenden der Familie Quandt.

    Die FDP und die OlivGrünen über den Autobauer Daimler Benz.

    Die SPD über den Wirtschaftsverband der Metall- und Elektroindustrie.

    PS: Mit der parlamentarischen Ausnahme der Linkspartei 'DIE LINKE' gibt es heute keine von wirtschaftlicher und personeller Korruption freie Partei in bundesdeutschen Landesparlamenten und im Bundesparlament Deutschlands.

    Auch hieraus ergibt sich ein tieferes Verständnis für die Verweigerung der bürgerlichen Korruptionsparteien mit der einzigen bürgerlich-demokratischen Parlamentspartei: DIE LINKE.

    Info-Empfehlung: Die Top-Finanziers der Parteien



    www.lobbycontrol.d...iers-der-parteien/

    11.02.2020, R.S.

  • Ich hoffe weiterhin auf Neuwahlen. Den politischen Gegner zwingen zu wollen, für Herrn Ramelow zu stimmen, finde ich heikel. Seltsam, dass nicht einmal Rote/Grüne/Linke den Eindruck haben, dass so ein Vorgehen "eigentlich" nicht in Ordnung ist.

    Meiner Meinung nach zeigt die AFD die demokratischen Defizite aller Beteiligten bzw. des Wahlsystems auf und das finde ich gut. Nun müssen eben Lösungen gefunden werden, die solche Probleme in Zukunft verhindern.

    Vielleicht kann es so festgelegt werden, dass ohne Wenn und Aber die Partei mit den meisten Wählerstimmen den Ministerpräsidenten festlegen darf und keine weitere separate Ministerpräsidentenwahl im Landtag mehr stattfindet.

    Weiß jemand, weshalb ein Ministerpräsident im Landtag separat gewählt werden soll? Mir ist es nicht bekannt und ich würde es gerne wissen.

  • Ramelow hat die gleiche präsidiale Attitüde wie Merkel. Unserer Demokratie tut solch konsensfokussiertes und gleichzeitig machterhaltendes Regieren nicht gut. Opposition ist ja mittlerweile total verpönt oder gar anrüchig. In Thüringen droht nun eine Allparteien-Koalition mit der einer singulären Opposition in Form der AfD. Wann kippt dieses System? Muss die AfD unbedingt erst (oder "wieder) >43,9% bekommen?

    • @TazTiz:

      Das Gerede von einer "Allparteienkoalition" und der Ausgrenzung der armen, armen AfD und dem daraus resultierenden Kippen der Demokratie ist Blödsinn.

      Denn die CDU darf und wird Ramelow nicht wählen - und die FDP auch nicht. Dabei besteht kein Zweifel, dass Ramelow Demokrat ist und in der vergangenen Legislatur einen sehr guten Job als Ministerpräsident gemacht hat. Von Sozialismus und Kommunismus gibt es in Thüringen weiterhin nicht den Hauch einer Spur. Dass Ramelow für CDU und FDP so zum Hassobjekt geworden ist, dass man eine zweite Amtszeit um jeden Preis verhindern will, hat eher etwas mit ideologischer Verblendung im so genannten "bürgerlichen Lager" zu tun.

      Bei Faschisten und Rechtsextemisten hilft leider nur ausgrenzen und ächten. Mehr als die aktuelle Strärke wird die AfD auch in Neuwahlen nicht bekommen - deren Potential an Empörung und Hetze dürfte im Moment ausgeschöpft sein.

      Da Gauland inzwischen empfohlen hat, bei einer neuen Wahl Ramelow zu wählen und ihn dadurch politisch zu verbrennen zeigt eindeutig, dass es der AfD nicht um konstruktive Politik für Thüringen geht, sondern einzig uns allein darum, möglichst viel Chaos zu stiften und die Demokratie zu beschädigen. Deshalb ist Ausgrenzung das einzig akzeptable Mittel gegen die AfD.

      • @Celtic:

        Keine "arme, arme AfD" sondern armes Deutschland, wenn eine 4-5 Parteien-Allianz in Erfurt Herrn Ramelow zum Amt verhelfen muss. Gegen das Ausgrenzen von Faschisten muss man nichts haben, aber das Ausgrenzen von einem Viertel des Wählerwillens auf Dauer schon. Das Potential der AfD liegt ziemlich genau bei 50% ... wenn die anderen Parteien in wesentlichen Fragen (Klima, Migration, Europa, ...) keine differenten sondern nur einheitliche/vernünftige/alternativlose Antworten haben.