Klimaaktivisten in München präsent: Bei Siemens brennt der Busch
Zweiter Tag der Proteste vor der Hauptversammlung von Siemens. Das Unternehmen wird als Beschleuniger für die „Klima-Kriminellen“ gebrandmarkt.
Der Technologiekonzern muss seine Hauptversammlung unter besonderen Umständen abhalten. Seit im Januar die Beteiligung von Siemens am höchst umstrittenen Kohlebergbau-Projekt in Australien bekannt wurde, steht die Firma „im Mittelpunkt der Klimadebatte“, wie der Vorstandsvorsitzende Joe Kaeser später in seiner Rede sagen wird. Demonstranten von Fridays for Future, Extinction Rebellion oder Greenpeace sind gekommen, schon am Vorabend war die Fassade und das Dach der Firmenzentrale am Wittelsbacherplatz von Aktivisten besetzt worden, die ein Banner ausgerollt hatten: „Buschbrände beginnen hier.“
Nun protestieren Hunderte direkt am Eingang zur Halle, der von der Polizei mit Absperrgittern gesichert ist, die Beamten halten sich im Hintergrund. Die Aktivistin Lindsay Simpson ist aus Australien gekommen, sie sagt zur taz: „Unser Land brennt, eine Milliarde Tiere sind gestorben.“ „Von der blauen Erde kommen wir“, singen die Demonstranten, „unser Klima stirbt genauso schnell wie wir.“
Thomas Mayer, ein pensionierter Angestellter im öffentlichen Dienst, steht seit einer Stunde mit seinem Plakat vor dem Gitter: „Siemens als Brandbeschleuniger für die Klima-Kriminellen.“ Ja, meint er, manche der Siemens-Besucher würden schon sagen, dass sie gegen das Australien-Geschäft seien. Ein älterer Herr in Anzug und Krawatte zeigt ihm aber nur den Mittelfinger. Ein anderer sagt: „Von denen geht keiner arbeiten.“ Eine Frau ergänzt: „Die leben von dem, was wir erspart haben, auch mit Siemens-Aktien.“
So aufgeheizt geht es in der Olympiahalle, die bis zu 10.000 Besucher fassen kann, nicht zu. Doch auch da steht das Klimathema an erster Stelle. Dass der Konzern recht schlechte aktuelle Zahlen vorgelegt hat, dass er in die drei Bereiche digitale Industrie, Gesundheit und Energie aufgeteilt werden soll – dies alles interessiert an diesem Tag nur die Wirtschaftsfachleute. Es gab schon viele solcher Umstrukturierungen bei Siemens, die sich späterhin als heiße Luft entpuppt hatten.
Im Ziel einig
Die argumentative Stoßrichtung der Siemens-Führung wird rasch klar: Das Australien-Geschäft hätte man nicht abschließen sollen, jetzt müsse man es aber durchziehen, außerdem ist es mit 18 Millionen Euro nur ein sehr kleines Projekt. „Wie die Debatte geführt wird, entfernt sich immer mehr vom Thema“, sagt der Aufsichtsratsvorsitzende Jim Hagemann Snabe. Im Ziel sei man sich ja „einig mit der Klimaschutzbewegung“. Siemens strebe bis zum Jahr 2030 „eine CO2-neutrale Zukunft an“. Schon im vergangenen Jahr seien die Emissionen bei Aufträgen um 50 Prozent niedriger gewesen als 2014. Und schließlich wolle man „Siemens neu erfinden“.
Große Worte, die in ähnlicher Modulation auch bei Vorstandschef Joe Kaeser zu hören sind. In der Pressekonferenz am Morgen hatte er den Protest der Klimaschützer noch als „fast grotesk“ bezeichnet. In seiner Rede gesteht er: „Es trifft zu, dass wir das gesamte Bild dieses Auftrags nicht richtig und nicht rechtzeitig erkannt haben.“ Denn die Klimakrise sei eine „existenzielle Bedrohung“. Aber: „Proteste allein bringen noch keine Lösung.“ Dafür erhält er erstmals kleinen Applaus.
Kaeser kündigt an, dass die neue Teilfirma „Siemens Energy“ einen so genannten Nachhaltigkeitsausschuss erhalte, dem auch Mitglieder von außerhalb des Konzerns angehören können. Er wolle einen „lösungsorientierten Dialog mit allen suchen“.
Auf der Versammlung sind auch Klimaaktivisten, denen etwa von Aktionären die Wahrnehmung der Stimme übergeben worden war. Ein jüngerer Mann namens Corby hat sich ein Känguru-Kostüm angezogen, zieht immer wieder durch die Reihen und wird weitgehend ignoriert. Am Nachmittag darf Helena Marschall von Fridays for Future reden. Sie warnt die Aktionäre, dass Siemens die Kunden der Zukunft verlieren werde. Auch sie erhält ein wenig Applaus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Soziologe über Stadt-Land-Gegensatz
„Die ländlichen Räume sind nicht abgehängt“
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
US-Präsidentschaftswahlen
Die neue Epoche
Pro und Contra zum Ampel-Streit
Sollen wir jetzt auch wählen?
US-Präsidentschaftswahlen
Warum wählen sie Trump?
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod