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Neue Regierung in ÖsterreichGewissensfrage Big Mac

Die Koalition startet mit Hetze gegen die Justizministerin und Gerede um einen Fast Food essenden Grünen-Chef. Es gibt aber Lob für die Kommunikation.

Die Burger-Affäre beschäftigt Österreich Foto: imago

Wien taz | Dürfen Grüne Burger essen? Für Gerald Grosz, einen ehemaligen Jörg-Haider-Adepten, grenzt es jedenfalls an Heuchelei. Ein von ihm auf Instagram verteiltes Bild zeigt Grünen-Chef und Vizekanzler Werner Kogler einsam in einer Fast-Food-Filiale beim Verzehr einer nicht klar identifizierbaren Fleischsemmel. „Das ist Werner, er ist Oberhaupt der österreichischen GrünInnen, dem Alpenableger der schwedischen Klimasekte. Kraft Funktion vertritt er auch alle Veganer, Grashalmmörder und Salatmeuchler“, kommentiert er hämisch das offenbar heimlich aufgenommene Foto.

Grosz, der im Gratisblatt Österreich rechtslastige Kolumnen schreibt, sieht sich als Tugendwächer: „Es ist das elende Pharisäertum der Heuchler. Gegen Müllberge kämpfen und selbst dazu beitragen. Fleischsteuern fordern und das Hochamt der Fleischeslust feiern.“

Seit die Grünen mit der konservativen ÖVP in der Regierung sitzen, stehen sie verstärkt unter Beobachtung. Von linker Seite wirft man ihnen vor, durch Kompromisse in Migrations- und Asylfragen ihre Prinzipien verraten zu haben, die Rechten stechen geifernd in jede offene Flanke, auch wenn sie erfunden werden muss.

In seinen Echokammern löste das Posting von Grosz denn auch den beabsichtigten Shitstorm aus – während Kogler unerwarteten Flankenschutz ausgerechnet vom Boulevard erhielt. Der Journalist Klaus Pándi von der Kronen Zeitung, bisher nicht als Freund der Grünen bekannt, sieht den Skandal nicht im Verzehr von Fast Food durch einen Öko-Kämpfer, sondern im Versuch, Kogler „in perfider Weise“ bloßzustellen.

Solidaritätsbekundungen in den sozialen Medien

Er findet das Foto in seiner Kolumne vom Mittwoch „auf ganz besondere Weise berührend“. Man sehe nämlich „in einem traurigen Winkel eines Fast-Food-Lokals die Einsamkeit eines Mannes, einen prominenten Politiker, in seiner Verletzlichkeit und letztlich den Verzicht auf Lebensqualität als Preis der Macht“.

Schnell machten Solidaritätsbekundungen in den sozialen Medien die Runde. Und viele fragen sich, was denn der Skandal sei. Schließlich setze McDonald's auf österreichische Produkte und hat bei den Verpackungen Styropor durch Maisstärke-Behälter ersetzt. „Die Big-Mac-Geschichte mag vom Grosz als übliche Bösartigkeit gedacht sein. Tatsächlich ist sie beste PR für den @Wkogler“, twittert Albert Steinhauser, der ehemalige Justizsprecher der Grünen, „weil übrig bleibt: er ist einer wie du und ich. Nicht perfekt, aber sicher nicht abgehoben.“

Kogler selbst bekannte in der Kronen Zeitung, er sei „der Letzte, der ein lasterfeies Leben propagiert, ganz im Gegenteil“. Und statt bei McDonald's habe er ursprünglich „zu später Stunde bei einem Würstelstand speisen“ wollen. „Junge Selfie-Jäger haben mich aber zu einem McDonald's gegenüber geschleppt, wo wir uns schließlich eine Runde Burger bestellt haben.“

Ist die medial aufgeblasene Burger-Anekdote eher Anlass zum Schmunzeln, so hat die Welle von Hass, die Justizministerin Alma Zadić entgegenschlägt, ernste Konsequenzen. „Eine kriminelle Muslima wird Justizministerin. Da kommt dann bald die Scharia“, postete ein erregter User auf die Warnung eines FPÖ-Politikers. Die in Bosnien geborene Spitzenjuristin ist zwar weder kriminell noch religiös, doch allein ihre Herkunft provoziert Mordgelüste.

Justizministerin bekommt seit Vereidigung Personenschutz

Ein User postete gar mit Klarnamen: „A Kugel is dera reserviert.“ Die Welle eindeutiger Drohungen wird von den Behörden so ernst genommen, dass Zadić seit der Vereidigung am 7. Januar Personenschutz der Spezialtruppe Cobra bekommt. Dieses zweifelhafte Privileg genießen sonst nur Kanzler und Vizekanzler.

Anders als die Hassposter, die über die grüne Ministerin wegen ihrer Herkunft herfallen, beobachtet der bekannte Politikwissenschaftler Hubert Sickinger dank der grünen Regierungsbeteiligung einen Qualitätsschub bei TV-Interviews: „Heute im #Report und in der #zib2 konnte man übrigens bei @Alma_Zadic und @rudi_anschober sehen, dass es überhaupt nicht schadet, Fragen zu beantworten. Und bei Fragen, die man (noch) nicht beantworten kann oder will: zu erklären, was man vorhat“.

Das ist tatsächlich ein Bruch mit den vom politischen Personal gewohnten Gepflogenheiten, so dass sich ein Christoph Papst in einem Tweet bereits Sorgen um die Medienpolitik von Bundeskanzler Sebastian Kurz macht: „Ich denke, Basti wird früher oder später das Problem bekommen, dass seine Sprechpuppen-MinisterInnen im Vergleich zu den grünen MinisterInnen ziemlich alt und unpopulär aussehen. Das wird er sich nicht lange mit ansehen.“

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4 Kommentare

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  • Mal wieder meinen einige Mitmenschen, man könne nur für einen Lebensstil werben, wenn man ihn selbst bereits 100%tig umsetzt. Wie absurd. Wenn alle 80% Klimaschutz betreiben würden, wäre dem Planeten sehr viel geholfen.

  • Beim Lesen der Äußerung, was denn der Skandal sei, schließlich setze McDonald’s auf österreichische Produkte und habe bei den Verpackungen Styropor durch Maisstärke-Behälter ersetzt, musste ich an eine repräsentative Umfrage denken, die die Unternehmensberatung A. T. Kearney vor Kurzem durchgeführt hat. Dabei stellte sich heraus, dass viele Menschen völlig falsch einschätzen, mit welchen individuellen Handlungen sie etwas gegen die Klimaerhitzung tun können. So erwies sich die regionale und saisonale Ernährung mit einer CO2-Reduktion von 80 Kilo jährlich als „dramatisch überschätzt“. Gleiches gilt für den sicherlich sinnvollen, aber im Hinblick auf den Klima“wandel“ weitgehend wirkungslosen Verzicht auf Plastiktüten (minus 3 Kilo). Der Fleischkonsum hingegen kristallisierte sich beim Abgleich mit Daten etwa des Umweltbundesamtes oder des CO2-Rechners als „dramatisch unterschätzt“ heraus. Jeder Veganer spart laut der Universität Oxford übrigens zwei Tonnen an Treibhausgasen jährlich ein.

    Dass die Menschen die Auswirkungen einer regionalen und saisonalen Ernährung maßlos überschätzen, führe ich vor allem auf die mediale Berichterstattung zurück. So überschlagen sich selbst sogenannte Qualitätsmedien wie die Süddeutsche Zeitung, überspitzt formuliert, förmlich vor Begeisterung etwa beim Anblick eines von „regionalen" Tierprodukten überquellenden Kühlschranks der Familie einer „Klimaschützerin“, wohingegen die Auswirkungen des Konsums von Tierprodukten, auch im Hinblick auf die Feinstaubbelastung (www1.wdr.de/dasers...einstaub-128.html) übrigens, meist nur eine Randnotiz wert sind.

    Hinzu kommt, dass der Begriff „regional“ auch gar nicht geschützt ist. Woher stammt das Futter? Wie weit wurden die Tiere transportiert? All das bleibt in der Regel im Dunkeln (www.lebensmittelkl.../herkunftsangaben).