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Polen fehlt bei Gedenken in IsraelDuda, der „große Abwesende“

Ungewöhnlich einig kritisiert Polen die politische Instrumentalisierung des Holocaust-Gedenkens. Auf viel Solidarität kann das Land nicht hoffen.

Das Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau Foto: Karsten Thielker

Warschau taz | Polens Oberrabbiner Michal Schudrich kann nur den Kopf schütteln: „Wozu gibt es zwei konkurrierende Gedenkfeiern? Auschwitz-Birkenau lag im von Deutschland besetzten Polen. Hier befreiten Soldaten der Roten Armee die letzten Überlebenden des NS-Vernichtungslagers. Und hier sollte auch am 27. Januar an diese Befreiung gedacht werden!“

Doch in diesem Jahr reisten zahlreiche Staatsoberhäupter und Premierminister bereits am Donnerstag zum „World Holocaust Forum“ nach Jerusalem. Dabei findet – wie jedes Jahr – am 27. Januar die offizielle Gedenkfeier im polnischen Oświęcim statt. „Die Instrumentalisierung des Holocausts zu politischen Zwecken ist unerträglich“, sagt Schudrich und stellt unmissverständlich klar: „Das weltweit anerkannte Symbol für den Massenmord an sechs Millionen europäischen Juden ist Auschwitz.“

Dass in diesem Jahr mehr Staatsgäste nach Israel fahren denn nach Polen, hängt wohl mit der renommierten Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem und Israels Staatspräsidenten Reuven Rivlin zusammen. Wjatscheslaw Mosche Kantor, dem russischen Oligarchen und Präsidenten des Europäischen Jüdischen Kongresses, war es gelungen, die beiden als Mitorganisatoren zu gewinnen.

Kantor rief die Konkurrenzveranstaltung zu den Gedenkfeiern in Auschwitz-Birkenau vor 15 Jahren als „World Forum“ oder auch „Let my people live“ ins Leben. Das „IV World Holocaust Forum“ fand 2015 in Prag und Terezín (Theresienstadt) am Tag der Auschwitz-Befreiung statt, also am 27. Januar. Damals zogen es die meisten Staatspolitiker noch vor, diese Konkurrenz-Veranstaltung zu boykottieren und stattdessen zur Gedenkfeier nach Polen zu fahren und die Opfer in Auschwitz-Birkenau zu ehren.

Kein Rederecht für Andrzej Duda

Möglicherweise wissen auch viele Politiker nicht, dass etliche jüdische Landesvertretungen ihre Mitgliedschaft im Europäischen Jüdischen Kongress seit Jahren ruhen lassen und nur noch diejenige im Jüdischen Weltkongress aktiv wahrnehmen.

Wie politisch aufgeladen die Stimmung dieses Mal ist, zeigt der Streit um den „großen Abwesenden“ auf dem Forum in Israel: Polens Präsident Andrzej Duda hatte seine Teilnahme am Forum spektakulär abgesagt, nachdem ihm die Organisatoren das Rederecht verweigert hatten. Nur Vertreter der vier Siegermächte, Israels und Deutschlands sollten reden dürfen.

Obwohl Polens nationalpopulistische Regierungspartei und die Oppositionsparteien sich seit Jahren heftig über Demokratiedefizite und den Rückbau des Rechtsstaats streiten, waren sie in dieser Frage einer Meinung: Es sei unfair, dass der russische Präsident Wladimir Putin reden dürfe, der polnische aber nicht.

Der Hintergrund: Putin attackiert schon seit Wochen Polen und wirft den polnischen Vorkriegspolitikern eine Mitschuld am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs vor, leugnet aber zugleich die Komplizenschaft Stalins und Hitlers in den Jahren 1939 bis 1941. Dass der Hitler-Stalin-Pakt ein Geheimprotokoll enthielt, das im Falle eines Kriegs die Aufteilung in deutsche und sowjetische „Interessensphären“ vorsah und innerhalb von nur zwei Wochen zum Überfall Hitlers auf Polen führte, wischte Putin mit dem Verweis auf den deutsch-polnischen Nichtangriffspakt vom Tisch, ohne auch nur mit einem Wort auf den Überfall Stalins am 17. September 1939 auf Polen einzugehen.

Problematische Geschichtspolitik

Ganz im Ton der Sowjetpropaganda leugnet Putin die brutale Besatzung Ostpolens, die Deportationen, Enteignungen und Morde an der polnischen Intelligenz, wirft Polen aber massiven Antisemitismus und Kollaboration mit den Nazis vor.

Zwar wird Putin mit dieser Paganda wohl nirgends außer im eigenen Land auf Zustimmung stoßen, doch wollte Polens Präsident die Chance haben, auf eventuelle neue Vorwürfe des russischen Präsidenten auf dem Holocaust Forum in Israel antworten zu können. Dass weltweit bislang niemand für Polen in die Bresche gesprungen ist, hat mit Polens eigener Geschichtspolitik zu tun. Wer permanent ausländische Journalisten, Politiker und Künstler der Geschichtsfälschung bezichtigt und sogar mit einem „Holocaustgesetz“ versucht, weltweit eine Geschichtszensur durchzusetzen, muss sich nicht wundern, wenn sich im Falle einer tatsächlichen Geschichtslüge die Solidarität mit Polen in Grenzen hält.

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8 Kommentare

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  • Nicht zu fassen.Angesichts des Grauen von Ausschwitz haben Politiker wie Putin und Duda nichts besseres zu tun als am unbefleckten Heldenepos ihrer jeweiligen heroischen Nation zu basteln. Ekelhaft.

  • Danke für den Artikel. Tatsächlich hatte ich mich gestern gewundert warum Polen nicht in Jerusalem vertreten war - heute ist es genau andersrum. Auch wenn viele ausgewandert sind - die europäischen Juden sind von uns, die Ermordeten waren von uns. Europa hätte ihnen sichere Heimat sein müssen, Europa soll es zumindest in Zukunft sein.

  • Putin wurde von Polen nicht zur Gedenkfeier zum Sieg über den Nationalsozialismus eingeladen. Polen leugnet, dass Auschwitz von der Roten Armee befreit wurde, und schiebt die Befreiung auf eine "Ukrainische Armee". Als Antwort werden die russischen Archive geöffnet, damit sich jeder selber ein Bild machen kann.

  • "Auf viel Solidarität kann das Land nicht hoffen."

    Frau Lesser mit ihrem üblichen antipolnischen Narrativ...

    Sogar in Israel haben linke "Haaretz" und konservative "Jerusalem Post" den polnischen Standpunkt verteidigt:

    www.jpost.com/Opin...acate-Putin-614745

    www.haaretz.com/op...-to-sell-1.8436888

    • @agerwiese:

      Soll es "antipolnisch" sein, wenn die Autorin auf das Verhaten der PiS-Regierung hindeutet? Klingt ganz wie Kanczynski-Partei. Fuer die ist jede Kritik und andere Meinung "antipolnisch".

  • Guter und wichtiger Artikel!

    Nur: "Wer permanent ausländische Journalisten, Politiker und Künstler der Geschichtsfälschung bezichtigt und sogar mit einem „Holocaustgesetz“ versucht, weltweit eine Geschichtszensur durchzusetzen, muss sich nicht wundern, wenn sich im Falle einer tatsächlichen Geschichtslüge die Solidarität mit Polen in Grenzen hält."

    Ist das nicht ein bisschen harsch? Meine: auch in Deutschland ist Holocaustleugnung illegal und m.W. nach gilt das in z.B. Spanien für jedweden Völkermord.

    Und das polnische Holocaustgesetz sieht, wiederrum m.W., haupsächlich folgendes vor: strafbar ist die Behauptung der polnische Staat hätte aktiv am Holocaust mitgewirkt, das polnische Volk hätte aktiv am Holocaust mitgewirkt und die Rede von "polnischen Vernichtungslagern". Sollte ich irren, dann bitte ich um Korrektur.

    Sollte ich aber recht haben, dann ist dieses Gesetz doch nachvollziehbar, da es der historischen Wirklichkeit entspricht. Der polnische Staat kann nicht am Holocaust mitgewirkt haben, da zur der Zeit nicht existent. Zwar gab es auch polnische Kollaborateure, manche freiwillig, manche gezwungen, aber die Behauptung das polnische Volk insgesamt wäre am Holocaust beteiligt gewesen ist doch absurd. Und die Rede von "polnischen Vernichtungslagern", nun ja..... Das ist selbst innerhalb der Holocaustleugnung eine Art Holocaustleugnung................

    • @Tobias Schmidt:

      Das polnische Holocaustgesetz (das wegen der internationalen Empörung u. a. in Israel und in den USA noch Juni 2018 als Vorlag etwas gemildert worden war) strebt nicht einfach danach, leugnerische Reden zu verbieten. Es verhindert in der Tat jede Geschichteforschung über den polnischen Antisemistimus. z. b. über Ereignisse wie das Massaker von Jedwabne (Pogrom polnischer Bürger an ihren jüdischen Mitbürgern, 1941), über die Hinrichtungen von Juden von einigen Gruppen des antikommunistischen Widerstand während und nach dem Krieg (diesen Gruppen will die heutige Regierung in den Vordergrund der Geschichte und des Gedächtnis schieben), und über Ereignisse wie der Pogrom von Kielce (4. Juli 1946). Es ist kein Gesetz, gegen Holocaustleugnung oder zum Schutz der die "historischen Wahrheit", es ist ein Versuch, das Bild Polens im Ausland zu verbessern und die Arbeit der Forschung unter Staatskontrolle zu stellen.

      www.hagalil.com/archiv/98/07/kielce.htm

      www.jewishvirtuall.../the-kielce-pogrom

  • Ich finde das Fazit im letzten Absatz irgendwie problematisch - nur weil Polen sich einen geschichtspolitisch sehr kurzen Rock angezogen hat, soll es sich nicht über die internationale Gleichgültigkeit angesichts des Putin'schen Übergriffs wundern?