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Iran wird zurück­schlagen

Mit Qasim Soleimani haben die USA nicht nur einen äußerst populären Mann im Land getötet, sondern auch einen General, der viele Fronten geschaffen hat. Die Konsequenzen sind unabsehbar

Von Karim El-Gawhary, Jannis Hagmann und Bahman Nirumand

Die Welt kann sich keinen neuen Golfkrieg erlauben. In diesem Moment müssen Staatschefs maximale Zurückhaltung üben.“ Mit dieser Warnung reagierte UN-Generalsekretär António Guterres am Freitag auf die jüngste Eskalation des Konflikts zwischen den USA und dem Iran. Die Tötung des hochrangigen iranischen Generals Qasim Soleimani bei einem US-Luftangriff in Bagdad hat eine enorme Dimension, die Folgen – so viel steht schon jetzt fest – werden erheblich sein.

Eine US-Drohne hatte Soleimanis Konvoi in der Nacht zu Freitag nach dessen Ankunft am internationalen Flughafen in Bagdad mit drei Raketen beschossen. Neben Soleimani wurden vier weitere Menschen getötet, darunter auch der mächtige irakische Milizenführer Abu Mahdi al-Muhandis, der eng mit dem Regime in Teheran verbandelt war. Der Angriffsbefehl kam von Donald Trump persönlich, der damit offenbar kurzfristig seinen Rachedurst stillte. Der US-Präsident versteht den Schlag als Antwort auf den Angriff auf die US-Botschaft in Bagdad über Silvester. Viele der Demonstranten, die das Gebäude belagert und schließlich gestürmt hatten, gehörten der Kataib Hisbollah an, einer der zahlreichen schiitischen Milizen im Irak, die vom Regime des Nachbarlands Iran maßgeblich unterstützt und gelenkt werden. Diese wiederum hatte darauf reagiert, dass die US-Luftwaffe am Sonntag ihre Stellungen im Irak und Syrien bombardiert hatte.

Das Pentagon rechtfertigte den Angriff damit, dass Soleimani aktiv an Plänen gearbeitet habe, US-Di­plomaten und Einsatzkräfte in der Region zu attackieren. Der Iran dürfte die Aktion als Kriegserklärung an die iranischen Revolu­tions­garden und deren Al-Kuds-Elitetruppen werten, denen Soleimani als Kommandeur vorstand.

Die weitere Eskalation ist vorgezeichnet, denn Soleimani war nicht irgendein General. Der 62-Jährige gehörte zu den populärsten und einflussreichsten Figuren in der vierzigjährigen Geschichte der Islamischen Republik. Überall war sein Konterfei zu sehen, auf Plakaten, Zeitungstiteln und Briefmarken. Seine Anhänger verehrten ihn wie einen Heiligen; selbst junge Popmusiker, die mit Krieg und Märtyrertum nichts am Hut haben, feierten Soleimani. Auf YouTube finden sich zahlreiche Clips zu Ehren des Generals.

Soleimanis Tod dürfte seine Beliebtheit jetzt noch steigern. Im ganzen Land kam es am Freitag zu Massenprotesten. Aufnahmen aus So­lei­manis Geburtsstadt Kerman im Südosten des Irans zeigten Tausende schwarz gekleidete Trauernde; in Teheran sollen Zehntausende auf die Straße gegangen sein. Bei den Freitagsgebeten sprachen Prediger harsche Drohungen an die USA aus. Trump könne sich darauf einstellen, dass der Iran „das Blut Soleimanis rächen“ und „seine Tage in dunkle Nächte“ umwandeln werde, sagte der ranghohe Kleriker Ahmad Chatami in Teheran, der den Hardlinern im Land nahesteht.

Die Eskalation

Mai 2017:

US-Präsident Trump ruft muslimische Länder dazu auf, den Iran zu „isolieren“. Er wirft Teheran vor, „Terroristen“ zu finanzieren.

September 2017:

Das Regime habe Iran in einen „Schurkenstaat“ verwandelt, sagt Trump und droht erneut, das Atomabkommen von 2015 aufzukündigen.

Mai 2018:

Trump kündigt Rückzug aus dem Atomabkommen an. Drei Monate später setzen die USA Iran-Sanktionen wieder in Kraft.

April 2019:

Washington setzt Revolutionsgarden auf die Liste „ausländischer Terrororganisationen“.

Mai/Juni 2019:

Für Angriffe auf Tanker im Persischen Golf machen USA Iran verantwortlich. Iran schießt US-Drohne ab. USA bereiten Vergeltungsangriff vor, den Trump wieder absagt.

Juli 2019:

Teheran verstößt gegen Bestimmungen des Wiener Iran-Abkommens.

Juli 2019:

US-Kriegsschiff zerstört eine iranische Drohne. Teheran dementiert.

September 2019:

Raketen treffen Ölanlagen in Saudi-Arabien. Die jemeni­tischen Huthi-Rebellen reklamieren Tat für sich, die USA machen Iran verantwortlich.

Jahreswechsel 2019/20:

Bei Raketenangriffen im Irak wird am 27. Dezember ein US-Bürger getötet. USA fliegen Angriffe auf proiranische Milizen und töten mehr als 20 Kämpfer. Später stürmen Demonstranten die US-Botschaft in Bagdad. (afp)

Ähnlich reagierte die politische Führung. „Die Kriminellen erwartet eine furchtbare Rache“, warnte Revolutionsführer Ajatollah Ali Chamenei und ernannte Soleimanis bisherigen Stellvertreter Is­maeil Gha’ani prompt zu dessen Nachfolger. Der iranische Präsident Hassan Ruhani teilte mit: „Zweifellos werden der Iran und andere unabhängige Staaten dieses schreckliche Verbrechen der USA rächen.“

Auch die iranischen Verbündeten in der Region drohten, die Tötung Soleimanis zu vergelten. Der General gilt als Architekt der iranischen Strategie, in der gesamten Region ein Netzwerk irantreuer schiitischer Milizen aufzubauen. So­lei­mani hat es geschafft, im Nahen Osten Akteure zu schaffen, die militärisch und politisch als ferngesteuerte iranische Satelliten agieren und die Region destabilisieren.

Die prominenteste dieser Milizen ist die Hisbollah im Libanon. Zu den Verbündeten Teherans zählen aber auch die schiitischen Milizen im Irak und deren Parteien, die die Politik in Bagdad bestimmen. Darüber hinaus kämpfen Soleimanis ferngesteuerte Truppen auch aufseiten Baschar al-Assads in Syrien. Auch die Huthi-Rebellen im Jemen sind Teil der Soleimani-Strategie.

Dieses Konstrukt macht die jetzige Lage so gefährlich. Der General hat viele Fronten geschaffen, an denen der Iran nun zurückschlagen kann. Anders als bei bisherigen Konflikten in der Region – etwa im Irak­krieg 2003 oder im Afghanistankonflikt seit 2001 – wäre eine militärische Konfrontation mit dem Iran nicht auf dessen Landesgrenzen beschränkt. Das ist die wichtigste Hinterlassenschaft Soleimanis.

Die erste Front wird dabei wohl im Irak verlaufen: zwischen den schiitischen Milizen und den rund 5.000 verbliebenen US-Soldaten. Das Gros der Iraker, die nicht den schiitischen Milizen angehören, wird bei diesem Konflikt nur zusehen können – auch die seit Oktober entstandene Protestbewegung, die auf den Straßen Bagdads nun Soleimanis Tod feiert.

Auch in allen anderen Ländern mit schiitischen Milizen sind US-Vertretungen angreifbar. Die Iraner können ihr Netzwerk außerdem einsetzen, um US-Verbündeten in der Region wie Israel oder Saudi-Arabien das Leben schwer zu machen. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu brach am Freitag eine Auslandsreise ab; eine Dringlichkeitssitzung des Sicherheitskabinetts wurde einberufen. Dennoch lobte er den US-Schlag: „So wie Israel das Recht zur Selbstverteidigung hat, haben auch die Vereinigten Staaten exakt dasselbe Recht.“ Zuvor hatte der Führer der libanesischen Hisbollah, Hassan Nasrallah, zur Vergeltung aufgerufen. Die „verbrecherischen Mörder“ müssten eine „gerechte Bestrafung“ erhalten, erklärte er und rief „Widerstandskämpfer“ in aller Welt zu Racheakten auf.

Auch Ölanlagen und Tanker könnten erneut Ziel von Angriffen werden. Im vergangenen Jahr hat der Iran mehrmals unter Beweis gestellt, wie verwundbar die saudische Ölindustrie und damit der globale Ölmarkt ist. Nach Drohnenangriffen auf zwei Ölanlangen des saudischen Staatskonzerns Aramco im vergangenen September mussten die Saudis über Nacht ihre Ölproduktion auf die Hälfte herunterfahren. Da Saudi-Arabien 10 Prozent des weltweit vermarkteten Öls produziert, bedeutete das, dass der globale Ölmarkt mit einem Schlag 5 Prozent der Versorgung mit dem schwarzen Gold verloren hatte.

Mit einer dreitägigen Staatstrauer hat sich die iranische Führung zunächst eine Atempause verschafft, um sich zu überlegen, wann sie zuschlagen lässt. Denn eines steht fest: Auch nach General Soleimanis Tod sind Irans Eskalationsmöglichkeiten schier unbegrenzt.

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