Schlag ins Herz des Ölgiganten

Die Drohnenangriffe auf Saudi-Arabiens Erdöl-Infrastruktur treffen nicht nur die Wirtschaft. Eine Täterschaft der Huthi-Rebellen Jemens wäre auch politisch alarmierend

Kilometerweit waren die Rauchschwaden zu sehen: In Abqaiq brannte die größte Ölraffinerie Saudi-Arabiens Foto: social media/reuters

Von Karim El-Gawhary

Bedurfte es eines Beweises, wie verwundbar die saudische Ölindustrie und damit der globale Ölmarkt ist – er wurde dieses Wochenende erbracht. Mit Drohnenangriffen auf Ölanlagen im Osten Saudi-Arabiens wurde ein neuralgischer Punkt der Weltwirtschaft getroffen, der außerhalb der Ölindustrie bislang kaum bekannt war.

Die Angriffe am Samstag auf eine Ölraffinerie in Abqaiq und ein wichtiges Ölfeld in Churais verursachten gewaltige Feuer und Rauchschwaden, die sich bis zu 150 Kilometer über Saudi-Arabien ausbreiteten. Zunächst wurde der Anschlag von saudischer Seite heruntergespielt. Man habe die Feuer schnell unter Kontrolle gebracht und es gebe weder Todesopfer noch Verletzte. Doch am Samstagabend rückte Energieminister Chalid al-Falih mit dem wahren Ausmaß heraus: Der Schaden führe dazu, dass Saudi-Arabien seine Ölproduktion um 5,7 Millionen Tonnen täglich herunterfahren müsse, erklärte er. Das ist die Hälfte der saudischen Ölproduktion. Vor dem Hintergrund, dass das Land 10 Prozent des weltweit vermarkteten Öls produziert, bedeutet das: Der globale Ölmarkt verliert mit dem Angriff etwa 5 Prozent der Versorgung mit dem schwarzen Gold.

Für die Märkte noch bedeutender: Saudi-Arabien ist weltweit das mit Abstand wichtigste Land mit „spare capacity“, also einem Puffer bei der Ölproduktion. Das ermöglicht es dem Königreich, über Nacht den Ölhahn zu- oder aufzudrehen und damit den weltweiten Ölpreis zu gestalten. So kann die Regierung in Riad auch Krisen des Ölnachschubs in anderen Teilen der Welt ausgleichen.

Nun aber ist Saudi-Arabien mit seinem globalen Krisen-Puffer selbst angeschlagen. Die Schäden an den Ölanlagen zu reparieren und die saudische Ölproduktion wieder voll hochzufahren, könnte Tage, wenn nicht Wochen dauern. Was das für den Ölpreis bedeutet, wird sich zeigen, wenn am Montag die Märkte wieder öffnen. Das US-Energieministerium erklärte sich am Sonntag bereit, im Falle von Engpässen Ölreserven freizugeben.

Unklar ist bislang, wer genau für den koordinierten Angriff verantwortlich ist. Die vom Iran unterstützen schiitischen Huthi-Rebellen im Bürgerkriegsland Jemen nehmen für sich in Anspruch, zehn Drohnen in der bisher größten Operation gegen Saudi-Arabien losgeschickt zu haben. Stimmt das, dann haben die Huthis erneut bewiesen, dass sie Hunderte Kilometer tief im saudischem Staatsgebiet zuschlagen können – selbst an strategisch hochsensiblen Orten. Immer wieder hatten Huthis in den vergangenen Monaten mit Raketen und Drohnen Flughäfen, aber auch Ölpipelines in ihrem Nachbarland angegriffen. Saudi-Arabien führt im Jemen eine von den USA unterstützte Militärkoalition an, die aufseiten der weitgehend machtlosen jemenitischen Regierung gegen die Huthis kämpft. Sie bezeichneten die Angriffe am Wochenende als „legitime Antwort“ auf die Militärkampagne.

In ihrem Fernsehsender Al-Masirah TV kündigten die Huthis weitere Anschläge innerhalb Saudi-Arabiens an. Aufgehorcht haben aber dürfte das saudische Königshaus vor allem bei der Behauptung der Huthis, dass die Operation mithilfe von „ehrenhaften Menschen“ innerhalb Saudi-Arabiens durchgeführt worden sei.

Fast die gesamte Ölproduktion findet im Osten Saudi-Arabiens statt. Dort lebt die schiitische Minderheit des Landes, die von der sunnitischen Führung ohnehin schon mit Misstrauen beäugt wird. Die Schiiten in der Ost-Provinz betrachtet sie als Bürger zweiter Klasse. Immer wieder verletzten saudische Sicherheitskräfte in der Region die Menschenrechte. Eine militärische und geheimdienstliche Kooperation zwischen saudischen Schiiten, den jemenitischen Huthis und dem Iran selbst ist der Albtraum des saudischen Sicherheitsapparats.

Der saudische Albtraum: Eine Kooperation von saudischen Schiiten, jemenitischen Huthis und dem Iran

Die US-Regierung bezweifelt allerdings die Version der Huthis. Außenminister Mike Pompeo machte am Samstag den Iran direkt verantwortlich und sprach von einem beispiellosen Angriff auf die weltweite Energieversorgung. Die USA würden sicherstellen, dass der Iran für seine Aggression zur Rechenschaft gezogen werde. Es gebe keinerlei Beweise, dass die Drohnen aus dem Jemen kamen, twitterte er. Die US-Tageszeitung Wall Street Journal berichtet, dass Experten zurzeit untersuchten, ob die Angriffe möglicherweise aus dem Norden kamen – aus dem Iran oder von mit Teheran verbündeten schiitischen Milizen im Irak – und ob Drohnen oder Raketen im Einsatz waren.

Sicher ist, dass Saudi-Arabien und die USA mit dem Finger auf Teheran deuten werden, wie bereits in den vergangenen Wochen im Falle der Angriffe auf Öltanker am Golf. Sicher ist auch, dass diese Angriffe die Spannungen mit dem Iran in der Region und weltweit erhöhen werden, ohne dass dies allerdings automatisch Folgen zeitigt. Der Schlag gegen die saudischen Ölanlagen kann auch als eine Abschreckungsbotschaft verstanden werden, als Demonstration, wie vielfältig der Iran reagieren könnte, sollte er selbst militärisch angegriffen werden.

Für die USA und ihre saudischen Verbündeten sind die Angriffe vom Wochenende jedenfalls eine Blamage. Weder die USA als Saudi-Arabiens Schutzmacht noch die Saudis selbst mit ihrer Rüstungstechnologie, die sie vor allem in den USA eingekauft haben, können solche mit relativ einfachen Mitteln ausgeführten Angriffe verhindern.