Demokratie-Event in Berlin 2020: Eintritt für die Revolution

Der Circus Roncalli zieht im Juni ins Olympiastadion. Glauben Sie nicht? Fühlt sich aber so an. Geben wir die Kohle doch lieber radikal aus!

Berliner Olympiastadion in der Dämmerung

Für die Revolution kauft man keine Eintrittskarte. Auch nicht zum Soli-Preis Foto: dpa

Eines meiner Highlights 2019? Junge und auch ältere Menschen auf der ganzen Welt protestieren für Klimagerechtigkeit. Sie sind sichtbar, laut und widerständig. Zugegebenermaßen tun dies Indigene, Schwarze und weitere bereits jetzt vom Klima gefährdete Menschen schon viel länger und mit viel weniger medialer Aufmerksamkeit, aber dass sie den meisten weißen Leuten egal sind, ist altbekannt.

Die große Mobilisierung durch Greta Thunberg bockt trotzdem. Dass viele der Jugendlichen noch nicht in allen Aspekten der Gesellschaftskritik sensibilisiert sind, ist für mich kein Dealbreaker. Als Schüler_in hatte ich auch noch nicht alles auf dem Schirm, als ich mit meiner Ortsgruppe gegen Atomkraft nach Gorleben und Co. reiste. Ein wichtiger Schritt für meine Politisierung waren diese Aktionen trotzdem.

Was der Protest für mich jedoch nie war: ein Sell-out. Niemals wären meine Genoss_innen und ich auf die Idee gekommen, Menschen für 30 Euro Eintritt in ein Nazi-Bauwerk für Podiumsdiskussionen und das Unterschreiben von Petitionen zu locken, um unseren Zielen näherzukommen. Für die Revolution kauft man keine Eintrittskarte. Auch nicht zum Soli-Preis. Ist schließlich kein Zirkus und wir sind keine Clowns.

Ich unterschreibe wöchentlich Petitionen, nur wenige tragen wirklich dazu bei, dass sich etwas ändert. Viel lieber als meine Unterschrift gebe ich meine Reichweite und mein Geld für Crowdfundings her. Umverteilung ist eine wirksamere Form, um gegen Ungerechtigkeitsstrukturen vorzugehen. Zwar verändert man damit nur die Symptome und nicht das System, aber sie erhalten Menschen und Projekte weiter, die für mich diese Gesellschaft erträglicher machen. Dieses Jahr etwa „Analyse & Kritik“, ein Projekt für trans Sexarbeiter_innen oder Operationskosten für unterschiedliche trans Menschen of Color. Die Unterstützer_innen sind meist Menschen, die selber nicht viel Geld haben, entsprechend setzt sich der Endbetrag aus sehr vielen kleinen zusammen. Doch nicht jedes Crowdfunding ist erfolgreich.

Neoliberal, zahnlos

Fast wäre auch „12/06/2020“ gescheitert. Dann geschah, um in der biederen Rhetorik der Veranstaltung zu bleiben, ein kleines Weihnachtswunder: Für „das größte Demokratie­event“ im Olympiastadion kamen bisher über 2 Millionen Euro zusammen, finanziert von großzügigen Spender_innen, die teilweise auch mal 60.000 Euro rausgehauen haben.

Viele Jugendliche for Future kritisieren die Veranstaltung, weil sie viele Menschen ausschließt und mögliche Erfolge nur Spekulation sind. Neoliberal, zahnlos und in erster Linie symbolisch: Sie sagen „BürgerInnenversammlung“, ich nenne das Bürgi-Event „Circus Roncalli“. Bisher kam nie irgendwas Gutes dabei raus, wenn sich gleichgesinnte Deutsche im Olympiastadion vereinigt haben. Lasst uns im neuen Jahr stattdessen dafür sorgen, dass linke Protestkultur wieder radikal wird.

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Hengameh Yaghoobifarah studierte Medienkulturwissenschaft und Skandinavistik an der Uni Freiburg und in Linköping. Heute arbeitet Yaghoobifarah als Autor_in, Redakteur_in und Referent_in zu Queerness, Feminismus, Antirassismus, Popkultur und Medienästhetik.

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