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Rentenproteste in FrankreichRenten rauf – auch in Deutschland

Ulrike Herrmann
Kommentar von Ulrike Herrmann

Die deutsche Kritik am Rentensystem Frankreichs ist reichlich verwunderlich. Denn in der Sache machen die Franzosen fast alles richtig.

Perpignon, am 5. Dezember: Staatsbedienstete protestieren gegen die geplante Rentenreform Foto: Milhet/Hans Lucas/imago images

D as deutsche Urteil steht fest: Die spinnen, die Franzosen! Wie kann man 42 verschiedene Rentenkassen haben? Oder mit 52 Jahren in Rente gehen? Doch bei näherer Betrachtung zeigt sich: Das französische Rentensystem funktioniert besser als das deutsche.

Es trifft nämlich nicht zu, dass sich die Franzosen massenhaft in die Frührente verabschieden würden. Das durchschnittliche Renteneintrittsalter liegt bei 62 Jahren, in Deutschland sind es 64 Jahre.

Markante Differenzen gibt es jedoch beim Geld: Die französischen Rentner erhalten durchschnittlich 1.400 Euro im Monat, während es in Deutschland 2018 ganze 906 Euro waren.

Die höheren Renten lassen sich finanzieren, weil in Frankreich auch die Rentenbeiträge höher sind. Die Arbeitnehmer führen 11,2 Prozent ihres Lohns an die Rentenkassen ab, die Unternehmen müssen sogar 16,3 Prozent beisteuern. In Deutschland hingegen zahlen Arbeitnehmer und Arbeitgeber nur jeweils 9,3 Prozent des Bruttolohns. Das wirkt zunächst wie ein gutes Geschäft für die deutschen Beschäftigen, aber sie sollen ja auch noch 4 Prozent in eine Riester-Rente stecken. Macht in Wahrheit 13,3 Prozent – das ist mehr als bei den Franzosen.

In Deutschland wird gern gefordert, dass die Lohnnebenkosten auch in Frankreich sinken müssten, sonst wären die dortigen Betriebe ja gar nicht mehr wettbewerbsfähig! Renten runter in Frankreich, lautet die deutsche Devise.

Diese deutsche Hochnäsigkeit ist seltsam, denn die Franzosen haben alles richtig gemacht. Sie haben ihre Alten gut versorgt – und die Gehälter sind auch gestiegen. In der Summe betrug das jährliche Plus bei den französischen Lohnstückkosten etwa 2 Prozent – das ist genau der Pfad, den die Europäische Zentralbank vorschreibt.

Das Problem sind nicht die Franzosen, sondern die Deutschen. In der Bundesrepublik steigen Löhne und Renten viel zu langsam. Wir müssen von den Franzosen lernen – nicht umgekehrt.

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Ulrike Herrmann
Wirtschaftsredakteurin
Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).
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12 Kommentare

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  • In Deutschland würden viele Schapp Atmung bekommen, so indoktriniert ist die ehemalige BRD und Ihre Bürger, wenn wie in Holland heute, jeder der 50 Jahre in Holland gelebt, und keinen Tag gearbeitet hat, bekommt 1200 Euro im Monat. Dann gibt es die zusätzlichen Betriebsrenten, für alle die gearbeitet haben, und deshalb bekommen viele Holländer oft mehr Rente als vorher Gehalt?

    Denn im Gegensatz zu Deutschland, wird in Holland Hausarbeit, Kindererziehung und Pflege der Angehörigen als Arbeit gesehen. Im Gegensatz zu Deutschland, wo ja noch bis in die 70ziger Jahre hinein, Ehefrauen, ihre Ehemänner um Erlaubnis bitte mussten, um arbeiten gehen zu dürfen.

    In Österreich bekommt jeder Eckrentner ca. 900 Euro mehr Rente in Monat als ein deutscher Eckrentner, und dass liebe Deutsche auch noch 14 Mal im Jahr.

    Oder nehmen wir die Schweiz oder die Skandinavischen Länder, alle o.g. Länder haben eines gemeinsam, weniger Ausnahmetatbestände im Steuerrecht, alle Einkunftsarten werden mit herangezogen, eine Vermögenssteuer und last but not least eine Erbschaftssteuer die ihren Namen auch verdient. Auch gibt es keine Beitragsbemessungsgrenzen wie in Deutschland. Im Übrigen ein Novum in Europa und der Welt.

    Da kann man sich schon fragen, können die anderen Länder alle besser rechnen als Verantwortliche in Deutschland? Oder ist das Ideologisch begründet? Ich vermute einmal letzteres, weil viele Kommentare zu diesem Thema in Deutschland nichts anderes zulassen.

    Deutschland den Reichen schon seit Kaiser Zeiten, unter Adenauer verfeinert, und unter Schröder dem Kanzler der Bosse mit seinem Sanktionssystem Hartz IV perfektioniert. Und mit dem größten Niedriglohn in Europa, auch noch Stolz in Davos verkündet. Armut per Gesetz.

    Wenn es keine 180 Grad Wende in der Lohn und Rentenpolitik, können sich 40% AN die heute weniger als 2000 Euro brutto verdienen, auf Sozialhilfe im Alter einstellen.

    • @Illoinen:

      Mich kotzt dieses Land, nein, das stimmt natürlich nicht, weil dies zu ungenau ist, aber dafür der Verantwortliche unter den Verantwortlichen gewaltig an.

  • "Deutschland geht es gut." - Wir werden unterWert regiert. Und der gute Ruf von Angela Merkel wundert mich immer mehr. Unter ihrer Ägide wurde immer nur der deutschen Oligarchie gedient. Soziale Anliegen wurden klein gehalten und geringstmöglich mit Pflastern versehen.

    Es ist erstaunlich, wie die soziale Askese und das Auszehren des Staates mit der Schuldenbremse bei gleichzeitig erhöhten Rüstungsausgaben und Geschenken an Wirtschaft und das obere Prozent hier in Deutschland als Regierungskunst verkauft werden kann.

  • Soziales Lotterleben an der Seine auf unsere Kosten...

    Eine dankenswerte, längst überfällige Klarstellung in dieser unsäglichen Debatte über das soziale Lotterleben an der Seine auf Kosten der fleißigen Deutschen, gehört doch die Stutzung der Rentenbezüge zu den besonders hartnäckigen Forderungen des deutschen Aktionariats an die Adresse der französischen Regierung. Dabei sind die Unterschiede insgesamt betrachtet in der Tat eher geringfügig. So betragen die Sozialschutzleistungen laut Eurostat in Frankreich 31,6 % und in Deutschland 30,1 % des BIP. Der Anteil an öffentlichen Ausgaben für das Rentensystem betrug 2009 13,6 % in Frankreich und 12,1 % in Deutschland. (Beide Zahlen sind allerdings insoweit inkommensurabel, da die budgetfinanzierten, also staatliche Transferleistungen darstellenden Beamtenpensionen in Deutschland darin nicht enthalten sind. Dies eingerechnet, dürften die öffentlichen Ausgaben für die Ruhestandssysteme in Deutschland proportional sogar noch über denen in Frankreich liegen.) Nach diesem Vergleich bleibt schleierhaft, wieso bei diesen geringen Differenzen in beiden Ländern die Eurorettung ausgerechnet mit einer Rentenreform in Frankreich kommen soll.

    Überhaupt ist die ganze Debatte um die sog. Wettbewerbsfähigkeit nichts anderes als eine Contradictio in adiecto, ein semantischer Unsinn: Bei jeder Art von Wettbewerb geht es um Konkurrenzvorteile, um Rangordnung, um Niederringen des Gegners. Von den Franzosen mehr Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Deutschland zu fordern wäre das gleiche, als wenn Union Berlin vor dem gestrigen Spiel gegen den 1. FC Köln von den Kölnern eine bessere Taktik, mehr körperlichen Einsatz oder eine andere Aufstellung gefordert hätte.

  • Mehr Rente durch mehr Beiträge ist mal eine simple Rechnung. Grundsätzlich würde ich es begrüßen auch Kapitalerträge in die Finanzierung der Sozialsysteme einzubeziehen. Aber zwei Punkte stoßen mir auf, die leider im Artikel nicht erwähnt werden:



    1.) Wie Adele Walter erwähnt hat, gibt es krasse Unterschiede bzgl. Rentenalter und Höhe in Frankreich. Und hierzulande ist schon die Spreizung zwischen Pension und Rente ein Problem.



    2.) In einer Durchschnittlichen Gesamtbetrachtung ist das Rentensystem ein mathematisches Problem: steigende Lebenserwartungen in Verbindung mit geringen Geburtenraten zwingen zu Rentenreduktion bzw. Anstieg der Lebensarbeitszeit. Alle anderen Maßnahmen (französisches, österreichisches, niederländisches System usw.) sind ein übertünchen des Grundlegenden Systems. Ach du Mathematik, du kannst so ehrlich grausam sein...

    • @Andi S:

      Sie vergessen die Produktivitätssteigerung. Die muss auch mit eingerechnet werden. Leider wird die gerne "vergessen". Wenn man schon die Mathematik bemüht, dann sollte man das auch richtig tun.



      norberthaering.de/...hreiner-demografie



      Die Gewinne durch steigende Arbeitsproduktivität wandern bei uns komplett in die Taschen der Arbeitgeber. Und die sogenannten Bundeszuschüsse gleichen nicht einmal die Ausgaben für versicherungsfremde Leistungen aus der Rentenkasse aus.

    • 7G
      75064 (Profil gelöscht)
      @Andi S:

      2.) lässt eine weitere Möglichkeit außen vor: Die Erhöhung des Anteils am BIP, der für die Versorgung der Rentner aufgewendet wird; sei es über Steuer- oder über Beitragserhöhungen. Das wäre im Übrigen ja auch logisch: Mehr Rentneranteil = höherer Anteil am BIP.

  • Ja und nein. Mit Durschnittswerten zu argumentieren ist immer gefährlich. In F gibt es grosse Diskrepanzen bei den Rentenbedingungen. Die SNCF geniesst immer noch Privilegien wie kaum ein anderes Unternehmen. Druchschnittsrente 2 636 €, Durschnittsrentenalter 56,9. Das ist von der Duchschnittsrente von 1 496 € weit entfernt. (Zahlen von 2017).

    Selbst im frz. ÖD ist das Rentenalter aktuell noch 62 wird aber wie in D bis 2035 auf 67 angehoben.

    Ja, die Renten müssen erhöht und die Rentenbasis muss vergrössert werden. Nein, die SNCF verteidigt nur ihr nicht mehr gerechtfertigten Privilegien.

    www.lepoint.fr/eco...019-2351459_28.php

    retraite.dispofi.f...aite/fonctionnaire

  • RS
    Ria Sauter

    Danke für diesen Beitrag.



    Das ist richtig, wird aber von unserer Politiker- und Expertenelite nicht umgesetzt werden. Mal schauen, was die neue SPD dazu sagt.

    • @Ria Sauter:

      Schade, Ulrike Herrmann war früher sehr viel präziser. Das verkrustete System von Privilegien in Frankreich ist alles andere als ein Vorbild ("machen alles richtig"). Ich fasse es nicht!

      • @Monika Frommel :

        ...sprach die Ökonomin, Frau Monika F.F. ...

        ;-)

    • @Ria Sauter:

      Spannender wird es was die SPD macht und nicht was mal wieder gesagt wird.



      Die Erfahrung lehrt dass nicht so spannend wird.