Wahlkampf in Großbritannien: Erdbeben verhindern
Im Wahlkreis des ältesten Labour-Abgeordneten ist Kohlebergbau passé. Statt Kohle droht Fracking, statt Labour die Tories.
Die Duvals sind darüber jedoch weniger besorgt als über ein anderes Problem: Fracking. „Es machte aus mir, die einst vor politischen Themen weglief, eine feurige Kämpferin“, gesteht Judith. Sie und Kenneth haben sogar eine Lobbygruppe „Creswell against Fracking“ gegründet. Creswell ist ein größeres Dorf vier Kilometer von Elmton. Die beiden erzählen, wie die Leute hier sie zuerst als aufsässige Zugereiste abstempelten, bis dann eines Tages zahlreiche weiße Lkws und Kleinlaster mit Vermessungsteams anrollten und wochenlang das Gestein unter der Erde in der Umgebung prüften.
Die beiden wurden zum Sprachrohr aller umliegenden betroffenen Gemeinden. Von ihrem Parlamentsabgeordneten, Labour-Veteran Dennis Skinner, erhielten sie jedoch keine Hilfe. Statt sich selbst hinter die Kampagne gegen Fracking zu stellen, reichte der 87-Jährige, ein Urgestein des linken Labour-Flügels im Parlament, lediglich Briefe weiter, erzählt Kenneth.
Inzwischen haben selbst die Tories, die Fracking vorher groß anpriesen, ein Moratorium ausgerufen. Das sei noch nicht das Ende, aber zumindest ein vorläufiges Ende, glauben Kenneth und Judith. Im Dezember will Kenneth jedenfalls Grün wählen, auch wenn der grüne Kandidat hier eigentlich keine Chance hat.
Bolsover ist eigentlich Labour-Land
„Zum einen ist es wegen der Umwelt, zum anderen wegen deren Bekenntnis zur EU“, sagt Kenneth. Auch wenn er selber etwas kritisch gegenüber der EU ist, will er nicht, dass Großbritannien unter Boris Johnson „zum 51. Bundesstaat der USA wird“, wie er argumentiert.
Judith, die ebenfalls positiv zur EU steht – „wir sind Europäer“ – äußert sich ein bisschen vorsichtiger. „Klar, ich werde nie konservativ oder die Brexit Party wählen, aber es gibt neben Labour, den Grünen und den Liberaldemokraten hier auch zwei unabhängige Kandidaten. Bevor ich mich entscheide, muss ich mir die genauer anschauen.“
Der Wahlkreis Bolsover ist seit vielen Jahrzehnten unangefochtenes Labour-Land, nicht zuletzt wegen seiner Bergbauvergangenheit. Dennis Skinner ist seit 1970 Wahlkreisabgeordneter. Noch bei den letzten Wahlen 2017 holte er 52 Prozent. Doch die Konservativen lagen ihm mit 40,5 Prozent, deutlich mehr als die 24,5 Prozent zwei Jahre zuvor, viel dichter auf den Fersen als gewohnt.
In Creswell warten Tracey English und John Hopkins, beide 50, vor der Grundschule am frühen Nachmittag auf ihre Kinder. Nicht weit von ihnen steht ein einsamer, alter Transportwagon am Rand einer einstigen Bergwerkssiedlung aus dem 19. Jahrhundert. Der alte Kohlewagen steht dort als Denkmal: 1950 starben hier 80 Menschen unter Tage aufgrund eines Maschinenfeuers. Statt Kohle enthält der Wagen ein Blumenbeet.
Umschwung in allen alten Industrierevieren
English und Hopkins, ehemalige Labour-Wähler, wie sie sagen, sind ein Teil des Umschwungs weg von Labour, der überall in den alten Bergbau- und Industrierevieren zu spüren ist. „Wir wollen aus der EU raus, und außerdem ist Corbyn der Unterstützer von Terroristen“, sagt Hopkins. „Wir stimmten dafür, uns von der EU nichts mehr sagen zu lassen“, ergänzt English. Hopkins will diesmal die Konservativen wählen.
Zu den Wahlen: Am 12. Dezember wählt das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland ein neues Parlament. Das Ergebnis wird über die Zukunft des Landes bestimmen: ob der Brexit vollzogen wird oder nicht, davon abhängig eventuell auch, ob der britische Gesamtstaat geeint bleibt oder nicht. Die taz begleitet den Wahlkampf mit einer lockeren Serie von Eindrücken aus unterschiedlichen Wahlkreisen und Milieus.
Auch andere bestätigen, dass Labour in Creswell inzwischen auf dem musealen Abstellgleis steht wie der Kohlewagen. Dass Labour beabsichtigt, Rekordsummen in das Land zu investieren, ist ihnen egal. Das seien doch nur unbezahlbare Wahlköder, behauptet Hopkins. „Die Rechnung für die Ausgaben tragen dann im Zweifelsfall wir, die Armen.“
In Elmton glaubt Judith nicht, dass es so weit kommen wird und Skinner nach fast 50 Jahren den Wahlkreis verliert. Sie glaubt, dass die Konservativen die Leute mit ihrem Slogan „Get Brexit Done“ die Leute an der Nase herumführen. Und sie glaubt nicht, dass in dieser vom Bergbau geprägten Region die Konservativen je eine Mehrheit erhalten können. Sollte das doch geschehen, gäbe es in Bolsover doch noch Erdbeben. Und sie hätten nicht einmal etwas mit Fracking zu tun.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Trump erneut gewählt
Why though?
Harris-Niederlage bei den US-Wahlen
Die Lady muss warten
Pro und Contra zum Ampel-Streit
Sollen wir jetzt auch wählen?
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
US-Präsidentschaftswahlen
Die neue Epoche
Pistorius stellt neuen Wehrdienst vor
Der Bellizismus kommt auf leisen Sohlen