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Die Welt als WunderÖfter mal Swingen

Dialektik der Aufklärung 2.0. Die Woche hat mal wieder gezeit, wie eng Diskurse geführt werden. Eine gute Party funktioniert anders.

Diskursiv darf man ruhig öfter mal durcheinander trinken Foto: Unsplash/ Kelsey Chance

E in bisschen befremdlich finde ich es ja immer, wenn Erwachsene andere Erwachsene (meist auf Buchrücken oder in schlecht geschriebenen Rezensionen) dafür loben, „noch staunen zu können wie ein Kind“. Der Welt nicht gleichgültig, sondern mit Liebe und Aufmerksamkeit begegnen kann man auch, ohne dass man fallenden Blättern hinterhertaumelt und bei jeder Äußerung, die nicht dem eigenen Weltbild entspricht, die Kinnlade fallen lässt. Diese Woche aber war die Welt mal wieder derart Freakshow, dass ich, trotz déformation professionelle, sprich: zum Zynismus erzogen, aus dem Staunen nicht herausgekommen bin.

Dabei fing alles ganz harmlos an. Ich war nach Hannover gefahren, um mal etwas Schönes zu machen. Ein Baby angucken. Über Babys, das gebe ich zu, konnte ich schon immer staunen, so viel Persönlichkeit auf so wenig Kubikzentimetern zusammengefaltet.

Dann aber ging’s los: Massen an Polizisten, die meisten zu Pferd, als wollten sie Game of Thrones reenacten. Tatsächlich aber wollten sie 120 NPD­lern (Sie erinnern sich – diese Partei, die zu irrelevant war, um sie zu verbieten) ihr Recht auf Demonstrationsfreiheit sichern. Na gut, dachte ich, der Rechtsstaat funktioniert, wer nicht verboten ist, darf eben demonstrieren. Auch wenn er, anerkanntermaßen, verfassungsfeindlich ist. Bitte sehr.

Über genau diesen funktionierenden Rechtsstaat hab ich mich dann aber, kaum zurück in Berlin, doch sehr gewundert. Nämlich als er dem Verein VVN-BdA, kurz für Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten, die Gemeinnützigkeit aberkannte.

Grund: Der Landesverband in Bayern sei im bayerischen Verfassungsschutzbericht wiederholt als „linksextremistisch beeinflusst“ bewertet worden. Eigentlich ist zu dem Thema alles gesagt, namentlich hier in dieser Zeitung von ­Jagoda Marinić.

Die Kunst wäre, nicht beim erstbesten Grüppchen hängen zu bleiben, sondern, wie jeder gute Gast auf jeder guten Party, ab und an weiterzuswingen – äh denken

Sprachlos bin ich trotzdem noch angesichts der kognitiven Dissonanz, die bei denen grassieren muss, die nach dem antisemitischen Anschlag in Halle gerade erst allerlei Dinge im Kampf gegen den Antisemitismus gefordert haben. Mehr Gesetze, mehr Zivilgesellschaft, mehr Blabla. Ganz nach dem Motto: Wie soll ich wissen, was ich denke, bevor ich höre, was ich sage?

Weit ist es halt mit unserer (Selbst-)Erziehung nach Auschwitz nicht her, auch wenn das der Deutschen liebstes Märchen ist. Eigentlich nicht erstaunlich, wenn ich lese, was die Schriftstellerin Mirna Funk in Monopol über die frisch ernannte neue Chefin des Jüdischen Museums in Berlin, Hetty Berg, selbst Mitglied einer jüdischen Gemeinde, schreibt: „Seit Jahrzehnten wird der Großteil aller jüdischen Museen, jüdischen Gedenkstätten und jüdischen Kulturinstitutionen von Nicht­jü­d*innen geleitet.“

Damit haben die bis heute die Deutungshoheit der Rezeption über jüdisches Leben, jüdische Geschichte und jüdische Religion inne. Und na klar – ich kenne das Argument und es ist auch nicht falsch – muss man Leid nicht selbst erfahren haben, um dagegen einzustehen. Alles andere hieße ja nur, den Menschen die Empathiefähigkeit abzuerkennen – und so fertig bin noch nicht mal ich.

Gleichzeitig wundere ich mich halt schon oft über die fehlende Empathie, wenn es Antisemitismus geht, so ein ganz leises „ist doch auch mal gut jetzt, und überhaupt gehts anderen viel schlechter“ (als ob das eine das andere schwächen oder ausschließen würde), schwingt da nicht selten mit – und nein, ich rede nicht mit Rechten, also sind hier explizit alle gemeint.

Vielleicht hat dieser Whataboutism auch mit dem zu tun, was ich hier mal locker-flockig Dialektik der Aufklärung 2.0 nennen will. Die Brutalität oder Kühle entsteht aktuell ja nicht mehr durch Technik, die Menschen zu vereinzelten Fachidio­ten macht. Im Gegenteil bringt die Kommunikationstechnik (aka Internet) sie zusammen. Was vereinzelt, sind die Diskurse, die in immer engeren Kreisen geführt werden – und den Blick auf die anderen dabei, so scheint es mir, verwischen.

Ob die Technik daran vielleicht doch ihren Anteil hat, musste ich mich diese Woche fragen, als die von meiner kleinen Zeitung so geschmähten Bauern (die in ihrer Gülle-Bubble einfach nicht in der Lage sind, sich ihres Verstandes zu bedienen und das Notwendige, den Klimaschutz, einzusehen) hier in der Friedrichstraße einritten. Ich will nicht sagen, man hat sich verstanden, aber es war trotzdem ganz hübsch, wie Hauptstadthirn und Umlandschädel hier mal kurz aufeinandertrafen.

Echte Mobilisierung, also solche mit Sprit und anderen Schweinereien braucht’s für solche Treffen nicht, die Technik bietet alle Möglichkeiten, auch mal fremdzudenken. Die Kunst wäre halt, nicht beim erstbesten Grüppchen hängen zu bleiben, sondern, wie jeder gute Gast auf jeder guten Party, ab und an weiterzuswingen – äh -denken. Hier und da wird man sich wundern, oder staunen – aber hey: Sonst wär’s ja auch sterbenslangweilig.

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Ariane Lemme
Redakteurin
schreibt vor allem zu den Themen Nahost, Antisemitismus, Gesellschaft und Soziales
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2 Kommentare

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  • Was für ein überheblicher Text, da ist aber jemand von der eigenen Überlegenheit entzückt.

  • Sehr schön. Danke.