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Deutsches GemeinnützigkeitsrechtKeine Konkurrenz für Parteien

Finanzminister Olaf Scholz will das Gemeinnützigkeitsrecht reformieren. Seine Vorschläge lassen Umweltverbände um ihre Existenz fürchten.

Greenpeace-Aktion im Berliner Regierungsviertel: gemeinnützig, politisch oder beides? Foto: Christian Mang

Berlin taz | Über 600.000 gemeinnützige Organisationen arbeiten in Deutschland – Sportvereine, Stiftungen, Umweltverbände, Genossenschaften. Manchen von ihnen könnte künftig die Neuregelung Probleme machen, die das Bundesfinanzministerium gerade mit den Ländern diskutiert. Die zentrale Frage lautet: Wie politisch dürfen gemeinnützige Organisationen handeln?

Der Status der Gemeinnützigkeit ist wichtig: Er garantiert die Befreiung von der Körperschaftsteuer, ermöglicht es Vereinen, Spendenbescheinigungen auszustellen, und erleichtert ihnen so die Finanzierung. Nun jedoch soll die Vergünstigung daran geknüpft werden, dass eine politische Betätigung gegenüber dem eigentlichen Satzungszweck der Organisation „weit in den Hintergrund tritt“, schlägt das Bundesfinanzministerium vor. Dürfte dann noch ein Sportverein in einem Bündnis gegen Neonazis mitwirken oder sich die Umweltorganisation Greenpeace zur Steuerpolitik äußern?

Dass Finanzminister Olaf Scholz (SPD) jetzt aktiv wird, hat mit dem Attac-Urteil des Bundesfinanzhofs vom Januar 2019 zu tun. Die Richter*innen entschieden, dass die globalisierungskritische Organisation wegen ihrer politischen Arbeit nicht länger als gemeinnützig anerkannt werden könne. In der Folge entzog das zuständige Finanzamt den Unterschriftensammler*innen von Campact die Fördermöglichkeit.

Offiziell erweckte die Ministeriumsspitze daraufhin den Eindruck, die gemeinnützigen Organisationen absichern zu wollen. Aber sie verfolgt noch ein zweites Interesse: Gleichzeitig will sie verhindern, dass Verbände den Parteien zu ähnlich werden und dafür noch Steuervorteile in Anspruch nehmen – daher die eventuelle Beschränkung der politischen Tätigkeit. Nun läuft die Debatte – was dabei herauskommt, ist unklar.

Wie politisch darf Gemeinnützigkeit sein?

Deshalb intervenieren nun neun Umwelt- und Entwicklungsorganisationen, darunter der Bund, die Umwelthilfe und der Verkehrsclub VCD. Es liege in der „Natur der Sache“, dass man Umwelt- und Klimapolitik nur politisch betreiben könne. Deshalb verlangen sie, die Abgabenordnung, die die Steuervergünstigung regelt, so zu ändern, dass „gemeinnützige Zwecke auch überwiegend oder sogar ausschließlich mit politischen Mitteln verfolgt werden dürfen“.

Der Umweltverband BUND schlägt darüber hinaus vor, den Katalog der förderungsfähigen Zwecke in der Abgabenordnung zu ergänzen. Beispielsweise solle das Finanzministerium „die nationale und internationale Durchsetzung der Menschenrechte“, „Gleichberechtigung der Geschlechter“ sowie „Rechts- und Sozialstaatlichkeit“ hinzunehmen. Organisationen wie Attac müssten sich, um ihre Gemeinnützigkeit zu begründen, nicht länger mit Hilfskonstruktionen wie „Förderung der Volksbindung“ behelfen, die heute in der Abgabenordnung stehen.

Die Verbände sprechen sich auch gegen die Idee des Finanzministeriums aus, den neuen Status einer „politischen Körperschaft“ ins Leben zu rufen, um Steuervorteile jenseits der Gemeinnützigkeit zu ermöglichen. Möglicherweise müsste Greenpeace sich dann in zwei Teile zerlegen. Der grüne Europaparlamentarier Sven Giegold sieht das ebenfalls kritisch: „Der politische Verein ist nicht die Lösung, sondern eine Verschärfung des Problems. Die Trennung in gemeinnützige und politische Vereine würde die Zivilgesellschaft aufspalten.“

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15 Kommentare

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  • "Wie politisch dürfen gemeinnützige Organisationen handeln?"

    Spannende Frage. Anders formuliert: wie gemeinnützig ist die Politik?

  • Zweierlei Maß

    In dieser Debatte misst das Finanzministerium mit zweierlei Maß: Auf der einen Seite wird Vereinen wie Attac, Campact und VVN-BdA die Gemeinnützigkeit aberkannt, obwohl diese Vereine ohne jeden Zweifel eine wichtige und wertvolle Aufgabe für die Allgemeinheit leisten.

    Auf der anderen Seite wird die Gemeinnützigkeit der Lobbyverbände oder zum Beispiel der Bertelsmann-Stiftung nicht einmal hinterfragt, obwohl die noch direkter politisch tätig sind, teilweise sogar freien Zutritt zum Deutschen Bundestag haben und dort direkt Einfluss auf Politiker nehmen können.

    Unterm Strich kann man da den Eindruck gewinnen, als wolle jemand politisch unbequemen Vereinen das Leben schwer machen bzw. sie aus dem Weg räumen. Getroffen hat die Aberkennung der Gemeinnützigkeit bisher ausschließlich Organisationen, die politisch links verortet sind.

    Für das Vertrauen in Demokratie und Rechtsstaat ist das Vorgehen der Finanzbehörden äußerst kontraproduktiv. Und für die SPD ebenfalls.

  • Warum wohl, bekommt Scholz zurzeit so viele Mediale Unterstützung?



    Auf Scholz kann sich die deutsche eben Oligarchie verlassen.

    Die Herrschenden werden langsam nervös, also schränkt man das wichtigste, in einer Demokratie ein, nämlich, die sog. Meinungsfreiheit.

    Obwohl, nicht erst seit Assange, weiß man, dass mit der sog. "Meinungsfreiheit" im Westen ist so eine Sache. In der DDR gab es IM, heute haben wir etwas das auch noch viel schlimmer ist, die Digitalisierung und Algorithmen

    Aber was tut das zur Sache, wo doch ihr Betrachtungsgegenstand, ein System, das George Orwells Big Brother als omnipräsentes "Demokratie Schwein" installiert, schon für sich ein Skandal sondergleichen ist?

    Was mich erschreckt, ehmalige IM bekommen noch heute kein Bein auf die Erde, während Bespitzlungen in Deutschland wie im gesamten Westen, als "normal und legitim" so gut wie nicht kritisiert wird. Erschreckend, dass dies in sog. westlichen Demokratien, welche ja immer als leuchtendes Beispiel für "Meinungsfreiheit" im Westen verlogener Weise dargesllt werden. Jedenfalls dann, nicht gelten, wenn sich die Herrschenden angegriffen fühlen. Dann ist der Westen nicht besser oder schlechter als jede Autokratie oder Diktatur. Dann sind sich die Systeme in der Sache einig. Mir fällt gerade Assange ein, oder Guntanamo ein, als leuchtendes Beispiel, Würde man auch so zurückhalten sein? Im Westen wurden noch immer jede Proteste, gegen das System brutalstmöglich niedergeknüppelt, siehe Gelb Westen in Frankreich (Hat jemand die vielen Gliedmaßen die abgetrennt wurden gezählt, oder das Augenlicht verloren? Dagegen täglich in den westlichen Medien Stimmung für brutale Proteste, deren jeder Einzelne gehört angeklagt und verurteilt? Das fordert aber seltsamer Weise niemand im Westen? Kann es sein das der Westen schon immer mit zweierlei Maß misst?

  • Sind die "Genossen" bei der SPD besoffen, oder hat der Sozial Kapitalist Schröder seine "Kinder" los geschickt.



    Wenn einem nichts gegen rechte Vereine einfällt und die eigene sozialpolitische Vision, mit dem Abbau selbiger beschäftigt ist... dann kommt man mit solchen einfältigen wie äusserst fragwürdigen Ideen um die Ecke. Herr Scholz sollte einen Partei wechesel in betracht ziehen, oder noch besser die SPD endlich die Auflösung bekannt geben.

  • Schon Fürsten, Könige und Kaiser hatten ihre Speichellecker und Finanziers, auf deren Unterstützung sie angewiesen waren. Und sie sorgten im Gegenzug dafür, dass das Volk dumm und arm und Leibeigene blieben, zum Wohle und zur Verteidigung der "Gott gewollten Ordnung": der Trennung von Arm und Reich!

    Mit der Attac Entscheidung wurde die Tür geöffnet, jetzt wird sie eingetreten, damit sie nicht mehr repariert werden kann. Herzlichen Dank, Herr Scholz! Herzlichen Dank, ihr Sozialdemokraten, die ihr euch immer noch gerne im Schröder Koben suhlt!

  • FEHLER: "Volksbindung" -> "Volksbildung"!

  • Jedes organisiertes außerparlamentarisches demokratisches Engagement der Bürger soll hier offensichtlich untergraben werden. Das zeigt nur das die repräsentative Demokratie das Problem ist. Wer wird denn hier bitte schön repräsentiert? Das Volk schon lange nicht mehr. Weg mit den Parteien und neue Wege gehen. Demokratie ist nicht abhängig von den Parteien sondern vom Engagement der Bürger.

    • @Andreas J:

      Richtig. Je unfähiger die Regierungsparteien werden desto stärker engagieren sich die Menschen in zivilgesellschaftlichen Organisationen und setzten über diese Verantwortliche des Politikversagens unter Druck. Politikverdrossenheit gibts nicht. Nur Parteienverdrossenheit und das zu Recht. Ob Wirtschafts- Umwelt- oder Klimapolitik in eigentlich allen Feldern gibt es bessere Lösungsvorschläge und Fachleute aus der Zivilgesellschaft als in der Politik. Aus dem einfachen Grund weil in der Politik nur noch Klientelpolitik für Konzerne gemacht wird nicht mehr für Wähler_innen und schon lange nicht mehr für Sachprobleme beste Lösungen im Sinne des Problems sondern nur noch im Sinne der Interessen aus der Wirtschaft gesucht werden. Konzerne sitzen bei "Kamingesprächen" und hinter verschlossenen Türen als "Fachleute" und "Berater" bei jedem Gesetz mit am Tisch oder schreiben die Vorlage gleich selbst während Bürgerengagement und Mitsprache unseren Berufspolitker_innen schon immer ein Dorn im Auge war und Panik vor Machtverlust auslöst. Andere Länder wie Irland sind da schon weiter. Dort beraten seit vielen Jahren Bürgerräte zu großen strittigen Themen die Bundespolitik - die Schlussdiskussionen und Abstimmungen des Rats werden life übertragen und das Parlament übernimmt in der Regel die Vorschläge der Bürger_innen die nach Zufall für ein Jahr und ein Thema gewählt wurden und damit von niemandem im Vorfeld bezahlt und platziert werden können von welcher Lobby auch immer - Korruptionssicher gewissermaßen. Statt also mit neuen Demokratiemodelle Bürgerengagement endlich als Demokratiesäule zu verankern kämpft Scholz und Co lieber gegen das Engagement der Regierten aus Angst vor Machtverlust. Brave Gutgläubige passive Bürger die alle vier Jahre ihr Kreuz machen und den Rest der Partei Pardon noch sinds ja mehrere überlassen sind der Mächtigen Lieblinge in Diktaturen wie in Demokratien.

      • 9G
        90946 (Profil gelöscht)
        @Nina Janovich:

        Ganz genau mein Eindruck.

    • @Andreas J:

      Ps. Spenden an Parteien bleiben natürlich absetzbar. Mann will sich schließlich die Zuwendungen der Wirtschaft erhalten. Heuchler!

  • Dann wird wohl demnächst auch das "S" im Parteilogo entfernt.

  • Wer hat eigentlich Olaf Scholz zu solchen Initiativen ermächtigt?



    Er hat doch bis jetzt schon genug Porzellan zerschlagen.

    • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

      Unterschätzt den Herrn nicht, damit kann man viele Kritiseure der etablierten Politik mundtot machen, oder zumindest ihrer Mittel berauben. Siehe auch diverse Urheberrechte und Netzdurchdringungspaeagraphen. Hat alles Methode.

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

      Der Kampf um den Parteivorsitz bei den Sozen hinterlässt Spuren.

      Etwas anderes als zerschlagenes Porzellan in mannigfacher Form ist von Oil of Olaf nicht bekannt. Als Elefant im Porzellanladen wäre er eine glatte Fehlbesetzung. Dafür fehlen ihm die Feinheiten (siehe: Tierdokus).

      Für mich wäre es ein schönes Vorweihnachtsgeschenk, Walter-Borjans und Frau Esken als neue SPD-Vorsitzenden zu sehen.

    • 8G
      88181 (Profil gelöscht)
      @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

      Er ist der Scholzomat und aus dem ist noch nie etwas Vernünftiges heraus gekommen.