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Foto: reuters

Proteste und Morales-Sturz in BolivienWir alle waren verliebt in ihn

Evo Morales war mehr als ein Präsident, für die Indigenen Boliviens, für Linke in aller Welt. Jetzt ist er im Exil – und spaltet, statt zu versöhnen.

Katharina Wojczenko
Von Katharina Wojczenko aus La Paz

E s lag etwas in der Luft, sagt die Politikwissenschaftlerin Nadia Guevara. Sie denkt an mindestens drei verschiedene Märsche, die am Sonntag vergangener Woche durch die Stadt La Paz im Westen Boliviens zogen. Einer davon war organisiert für die Rechte der Frauen, ein anderer von den Bergarbeitern aus der Region Potosí, ein weiterer von pensionierten Polizisten. Sie alle richteten sich ­gegen die Regierung von Boliviens Präsident Evo Morales.

Genau drei Wochen zuvor hatte es Wahlen gegeben, bei denen Morales im Amt bestätigt werden wollte, zum vierten Mal, obwohl die Verfassung nur eine Wiederwahl zulässt. Am Wahl­abend sah es so aus, als müsste er in die Stichwahl ­gegen den Oppositionskandidaten Carlos Mesa. Der würde die Unterstützung der ausgeschiedenen Kandidaten erhalten und die Stichwahl wohl gewinnen. Dann brach plötzlich die Veröffentlichung neuer Wahlergebnisse ab, ohne Begründung.

Er werde mit den Stimmen der ländlichen Provinzen die Wahl noch in der ersten Runde gewinnen, prophezeite Morales. Bei der nächsten Veröffentlichung über 24 Stunden später sagten die Zahlen genau das: Morales hatte mehr als 10 Prozentpunkte Vorsprung und wäre damit Sieger ohne Stichwahl. Gleichzeitig häuften sich Berichte über Wahlbetrug. Von einer „unerklärlichen Trendwende“ sprach die Beobachtermission der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS). Und im ganzen Land gingen Menschen auf die Straße und protestierten.

An jenem Sonntag vor einer Woche dann die Wende. Am Morgen kündigte Morales Neuwahlen an, sprach von „neuen politischen Akteuren“. „Alle feierten, es war verrückt“, erinnert sich Nadia Guevara. Sie war mittendrin, Fahne in der Hand, das Baby im Tragetuch auf dem Rücken, ihr Mann hatte die Tochter an der Hand. Von der Regierungspartei Movimento al Socia­lismo (MAS) trat ein Politiker nach dem anderen zurück.

Sie waren gerade zur Haustür herein, da verkündete Morales seinen Rücktritt. Kurz zuvor hatte Militärchef Williams Kaliman den Präsidenten dazu aufgefordert – und Nadia Guevara und ihre Familie kehrten wieder um, sie wollten feiern. „Es war bewegend“, sagt sie. „Alle schrien: Somos libre!“ (Wir sind frei!)

Dann kamen die ersten Nachrichten von Freunden der oberhalb von La Paz gelegenen Nachbarstadt El Alto aufs Handy – und damit die Angst: „Feiert nicht. El Alto brennt.“ „Haut ab mit den Kindern, sie kommen herunter.“ Sie, damit seien die Unterstützer der MAS-Partei gemeint gewesen. Im Fernsehen liefen die ersten Bilder von brennenden Häusern in El Alto und der Zona Sur in La Paz. In der Nacht hörte sie grölende Gruppen ans Metalltor der Wohn­anlage schlagen, wo Guevara und 84 andere Familien leben. „Es war eine Horrornacht.“

Sébastian González will seinen echten Namen nicht nennen und nicht erkannt werden Foto: Katharina Wojczenko

Seitdem kommen die Menschen nicht zu Ruhe. Auf beiden Seiten. Sebastián González, 18 Jahre alt, will seinen richtigen Namen nicht nennen. Seit Tagen kann er nicht mehr schlafen. Der Musikstudent hat am 20. Oktober für Evo Morales gestimmt, wie die meisten in seiner Familie. Er hat Angst. Um seine Familie, um seine Großmutter und seine Tante, die in El Alto leben. In ihrem Viertel wurde ebenfalls geplündert. „Meine Großmutter ist verängstigt, weil eines ihrer Kinder in Santa Cruz lebt. Sie kamen dort mit Motorrädern und zerstörten die Läden, die einzige Einnahmequelle der einfachen Leute.“ Sie, das sind in diesem Fall die anderen. Die Gegner von Morales, die Rechten, die Polizisten, die sich gegen Morales gestellt haben.

Auf Videos sind weinende, verzweifelte Menschen zu sehen. González hat viele Videos gesehen in den letzten Wochen. „Sie fingen an, die Menschen in El Alto zu beschimpfen, sie seien Schweine, dreckig. Früher waren masistas einfach Anhänger der MAS-Partei, jetzt ist es wie eine Beleidigung“, sagt er. „Hier zeigen die Medien fast nur die Seite der Opposition. Wie die indigenen und ländlichen Gemeinschaften eingeschüchtert werden, zeigen sie nicht.“

Wie alle MAS-Anhänger spricht er von einem Staatsstreich, und wie die meisten in seiner Familie hat er seither alle verräterischen Bilder von seinen sozialen Medien gelöscht, kommentiert nicht mehr und passt auf, was er sagt.

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Sebastián wohnt mit seinen Eltern und seinen beiden jüngeren Geschwistern im selben Viertel wie Nadia Guevara, die Politikwissenschaftlerin, vielleicht eine halbe Stunde zu Fuß entfernt. Sein Vater ist Argentinier. Sebastiáns Großeltern waren links und beide engagierte Gewerkschafter in Zeiten der argentinischen Militärdiktatur. Eines Tages gaben sie Sebastiáns Vater und dessen Schwester bei einer Nachbarin ab und baten sie, sie als ihre Kinder auszugeben.

„Camacho ist ein Rassist, der zu Gewalt und Diskriminierung der Indigenen aufruft“, sagt González Foto: reuters

Dann kamen Soldaten, nahmen die Großeltern mit. Sie tauchten nie wieder auf. „Damals wollten sie alle Linken in Südamerika ausrotten“, sagt Sebastián. Sein Vater kam als Kind nach Bolivien, engagierte sich später in linken Bewegungen, gegen Diktatur und Privatisierung. Aus seinen Erzählungen weiß Sebastián, was eine Diktatur ist.

Sebastiáns Großmutter mütterlicherseits ist eine Indigene, eine señora de pollera, wie die Frauen wegen ihrer vielen Röcke genannt werden. Sie lebt heute in El Alto, wo ein Großteil der ärmeren Bevölkerung Evo Morales unterstützt und das wegen Straßenschlachten und Brandstiftungen durch die Medien ging.

Morales gab ihnen Stolz

Ihr Mann verbot der Großmutter, der Tochter ihre indigene Sprache Aymara beizubringen, weil es damals eine Schande war. Später wollten die Großeltern Sebastiáns Mutter nicht studieren lassen – wohl aus Angst, dass sie wegen ihrer indigenen Gesichtszüge an der Uni diskriminiert würde. Genau das passierte. „Als ich im privaten Kindergarten war, gab es dort kaum Kinder mit dunkler Hautfarbe“, sagt Sebastián. Später in seinem öffentlichen Colegio war es umgekehrt. Die öffentliche Schule war genauso gut wie die private. „Aber wenn es um den Eintritt ins Berufs­leben ging, blieben die Dunkelhäutigen immer in der Hierarchie zurück“, sagt er.

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

„Als Evo Morales Präsident wurde, kam mein kleiner Bruder in denselben privaten Kindergarten. Und Überraschung: Auf einmal kamen Frauen mit polleras und brachten ihre Kinder dorthin. Ich glaube, das änderte sich, weil sie sahen, dass der Präsident auch dunkle Haut hatte, vom Land kam, gelitten hatte – das war ein Symbol, das gab ihnen Stolz. Auch ich fühle mich stolz.“

2003 lag unter Präsident Gonzalo Sánchez de Losada und seinem damaligen Vize Carlos Mesa der Mindestlohn bei 440 Bolivianos. Heute liegt er bei über 2.000, führt er noch an.

Nadia Guevara, 39 Jahre alt, lebt mit ihren beiden Töchtern, ihrem Mann und ihrem Hund im Viertel Sopocachi Alto. Ihre Familie will sie zur Sicherheit nicht in der Zeitung zeigen. Ihr Vater, Hernán Guevara Rivero, war ein indigener Elektriker aus Cochabamba, der sich sein Leben lang in linken Bewegungen und gegen die Diktatur engagierte. Die Familie mütterlicherseits betätigte sich aufseiten der Konservativen.

Politikwissenschaftlerin Nadia Guevara verehrt Morales längst nicht mehr Foto: Katharina Wojczenko

Guevara bat schon als Kind ihre Großmutter, mit ihr auf Demos zu ­gehen. Später engagierte sie sich in der Menschenrechtsarbeit. Am letzten Marsch des damaligen Abgeordneten Evo Morales nahm sie teil. Als die Polizei die friedlichen Demonstrierenden angriff, brach sie ihr drei Rippen. Als Morales zum ersten Mal Präsident wurde, sei alles rosarot gewesen. „Wir alle waren verliebt in ihn. Ich mochte die Ideen eines geeinten Boliviens, in dem Indigene eine Stimme haben, wo die Umwelt geschützt wird.“

Während bei Sebastián González die Liebe anhielt, ist sie bei Guevara von der zweiten Amtszeit an erkaltet. „Der indigene Diskurs verschwand, der Antikapitalismus kam. Es ging nicht mehr um Leistung, sondern um Freund oder Feind. Die Partei wurde undemokratischer, Kritiker mundtot gemacht“, sagt Guevara. Als im Sommer in Chiquitanía wochenlang der Wald brannte und der Präsident die Demonstranten, die ein Notstandsdekret zur Rettung forderten, auslachte, reichte es ihr endgültig. Sie ging auf die Straße. Und sie protestierte erneut, als für sie klar war, dass Morales sich nach dem 20. Oktober mit Wahlbetrug zum Sieger erklärte.

Sebastián González blieb zu Hause.

Als am Montag nach Morales’ Rücktritt plündernde Mobs von El Alto nach La Paz zogen, verbarrikadierten sich beide mit ihrer Familie und Nachbarschaft aus lauter Angst im Wohnblock. Als die Armee am selben Tage ankündigte, dass sie die Polizei unterstützen würde, herrschte bei Nadia Guevara Erleichterung und bei Sebastián González blankes Entsetzen: „Ich hatte Angst um meine Freunde und Familie in El Alto, um die Familie meiner Mutter, die auf dem Land lebt. Ich habe gelesen, dass sie in der Geschichte immer die Linken als Erste haben suchen und verschwinden lassen. Unsere Familie in Argentinien sagte: Wenn es schlimm wird, ist hier alles bereit für euch“, sagt Sebastián.

Die Gewaltspirale schraubt sich immer weiter

Dass einige Anhänger der Opposition und Polizisten die plurinationale Fahne Wiphala verbrannten, die die indigenen Wurzeln und die Vielfalt symbolisiert, löste eine Welle an Gewalt aus. Die heißt Sebastián nicht gut, aber er kann sie verstehen.

Angst macht ihm auch das Erscheinen des weißen, bibelschwingenden Unternehmers Luis Fernando Camacho. Der war der Chef eines „Comité Cívico“, eines sogenannten Bürgerkomitees in Santa Cruz, seit jeher die Hochburg der Morales-Gegner. Von dort rief Camacho zum Generalstreik gegen Morales auf, von dort zog er nach La Paz, um provokativ eine Rücktrittserklärung in den Präsidentenpalast zu bringen. „Camacho ist ein Rassist, der zu Gewalt und Diskriminierung der Indigenen aufruft“, sagt González. „Camacho ist ein populistischer Opportunist, für den im Hochland kaum jemand stimmen würde“, sagt auch Guevara.

„Die Gewalt wird mit noch so viel Tränengas nicht aufhören“, sagt Nadia Guevara Foto: reuters

Die Gewaltspirale schraube sich immer weiter, sagen beide. Die Videos, die WhatsApp-Nachrichten, die Falschmeldungen.

„Jetzt ist der Präsident weg. Es fühlt sich ruhig an. Aber es ist eine ungute Ruhe“, sagt Sebastián González.

„Die Gewalt wird mit noch so viel Tränengas, Polizei und Armee nicht aufhören“, sagt Nadia Guevara. „Beide Seiten müssen sich zusammensetzen und endlich miteinander reden.“

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18 Kommentare

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  • Macht verdirbt den Charakter! Insbesondere, wenn sie lange anhält. Das gilt fast immer. Leider hat Morales nicht versucht, bei sich und seinen Getreuen, das zu verhindern. Denn was jetzt über Bolivien kommt, ist bestimmt nicht positiv für das Land.

  • Traurig. Sicher war er wichtig als Hoffnungsträger und hat einiges erreicht. Das war gut für das Land und gerade die indigene Bevölkerung.

    Dann hat ihn die Macht korrumpiert. Das passier eben auch mit Linken, das ist nichts Neues.

    Future uncertain.

  • Der Artikel gibt Lebensgeschichten und Meinungen Einzelner wieder.

    Ein Versuch der Analyse der politischen Gesamtsituation, ein Kommentar zur Wahl, zum möglichen Wahlbetrug, zum möglichen Machtmissbrauchs Morales' fehlt.

    Was will dieser Artikel eigentlich, außer holzschnittartig das Dilemma einzelner Morales- bzw. Ex-Anhänger darzustellen?

    Schlechter Journalismus.

  • 9G
    93441 (Profil gelöscht)

    Evo Morales hat wie viele andere vor ihm als Hoffnungsträger einer Nation begonnen und viele soziale Errungenschaften gebracht.



    Und wie viele andere vor ihm hat er zu lange an der Macht geklebt und wurde dadurch korrumpiert.

    Vielleicht sollte man daraus den Schluss ziehen, dass Amtszeiten grundsätzlich begrenzt sein sollten und der Aufbau eines Nachfolgers unmittelbar bei Dienstantritt des aktuell Regierenden beginnen muss.

    Gerade Deutschland sollte sich das mal überlegen. Nach 16 lähmenden Jahren "Birne" leiden wir nun unter 14 Jahren Merkel. Und ein/e würdige/r NachfolgerIn weit und breit nicht in Sicht. Das Land gespalten wie nie.

    • @93441 (Profil gelöscht):

      Seine Amtszeit *war* direkt in der Verfassung glasklar begrenzt - auf zwei Amtsperioden. Hat Morales nur nicht interessiert, sein handverlesenes Verfassungsgericht auch nicht, so dass er nicht nur zum dritten, sondern sogar zum vierten Mal Presidente werden wollte...

      • @TheBox:

        Können Sie mir eventuell eine Quelle dazu bereitstellen dir mir beweist, dass das Verfassungsgericht oder andere für Wahlen zuständige Kommissionen von Morales "handverlesen" sind? Meines Wissens nach werden diese Organe in Bolivien im Gegensatz zur Mehrheit "Westlicher" Staaten vom Volk gewählt.

    • @93441 (Profil gelöscht):

      Noch vor ein paar Jahren wurde sich in Deutschland beklagt die Parteien seien alle sich zu ähnlich, es gebe keine richtige Kontroversen mehr. Auch da wurde schon als Ursache Merkel und die große Koalition benannt und nun wiederum soll ihre lange Regierungsteit zu einer Spaltung des Landes geführt haben? Es ist schon schon ne fragwürdige Sehnsucht in Deutschland immer nach nem neuen Führer zu schielen dem es gelingt die gesellschaftliche Gegensätze seiner freshness wegen aufzuheben und das Land unter seiner Charismakarona zu vereinen. Ein kollektives, nationales Wir soll sein, die brutalen Folgen einer Klassengesellschaft verschleiert werden.

  • Schade, dass Morales nachgegeben hat.



    Maduro hat besser gehandelt.



    Das neue rechte Regime sollte sabotiert werden, wo es nur geht. Ist das "Spaltung"? Meinetwegen.

  • Wie schon in einem anderen Artikel erwähnt, ohne starke Institutionen gibt es keine Freiheit.

    Bestimmt ist Morales ein guter Politiker, aber um korrupte Opportunisten in der Verwaltung loszuwerden, ist es eben besser, ab und zu den Regierungschef demokratischerweise zu wechseln.

    Den Castros, Xi und Putin gefällt das natürlich nicht. Und Kohl und Angela Merkel? Vielleicht ist Parlamentarismus doch besser als Präsidetialismus?

  • Mit so Leuten darf es keine Versöhnung geben.

  • Bolivien und die Schwerkraft der Ökonomie.

    Klimapolitik und Imperialismus heute.

    Ob Bolivien, Argentinien, Chile, Brasilien, Mexiko und Co.

    Allgemein Bekanntes in den westlichen imperialistischen Nato-Staaten, so auch im heutigen Deutschland.

    Der lateinamerikanische Hinterhof für das nordamerikanische und westeuropäische Wohlstands- und Konsumparadies.

    Auch die Rohstoffe Boliviens werden für die Klima- und E-Mobilität in EU-Europa dringend benötigt. Dafür bedarf es willige und klerikal-faschistische Regierungen in ganz Lateinamerika, die auch dazu bereit sind, willige und billige Arbeitskräfte ohne gewerkschaftlichen Widerstand zur Verfügung zu stellen. Eine eigenmächtige Sozial- und Gesellschaftspolitik lateinamerikanischer Regierungen, die sich gegen die ökonomischen Interessen internationaler Konzerne und Aktiengesellschaften wenden, bleibt hierfür unerwünscht. Auch dafür kommen dutzende bürgerlich-demokratische Parteien, NGOs und Stiftungen, Geheimdienste und Militärdienste Nordamerikas und Europas zum Einsatz, nicht nur der CIA und der BND, um deren ökonomische und politische Interessen langfristig wirksam durchzusetzen.

    16.11.2019, R.S.

  • Stimmt, für die Legitimation der Kinderarbeit muss man ihn einfach lieben..

  • Es gäbe viel zu schreiben zu "Wir alle waren verliebt in ihn..." Ich möchte nur ganz kurz zum Untertitel Stellung beziehen: Was eigentlich meint diese heute all zu gebräuchliche Phrase "...und spaltet, statt zu versöhnen"? Erfunden von "Bruder Johannes" (längst vergessen) dient diese Phrase gerade heute dazu Klassenkonflikte und/oder ökosoziale Antagonismen zu überspielen. Von Steinmeier bis zur "linken" taz. Der Klassenkonflikt hat in Bolivien nie aufgehört zu existieren, wie überall in Südamerika, aber auch in Europa. Im Gegenteil, er wird verschärft durch den Zusammenbruch der Ökosysteme. Was soll da "Versöhnung" in der gespaltenen Welt des Kapitalismus noch leisten? Sozialismus oder Barbarei - das war die Alternative, von der Rosa Luxemburg gesprochen hat. In Südamerika erleben wir gerade die Variante der Barbarei (Brasilien, Chile, Bolivien...). Der ebenfalls längst vergessene Dammbruch in Brumadinho hat aber auch gezeigt, dass schon vor Bolsonaro der Exportweltmeister und Erzimportweltmeister Deutschland und sein vortreffliches KnowHow (TÜV Süd) in diese gespaltene Welt involviert ist. Wohlweislich als Profiteur. Was gibt es noch zu versöhnen, wo doch "unsere" Lithium-Bedürfnisse jetzt in Bolivien umso besser befriedigt werden können.

  • Letztlich ist Bolivien Gewinner und Verlierer bei der Durchsetzung von Elektroautos als neuem Standart in der Automobilbranche. Die Handhabung des Lithium soll nach dem Willen us-amerikanischer Thinktanks nicht mehr von einer soft sozialdemokratischen Führung kontroliert werden, sondern von einer klassischen Hinterhof-Elite, einer rechtsradikalen Oligarchenklasse. Natürlich ist Bolivien auch nur ein weiteres Puzzleteil im Gesamtbestreben den Kontinent wieder aufs US-Kapital zu verpflichten, aber interessant bleibt es, ob der bolivianische Umsturz-Masterplan weiterhin sich so leicht durchsetzen lässt wie bisher.

  • „Beide Seiten müssen sich zusammensetzen und endlich miteinander reden.“



    – Wie stellt sich die zitierte Nadia Guevara den "Kompromiss" vor?

    Camacho-Anhänger: Den Mindestlohn abschaffen!



    MAS-Anhänger: Den Mindestlohn von 2000 auf 2500 Bolivianos erhöhen.



    Kompromiss: Ein freiwilliger Mindestlohn von 400 Bolivianos

    Camacho-Anhänger: Homosexualität ist ein Krankheit, die mit Elektroschocks behandelt werden muss



    MAS-Anhänger: Ihr habt einen Dachschaden, wenn ihr das wirklich glaubt.

    Kompromiss: Homosexualität wird als Krankheit eingestuft, darf aber nicht mit Elektroschocks "behandelt" werden.

    Camacho-Anhänger: Indios aus allen öffentlichen Ämtern entfernen.



    MAS-Anhänger: Den Prozess der Integration der indigenen Bevölkerung weiter vorantreiben. Rassismus bekämpfen.

    Kompromiss: Innerhalb der zugewiesenen Reservate in abgelegenen Hochlandregionen wird den Indigenen ein gewissen Maß an Selbstverwaltung eingeräumt, nach Vorbild der südafrikanischen Townships.

    Camacho-Anhänger: Ein Justiz-Reform auf Grundlage des alten Testaments



    MAS-Anhänger: Laizismus!



    Kompromiss: Auch Elemente des neuen Testaments sollen in die Gesetzgebung mit einfließen.

    Camacho-Anhänger: Sämtliche Sozialprogramme stoppen



    MAS-Anhänger: Bolivien zu einem Wohlfahrtsstaat ausbauen.



    Kompromiss: Lebensmittelausgaben an bedürftige Familien durch die Kirche. Nicht aber an Familien von MAS-Anhängern.

    Camacho-Anhänger: Alle staatlichen Bergbauunternehmen privatisieren und den USA überlassen.



    MAS-Anhänger: Die Verstaatlichung weiter ausbauen.



    Kompromiss: Neben den USA dürfen auch Länder wie Deutschland die privatisierten Unternehmen kaufen.

    Ja, Politik heißt Kompromisse eingehen!

    • @Sandor Krasna:

      Vielen Dank!

    • @Sandor Krasna:

      Sehr gut pointiert.



      überspitzt aber treffend.



      Wenn die Lage nicht so ernst wäre, würde ich jetzt einen Lächeln im Gesicht haben...

    • 6G
      64984 (Profil gelöscht)
      @Sandor Krasna:

      Schön auf den Punkt gebracht.

      Ich hatte mich auch gefragt, was nun die neue Regierung bringt. Geht’s jetzt den Indigenen und Armen wieder übel?