EU-Flüchtlingspakt: Mehr Geld für die Türkei
Für die Versorgung syrischer Geflüchteter und für den Grenzschutz: Bundesinnenminister Horst Seehofer stellt in Ankara mehr EU-Hilfen in Aussicht.
Am Donnerstagabend traf Seehofer in Ankara dazu den türkischen Innenminister Süleyman Soylu. „Ohne Eure Solidarität wäre das Migrationsproblem in unserer Region so nicht bewältigt worden“, sagte Seehofer diesem zu Beginn des Treffens – und dankte für diese „Leistung, die auch in die Welthistorie eingehen wird.“
In der Türkei halten sich nach einer UNHCR-Statistik allein rund 3,7 Millionen SyrerInnen auf, denen die Türkei offiziell Schutz gewährt. Vor kurzem veröffentlichte allerdings das deutsche Dezim-Institut Berechnungen, nach denen die Zahl vermutlich etwas niedriger liegt –„realistisch“ sei, von 2,7 bis knapp drei Millionen auszugehen. Doch auch damit läge die Türkei noch weltweit auf Platz eins der Aufnahmeländer.
Schutz finden hier allerdings fast ausschließlich SyrerInnen. Viele AfghanInnen, Pakistanis und Bengalen durchqueren das Land auf dem Weg nach Europa, sie werden meist nicht aufgenommen. Der türkische Innenminister Soylu sagte nun, möglicherweise kämen noch einmal drei Millionen Flüchtlinge in die Türkei, die vor den Kämpfen um die letzte syrische Rebellenhochburg Idlib flöhen. Allerdings hat die Türkei die Grenze nach Syrien geschlossen, nachdem die Abmachung mit der EU in Kraft getreten war. Seitdem ist es kaum noch möglich, aus Syrien zu flüchten.
Als Gegenleistung dafür, dass die Türkei die Grenze nach Griechenland dicht hält, hatte die EU sich verpflichtet, 2016 und 2017 sowie 2018 und 2019 jeweils drei Milliarden Euro, insgesamt also sechs Milliarden, für die Versorgung von Flüchtlingen in der Türkei bereit zu stellen. Tatsächlich sind bislang jedoch nur insgesamt rund 2,4 Milliarden Euro ausgezahlt worden.
Mit dem Geld wird unter anderem der Aufbau von Schulen und Gesundheitsstationen bezahlt, um den durch die SyrerInnen gestiegenen Bedarf zu decken. Zudem erhalten syrische Flüchtlinge eine monatliche Hilfe zum Lebensunterhalt von umgerechnet etwa 25 Euro pro Person – kaum ausreichend angesichts der Lebenshaltungskosten in der Türkei.
Mehr Flüchtlinge nach Griechenland
Der türkische Präsident Erdogan hatte zuletzt mehrfach deutlich gemacht, dass die versprochenen EU-Hilfen nicht zufriedenstellend flössen und dass mehr Unterstützung nötig sei. Andernfalls könnte man den Flüchtlingen die Türen Richtung Europa öffnen, hatte er gedroht.
Schon jetzt hat die türkische Regierung die Kontrollen an der Land- und Seegrenze zu Griechenland offenbar ausgedünnt. Zuletzt sind immer mehr Flüchtlinge und MigrantInnen aus der Türkei in Griechenland angekommen: In diesem Jahr waren es bislang nach Zählung der UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR insgesamt 45.597, im ganzen Jahr zuvor 35.848. Vor allem seit August sind die Zahlen angestiegen.
Die EU sieht das mit Sorge. Die Ankünfte in Griechenland hätten in den vergangenen Wochen und Monaten zugenommen, sagte EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos am Donnerstag. „Es ist dringend nötig, ungesetzliche Abfahrten aus der Türkei noch stärker zu verhindern und aufzuspüren.“
Türkei für Sicherheitszone in Syrien
Nach dem Gespräch mit seinem türkischen Amtskollegen Soylu sagte Seehofer, es sei auch um zusätzliche Mittel für die Türkei gegangen. Die Türkei argumentiere, mit den Mitteln der Vergangenheit könne die Zukunft nicht bewältigt werden, sagte Seehofer. Darüber müsse nun mit der neuen Kommission unter Ursula von der Leyen, die am 1. November ihren Dienst antritt, geredet werden. „Ich werde nach Brüssel fahren und der neuen Kommissionspräsidentin meine Eindrücke hier schildern, damit das sehr schnell angegangen wird“, sagte Seehofer.
Soylu werde außerdem eine Liste zusammenstellen mit Punkten, bei denen Deutschland helfen könne. Die werde noch mit Präsident Recep Tayyip Erdogan abgestimmt. Denkbar sei beispielsweise Unterstützung bei der Grenzüberwachung, sagte Seehofer.
Doch der Türkei ging es nicht nur ums Geld. Sie will politische Unterstützung für ihre Pläne in Syrien. Soylu hatte angekündigt, mit den Gästen auch über die von der Türkei gewünschte sogenannte Sicherheitszone in Nordsyrien sprechen zu wollen. Die ist kaum ohne militärische de-facto Kontrolle der Türkei in oder nahe der kurdischen Autonomiegebiete in Nordsyrien denkbar – und wird entsprechend von Ankara als Weg forciert, ihre Präsenz dort auszubauen und zu legalisieren.
Am Dienstag hatte Erdogan seine Pläne dazu konkretisiert. Demnach sollen zwei Millionen Menschen dort hinziehen, sagte er in einer Rede vor dem Parlament in Ankara. Eine Million werde in neu zu bauenden Gemeinden untergebracht werden. „Mit internationaler Hilfe“ sollen 140 Dörfer gebaut werden. Die Standorte stünden schon fest. Für die Finanzierung werde ein internationales Geber-Treffen organisiert, sobald das Gebiet von „terroristischen Gruppen befreit“ worden sei.
Türkei will Flüchtlinge nicht auf Dauer
„Wir haben nicht vor, Millionen Flüchtlinge für immer zu beherbergen“, sagte Erdogan. Er drohte kaum verhohlen mit einem Einmarsch in das Gebiet. Die Türkei wolle keinen Krieg. Aber „wir haben keine Wahl, als an diesem Punkt unseren eigenen Weg zu gehen.“
Soylu sagte vor dem Treffen mit Seehofer, der Türkei einfach mehr Geld für die Flüchtlinge zu zahlen sei „eine Politik der Bestechung“ – und behauptete, die Sicherheitszone liege auch im Interesse Europas: „Wenn der Mittlere Osten nicht sicher ist, dann ist Paris nicht sicher, Berlin auch nicht.“
Der Sprecher der Regierungspartei AKP, Ömer Çelik, sagte die „einzige Formel zur Reduzierung des Migrationsdrucks ist das, was Erdoğan angeboten hat : Eine sichere Zone in Syrien. Die EU sollte sich also darauf konzentrieren.“
Seehofer sagte, dass Soylu bei dem Treffen am Donnerstag „sehr stark insistiert“ habe, dass diese Zone notwendig sei. Hier kam die türkische Seite der deutschen Seite zufolge aber offenbar nicht weiter. „Ich habe deutlich gesagt, dass es ja viele Regierungen gibt, unsere eingeschlossen, die da ihre Probleme haben“, sagte Seehofer. „Und das haben wir dann so mal stehen gelassen.“
(Mit Material von dpa. Mitarbeit: Ali Celikkan)
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