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Unerwünschter Facebook-PostEmpörung über Verdi-Abmahnung

Kurz vor ihrem Bundeskongress diszipliniert die Gewerkschaft einen Mitarbeiter wegen Verbreitung eines kritischen Artikels. Dagegen hagelt es Protest.

Der Umgang mit Kritik gehört nicht zu den Stärken der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi Foto: dpa

Kurz vor Beginn des Verdi-Bundeskongresses sorgt eine Abmahnung in den eigenen Reihen für Unruhe. Der Gewerkschaftssekretär Damiano Quinto hatte im Frühjahr 2019 auf seiner privaten Facebook-Seite einen Artikel aus der linksgewerkschaftlichen Monatszeitung Express geteilt, der sich kritisch mit der Entwicklung des Fachbereichs Handel in Verdi auseinandersetzt, für den auch Quinto arbeitet. Dafür wurde der 46-Jährige Ende August offiziell abgemahnt.

Der Betriebsrat von Verdi betrachtet die Disziplinarmaßnahme als unberechtigt. Quintos Anwalt forderte die Personalabteilung auf, sie rückgängig zu machen. Nachdem die dafür gesetzte Frist vergangene Woche ausgelaufen ist, wurde am Montagabend auf der Plattform „labournet“ ein offener Brief veröffentlicht: Knapp 120 Erstunterzeichner kritisieren das Vorgehen scharf und fordern die Rücknahme der Abmahnung. Man protestiere gegen den Versuch, das Recht auf freie Meinungsäußerung einzuschränken, heißt es.

Eine Verdi-Pressesprecherin erklärte auf Nachfrage zu dem Fall, man könne Personalfragen aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht kommentieren.

Zu den Erstunterzeichnern des Protestbriefs gehört der Linkspartei-Vorsitzende Bernd Riexinger, früher selbst Hauptamtlicher der Gewerkschaft. Überdies haben etliche Betriebsräte aus dem Einzelhandel unterschrieben, darunter ehrenamtliche Schwergewichte wie die Gesamtbetriebsratsvorsitzenden von Esprit, Primark, Kaufhof und H & M. „Wir alle sind Damiano“ ist der Text überschrieben. Der Slogan ist an eine Verdi-Kampagne angelehnt, die ein paar Jahre zurückliegt – und den Fall besonders pikant macht.

Denn es ist nicht das erste Mal, dass Quinto Ärger mit seinem Arbeitgeber hat. Bis 2015 war er bei H & M tätig und dort Betriebsrat. Das Management des Textilunternehmens versuchte jahrelang, ihn loszuwerden. Ein Kündigungsversuch ging bis vor das Bundesarbeitsgericht. Obwohl er gewann, verließ Quinto H & M – um Verdi-Sekretär zu werden.

Für seine Chefin, die Leiterin des Fachbereichs Handel, dürfte der Protestbrief zur Unzeit kommen: Stefanie Nutzenberger kandidiert beim Bundeskongress erneut für den Verdi-Vorstand, nominiert allerdings nur mit knapper Mehrheit ihres Fachbereichsvorstands. Überdurchschnittlich hohe Rückgänge der Mitgliederzahlen bei sinkender Tarifbindung in den Branchen, für die der Fachbereich zuständig ist, haben dort eine Debatte über Strategie, Methoden und interne Demokratie ausgelöst.

Das war auch Gegenstand des Artikels im Express mit dem Titel „Weiter so, immer weiter?“, dessen Verbreitung auf Facebook zur Abmahnung Quintos führte. Ein gutes Licht auf Nutzenbergers Umgang mit besagter Debatte wirft der Einsatz disziplinarischer Mittel nicht.

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20 Kommentare

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  • @Frau Kirschgrün meint "KEINE Gewerkschaft" hat etwas für ihre Mitglieder getan. Nun MEINE verdi hat mir nicht nur in der Betriebsrats-Arbeit zur Seite gestanden. Sie hat mir auch in einem Rechtsstreit den Hintern gerettet, in dem mit Androhung von schweren Geldstrafen mundtot gemacht werden sollte.



    Auch wenn Gewerkschaften oft lahmen und manche Funktionäre direkt korrupt sind: Besser diese Gewerkschaften als keine.

    • @Wondraschek:

      Und MEINE ver.di hat einer ganzen Branche die schlechtesten Arbeitsbedingungen in Zeiten des DGB beschert. Zusammen mit der IGM und dem ganzen DGB. Ich rede von der Zeitarbeit. Hartz-Linie voll mitgemacht und nie etwas zurückgenommen oder sich gar entschuldigt. Und der werte Herr Bsirske hat es sich nicht nehmen lassen,persönlich die nach meinem Austritt geforderten Beiträge einzuklagen.



      Sorry, Kollege Damiano, Du solltest die Konsequenz ziehen und die ver.di, den Scheißverein, verlassen.

    • @Wondraschek:

      Können wir uns darauf einigen, dass die heutigen Gewerkschaften in ihrer Lahmheit weit hinter denen vor 30, 40 Jahren zurückstehen, und dass da mehr als reichlich Luft nach oben wäre, wirklich etwas FÜR die arbeitende Bevölkerung zu tun (Niedriglohnsektor, AlG2, Tarifverträge für alle, etc.)?



      Schön, dass diese Gewerkschaft wenigstens das Mindenste für Sie getan hat, damit wäre ich|bin ich aber noch lange nicht zufrieden.



      Die Gewerkschaften hätten auch wieder viel mehr Mitglieder, wenn sie wirklich das wären, was sie sein sollten: eine Kampfgarantie für Rechte und Gerechtigkeit. Da sehe ich weit und breit nichts. Mit Mindestmaß sähe ich mich nicht vertreten.



      "Besser diese Gewerkschaften als keine."



      Da sehe ich nicht viel, was diesen Satz rechtfertigen würde. Die Forderungen an die Gewerkschaften gehören m. E. deutlich nach oben korrigert.

      • @Frau Kirschgrün:

        Die Gewerkschaft müsste, sollte, könnte mal... Schon 1000 Mal gehört. Im Regelfall von Leuten, die nicht im Traum auf die Idee kämen, einer Gewerkschaft beizutreten.

        Gewerkschaften vertreten die Interessen ihrer Mitglieder. Von diesen werden sie bezahlt und für diese leisten sie gute Dienste. Um das festzustellen, genügt schon ein Blick auf der Tarifentwicklung der letzten Jahre.

        Wer nicht willens ist einer Gewerkschaft beizutreten, kann weiter in den Foren dieser Welt über die Ungerechtigkeit dieser Welt lamentieren. Ändern tut sich dadurch nichts.

        • @Kirschberg:

          So so, "Kirschberg" – seit heute – … wer könnte sich dahinter wohl verbergen…







          Vielleicht müssten ja Gewerkschaften auch aus der Sozialkasse bezahlt werden – wie ich schon sagte – sind die ja sowieso nur ein Feigenblatt im Schritt der Herrschenden…







          Ende und aus.

          • @Frau Kirschgrün:

            Wer sich dahinter verbirgt? Jemand, der über politische Überzeugungen verfügt und für diese auch eintritt. Im realen Leben, nicht nur auf taz.de. So etwas soll es geben.

            "Ende und aus" bedeutet vermutlich, dass von Ihnen keine Argumente oder Fakten mehr zu erwarten sind? Alles klar - dachte ich mir bereits.



            Immer schön weiter im Internet meckern, das wird die Herrschen sicherlich mächtig beeindrucken...

            • @Kirschberg:

              :-) thumb up !

  • Wenn eine Gewerkschaft (welche auch immer) nicht in der Lage ist, sich eindeutig FÜR seine Mitgleider einzusetzen – und das hat außer der Lokführer-Gewerkschaft unter Weselsky m. W. KEINE getan, wirft das zumindest die Frage auf: "Wofür eine Gewerkschaft und Gewerkschaftsbeiträge, wenn die Gewerkschaft die eigene Klientel verrät, am ausgestreckten Arm "verhungern" lässt?



    Diese Gewerkschaft(en), die sich m. E. lieber mit der Arbeitgeber-Seite gutstellt|gutstellen (Totschalgargument wahrscheinlich Arbeitsplätze und die eine oder andere "Gefälligkeit" in welcher Form auch immer) hat schlicht und einfach ihre Daseins-Berechtigung verloren, dann sind das alles nur ruhige, gut bezahlte Möchtegern-Jobs, für "Leute", die nur eine gut dotierte "ruhige Kugel" schieben wollen.



    M. E. ein Geschäftsmodell für Wenig- bis Nichts-Tuer. Auf menschlicher und professioneller Basis ein Totalausfall.



    In so einem "Verein" dann auch noch das Recht auf freie Meinungsäußerung beschneiden zu wollen, schlägt dem sprichwörtlichen Fass den Boden aus.



    Armselig.



    Gewerkschaften sollten ihren Job machen – oder ist "Gewerkschaft" nur ein schlecht getarntes Geschäftsmodell?

    • @Frau Kirschgrün:

      Ziemlich polemisch und wenig an Fakten orientiert, was Sie da schreiben.

      In Deutschland sind im vergangenen Jahr rund eine Million Arbeitstage durch Arbeitskämpfe ausgefallen. Damit hat sich das Arbeitskampfvolumen gegenüber 2017 mehr als vervierfacht.

      Gewerkschaften führen täglich harte betriebliche Auseinandersetzung, meist gegen erbitterten Widerstand der Arbeitgeber. Diese Kämpfe spielen in der medialen Öffentlichkeit aber oftmals keine große Rolle, insbesondere auch deshalb, weil Streiks (beispielsweise in der Metallindustrie) keine unmittelbaren Auswirkungen auf unseren Alltag haben.

      Wenn ein deutschnationaler, durch und durch konservativer Berufsverband wie die GDL Teile des Schienenverkehrs lahm legt, stößt das auf öffentliches und mediales Interesse und findet selbst von Leuten Beachtung, die sich augenscheinlich wenig bis gar nicht mit Gewerkschaften beschäftigen.

      • @Kirschberg:

        "Ziemlich polemisch und wenig an Fakten orientiert, was Sie da schreiben."



        Finden Sie?



        Sie sagen ja selbst, dass frauman fast nichts mitbekommt, wenn die wirklich mal was tun.



        In der heutigen Zeit MUSS sowas besser kommunuziert werden!



        Das ist schließlich ein Rückgrat der Zivilgesellschaft und der Demokratie.



        Im Gesamten bleiben die Gewerkschaften aber "zahnlose Tiger", denn sonst wäre so etwas wie prekäre Beschäftigung und Leiharbeit gar nicht möglich gewesen. So weit zu "polemisch und wenig an Fakten orientiert" – das Gesamtbild ist entscheidend, nicht wie sehr "ich" als Einzelner davon profotieren kann.



        Gewerkschaften sind in der bestehenden Form in nur Teilbereichen m. E. ein Feigenblatt der Herrschenden, die wirklich Armen und prekär Beschäftigten stehen allein.



        Außerdem könnten Gewerkschaften selbst für bessere Kommunikation ihrer Aktionen sogar in Mainstream--Medien sorgen, denn es gibt fast überall Kommentarfunktionen.

        • @Frau Kirschgrün:

          Die Ausweitung der prekären Beschäftigung und der Leiharbeit war politisch gewollt und hat die Durchsetzungsfähigkeit der Gewerkschaften geschwächt.

          Was sie übersehen: "die wirklich Armen und prekär Beschäftigten" lassen sich nur schwer für eine Gewerkschaft gewinnen. Weil sie oftmals Angst haben vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, weil sie wechselnde Arbeitgeber haben oder weil sie in Branchen arbeiten, in denen die Gewerkschaften schwach sind.

          • @Kirschberg:

    • @Frau Kirschgrün:

      Es gab in den letzten Jahre zahlreiche Streiks die medial entweder ignoriert wurden oder wo die Streikenden verunglimpft wurden. Dies ist vor allem der Fall, wenn Dienstleistungen bestreikt wurden, seien es Krankenhäuser, Kindergärten oder Flugreisen. Viele davon wurden von Verdi organisiert.



      Insofern dürfte deine Wahrnehmung nicht ganz der Realität entsprechen.

      • @Struppi:

        "…Streiks die medial entweder ignoriert wurden oder wo die Streikenden verunglimpft wurden".



        Dazu kann ich nur sagen, dass die grundsätzlichen Argumente für einen Streik in dieser ignoranten Gesellschaft eben auch immer und immer wieder kommunziert werden müssen.



        Damals Beim GDL-Streik hieß es in der Bevölkerung "die sollen schon streiken, aber ich muss zur Arbeit" –das spricht doch Bände, dass die meisten Menschen den Sinn von einem Streik gar nicht mehr begreifen, und dass genau diese Störung im Ablauf der Sinn det Janzen is.



        Die Gewerkschaften kommunizieren nicht gut genug, m. E..



        Und ich bleibe dabei, sie sind zu zahm geworden, viel zu zahm.



        Jetzt sind Konzerne abgewandert, und finden woanders niedrigere Löhne vor. Das Stellen der Systemfrage? Ist das Inhalt der Gewerkschafts-Satzungen? Ich weiß es nicht…



        Ich bin mit der "Leistung" von Gewerkschaften in D nicht zufrieden.

    • @Frau Kirschgrün:

      Meine Vermutung zu dem Thema ist folgende: Viele Gewerkschaften sind in den vergangenen Jahren immer zahmer geworden, weil sie sich Streiks nicht mehr leisten können.

      Die Anzahl der Mitglieder sinkt immer weiter, jedoch wurden über Jahrzehnte die Aufwendungen für die Gewerkschaften Selber nicht an diese veränderte Situation angepasst und angesichts gleichbleibender Kosten und sinkenden Einnahmen sind die Streikkassen leer und man ist froh über jede Einigung, die ohne die Zahlung von Kompensationen abläuft.

      Um genau das zu verhindern haben viele Gewerkschaften eine Satzung in der festgelegt ist wie viel Prozent der Mitgliedsbeiträge in den Overhead fließen und wie viel den Mitgliedern zugute kommt. Das man sich an diese Satzungen angesichts der veränderten Migliederzahlen garnicht mehr halten kann ist wahrscheinlich,...

      • @Januß:

        Lösung wäre dann: So lange Gewerkschaftsmitarbeiter entlassen bis das Verhältnis wieder der Satzung entspricht oder darüber abstimmen lassen ob die Mitglieder es okay finden 75+% ihrer Beiträge in den Overhead zu buttern,... :D

    • @Frau Kirschgrün:

      Kritik an den Gewerkschaften ist wie an jeder demokratischen Institution notwendig. Aber Ihnen die Daseinsberechtigung gänzlich abzuerkennen, ist fatal. Inn Artikel geht es um einen Einzelfall. Auch wenn dieser Fall sehr skurril anmutet, ist er noch lange nicht repräsentativ für Ver.di im Allgemeinen. Erst recht nicht für alle Gewerkschaften. Ich kann dir raten, mal das Engagement von Ver.di im Bereich der Pflege zu betrachten. Da geht richtig viel!



      Beste Grüße



      Nico

      • @Schnico:

        "…Ver.di im Bereich der Pflege…"



        Da konnte ich bei der "evangelischen Ordensgemeinschaft" nichts, aber gar nichts mitkriegen.



        Sollten die sich insgesamt nicht viel mehr "auf die Hinterfüße stellen"?



        Ich finde, das sollten sie sehr wohl. Und in dem "Pflegeunternehmen", in dem ich gearbeitet habe, war eine Einschränkung der Meinungsfreiheit mehr als an der Tagesordnung, alle haben gekuscht, wer den Mund aufgemacht, wurde gemobbt, der neue Dienststellenleiter sogar fristlos gekündigt.



        Also, da geht viel mehr, bis jetzt viel zu wenig.



        Tipp an alle Pflegekräfte:



        die Pflege ist m. W. der einzige Bereich, in dem das Arbeiten über AÜ richtig was bringt. Diejenigen, die in AÜ arbeiten haben die besten Gehälter, die besten Freizeitregelungen und die besten Urlaubs- und Wochenenden-Regelungen.



        Wäre ich noch "dabei" würde ich mich auf jeden Fall mal initiativ und konkret erkundigen, wie die Bedingungen für mich aussähen…

        • @Frau Kirschgrün:

          Gewerkschaften werden dort aktiv, wo sich Beschäftigte kollektiv zusammentun und für eine Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen eintreten.

          Gewerkschaften sind nicht die Kavallerie, die automatisch einreitet, wenn irgendwem irgendwo Unrecht getan wird. Wie auch? In der Pflege ist kaum jemand gewerkschaftlich organisiert, für ver.di ist es daher schlichtweg unmöglich, in sämtlichen Pflegeeinrichtungen präsent zu sein.







          Der Job einer Gewerkschaft besteht ohnehin darin die Interessen ihrer Mitglieder zu vertreten und diese zu unterstützten.

          Es ist schlichtweg nicht die Aufgabe einer Gewerkschaft, sich um die Belange von Nichtmitgliedern zu kümmern.

          • @Kirschberg: