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Die WahrheitDer SUV der Sprache

Kolumne
von Arno Frank

Seit einiger Zeit walzt sich durch die Straßen der Kommunikation ein massives Adjektiv, das alle anderen Wörter massiv beiseite rammt.

A ls Verächter von „Star Trek“ fühle ich mich in jüngster Zeit eher unangenehm an die eine Folge namens „Kennen Sie Tribbles?“ erinnert. Darin taucht an Bord der „Enterprise“ ein flauschiges Pelztierchen auf, dem wegen dessen pelziger Flauschigkeit die Herzen der Besatzung nur so zufliegen. Allerdings vermehrt sich das Geschöpf mit bedenklicher Geschwindigkeit. Nach drei Tagen sind es bereits 1.771.561 Tribbles, die der Besatzung gehörig auf den Geist gehen und das Raumschiff beinahe aus allen Nähten platzen lassen.

Eine vergleichbare Karriere macht momentan ein Adjektiv, dessen besinnungslose Benutzung zu seiner tribblehaften Vermehrung in den Medien geführt hat. Mit massiven Konsequenzen drohte erst neulich faselnd ein Faschist dem ZDF, das wiederum den Iran massiv unter Druck sieht, während andernorts massive Regenfälle oder Waldbrände wüten, weshalb die Feuerwehr ebenso massiv aufrüstet, wie irgendeine Firma massive Investitionen tätigt, weil sonst „massive“ Aktienverluste an der Börse drohen, wenn nicht sogar massive Einschränkungen in der Meinungsfreiheit, wogegen wiederum eine massive Mehrheit massive Bedenken anmelden würde.

Irre, was plötzlich alles massiv sein kann. Früher bezeichnete das Wort in erster Linie etwas, das nicht nur an der Oberfläche aus einem festen Material bestand, ein Klotz aus massivem Eisen etwa oder eine Schrankwand aus massiver Eiche. Eine Begegnung mit dem Massiven ist nicht immer ein Vergnügen, man denke nur an Brückenpfeiler. Weshalb massiv auch als Synonym für etwas Heftiges oder Grobes verwendet wurde und dann zu massiven – statt nur „großen“ – Schmerzen führte.

In diesem schwammigsten aller Wortsinne ist massiv inzwischen das Blähwort der Stunde. Wie ein supermassives Schwarzes Loch hat es alle umliegenden Bedeutungen eingesaugt. Nichts ist mehr heftig, stark, katastrophal, arg, alles ist massiv. Und greift weiter um sich, weil es in jedem Satz wirkt wie Glutamat in der Nudelsuppe. Ein Dringlichkeitsverstärker.

„Frau mit Anrufen belästigt“, „Gaffer behindern Feuerwehr“ oder „Regierung kritisiert“? Alles keine Nachricht mehr, wenn die Frau nicht massiv belästigt, die Feuerwehr massiv behindert und die Regierung massiv kritisiert wurde. Es ist der SUV im Fuhrpark unserer Sprache, mit massiv fährt man alles platt.

Insofern ist massiv verschwistert mit „alternativlos“, einer milderen Variante autoritären Sprechens. Weshalb es sich – noch! – nicht in die Alltagssprache vorgewagt hat. Kein Mensch von Trost schwärmt von einem massiven Orgasmus, hier bleibt als einzig gültige Steigerung der „multiple“. Auch ein Satz wie „Ich habe dich ganz massiv lieb“ fiel gewiss noch nie, und wenn, dann seinem Sprecher hoffentlich massiv auf die Füße.

Mir jedenfalls geht das Adjektiv einigermaßen auf die Nerven.

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Inlandskorrespondent
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12 Kommentare

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  • mich triggert ja „genau“ als fuellwort.

  • Der Zwillingsbruder von "massiv" könnte "robust" sein.

  • Mir geht deutlich mehr der massive Gebrauch des Weil-Nebensatzes in Hauptsatzsatzstellung auf den Zwirn, den inzwischen gefühlte 76 Prozent der Bevölkerung sprechen.

    Weil - (irritierte Pause) - man gönnt sich ja sonst nichts.

    Das Verb ans Ende des Satzes zu befördern überfordert inzwischen unsere Aufmerksamkeitsspanne.

    • @cazzimma:

      Hi Marion,



      bin kein Linguist und ehrlich gesagt, ein bissl faul, um richtig zu recherchieren (vielleicht weil ich bin kein Biodeutscher :-) ) Würde also gerne etwas mehr - bzw. überhaupt etwas- über den Grund für diese eigenartige Syntaxregel des Deutschen. Andere mir bekannte Sprachen (Englisch, Griechisch und alle romanischen Sprachen) kennen sie nicht.



      Die Stellung des Verbs am Anfang des Satzes scheint besser geeignet zu sein, den Kern der Mitteilung zu erfassen und somit die Aufmerksamkeit auf diesen zu lenken, oder?

      • @Albertoni:

        Dazu gibt es eine hübsche Anekdote: Bei einem Staatsbesuch fragt der ausländische Gast den Übersetzer, warum er denn nicht übersetze und bekommt zur Antwort: " Ich warte auf das Verb."

      • @Albertoni:

        Ich finde es ganz schön, wenn Sprachen Eigenheiten haben.



        Und da war es eben bisher Deutsch-typisch, dass das Verb im Nebensatz am Ende kommt. Auch der indirekte Fragesatz geht den Bach 'runter. Schade. Es sollten sich nicht alle Sprachen nach der englischen Satzstellung richten, aber das passiert gerade.



        Und "biodeutsch" ist ein widerwärtiges Wort, da kann man gleich "arisch" sagen.

  • Massiv witzig!!

    • @joaquim:

      Nee, voll.

  • Hahaha, prima. Gut beobachtet. Ich füge hinzu:



    Wenn ein Fußballspieler nach einem Spiel gefragt wird, ob das Spiel denn gutgewesen sei, antwortet er heute ungefähr so: "Also auf die Fragestellung nach der spielerischen Qualität in bezug auf unser Ergebnis, würde ich Ihnen da persönlich eher ein Stück weit im emotional negativen Bereich antworten wollen." Noch vor einiger Zeit wäre die Antwort gewesen:"Nein". Die Entwicklung ist befremdlich. Aber es machen irgendwie auch fast alle mit. Es gibt keine "Fragen" mehr, sondern nur noch "Fragestellungen". Ein "technisches" Problem, ist heute immer ein "technologisches" und das "extrem" rein logischerweise einen nicht steigerbaren Wert darstellt, ficht keinen an, von noch "extremerem" Wetter zu schwadronieren oder dem "aktuellsten" Verkehrsbericht, Adjektive, die ihrem Sinn nach weder Komparativ noch Superlativ haben können. Diese neunmalkluge Gespreiztheit ist auf einmal überall. Haben alle auf einmal Minderwertigkeitskomplexe bekomen oder was ist passiert ? Wie ist es zu dieser andauernden Angeber- und Wichtigtuerei gekommen ?

    • @Thomas Schöffel:

      Schlimm, schlimm. Als angelernter Kartoffel bin ich immer davon ausgegangen, dass "in keinster Weise" der richtigere und elegantere Ausdruck sei.

    • @Thomas Schöffel:

      "In keinster Weise" ist ja auch sehr beliebt und passt in diesen Trend.

    • 9G
      90946 (Profil gelöscht)
      @Thomas Schöffel:

      Ja, was ist passiert? Stehen die Leute unter Druck mit allen Mitteln Aufmerksamkeit zu erheischen, weil eh keiner recht zuhört?



      Oder hapert es an persönlicher Glaubwürdigkeit, die man in "keinster" Weise gefährdet sehen möchte? Atemloses Hülsengeschwurbel allerorten.