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SPD verliert EmdenArbeiter*innenstadt nicht mehr rot

60 Jahre regierten Sozialdemokraten in der ostfriesischen Kommune. Der Sieg des parteilosen Tim Kruithoff ist ein Einbruch für die Partei.

Pfüüü, SPD: Wasserspucker vor dem Emdener Rathaus Foto: dpa

Emden dpa | Paukenschlag in Emden: Erstmals seit mehr als 60 Jahren sitzt in der ostfriesischen Hafenstadt kein SPD-Politiker mehr auf dem Chefsessel im Rathaus. Der SPD-Kandidat Manfred Eertmoed (45) verlor die Oberbürgermeisterwahl am Sonntag haushoch gegen den parteilosen Politiker Tim Kruithoff (42), der von vier Ratsfraktionen unterstützt worden war. Er kam auf 75,4 Prozent aller Stimmen.

Sowohl CDU als auch Grüne, FDP und Linke hatten keine eigenen Kandidaten aufgestellt, sondern die Bewerbung des parteilosen Sparkassenkaufmanns unterstützt. „Das ist wirklich ein unglaubliches Ergebnis. Ich bin überwältigt“, sagte Kruithoff dem NDR. SPD-Mann Eertmoed kam dagegen nur auf 16,4 Prozent.

Amtsinhaber Bernd Bornemann (SPD) war nach acht Jahren im Amt nicht mehr zur Wiederwahl angetreten. Er hört am 31. Oktober auf. Damit endet in der traditionellen SPD-Hochburg nun eine Ära: Von 1956 bis heute saß immer ein Genosse im Chefsessel der Hafenstadt mit rund 50.000 Einwohnern.

Diesmal hatte es der SPD-Kandidat aber deutlich schwerer als beim letzten Mal: Zum einen ist die bundesweite Zustimmung für die SPD in den vergangenen Monaten weiter gesunken. Zum anderen wurde Kruithoff außer von den vier Fraktionen auch von der Wählergemeinschaft „Gemeinsam für Emden“ unterstützt. Mit dem Slogan „Veremderung“ kämpfte er erfolgreich um Wähler. Kruithoff will nun die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt voranbringen und sich um die Ansiedlung neuer Betriebe kümmern.

Die SPD hatte den 45-jährigen Manfred Eertmoed ins Rennen geschickt. Er lernte in der Verwaltung der Stadt Emden, ist aber seit sieben Jahren Bürgermeister der Nachbargemeinde Hinte.

Wahlbeteiligung bei rund 50 Prozent

Sechs weitere Namen standen auf dem Wahlzettel für die OB-Wahl, darunter zwei Frauen. Eine hatte allein durch ihren Beruf für Schlagzeilen in den Medien gesorgt: Tanja Meyer (46) arbeitet als Thekenkraft in einem Emder Bordell. Die gelernte Justiz- und Verwaltungsangestellte traut sich den Spitzenjob zu. „Niemand wird als Politiker oder Oberbürgermeister geboren, aber alles lässt sich lernen“, hatte sie im Vorfeld gesagt.

Insgesamt kämpften acht Kandidaten um die Macht im Rathaus – Tanja Meyer und die anderen Bewerber waren aber politisch bisher kaum in Erscheinung getreten. Darunter waren auch eine Verkäuferin, ein Heizungsbauer und Ex-Boxer, ein Gastronom und ein IT-Systemkaufmann. Mehr als 40.500 Menschen waren zur Abstimmung aufgerufen, fast jeder zweite ging am Sonntag tatsächlich zur Wahl.

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2 Kommentare

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  • Ist es ein Wunder, wer blickt denn bei dem Wahldes/derparteivorsitzendendoppelspitzegezeter noch durch. Jeder geduldige wohlwollende Kanalarbeiter hats doch längst aufgegeben.

  • Naja, was heißt rot. Mit Arbeiter*innen hat die SPD es schon länger nicht mehr. Sie selbst sieht sich doch als "Volkspartei". Und spätestens seit Schröder ist sie neoliberal.