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BKA-Ermittler über Kriegsverbrechen„Das geht uns alle an“

Klaus Zorn vom BKA ermittelt bei Verbrechen gegen die Menschheit. Ein Gespräch über Gewalt, den Umgang mit Opfern und War Crimes Units.

Kriegsverbrechen aufzudecken, ist viel Arbeit, weiß Ermittler Klaus Zorn vom BKA Foto: Photo by UX Gun on Unsplash
Sabine am Orde
Interview von Sabine am Orde

Klaus Zorn sieht ganz entspannt aus, wie er da beim Bundeskriminalamt, Außenstelle Meckenheim bei Bonn im Besprechungsraum sitzt. Graue Haare und Bart, eckige Metallbrille, kariertes Hemd mit offenem Kragen. Der 59-Jährige spricht mit großem Ernst, jedoch stets freundlich und zugewandt. Dabei hat Zorn alles andere als einen entspannten Job. Er leitet die Zentralstelle für die Bekämpfung von Kriegsverbrechen (ZBKV), sein Team ermittelt in Fällen von Völkermord, Folter, Massen­vergewaltigung. Zorn und seine KollegInnen haben Kriegsverbrechen auf dem Balkan bearbeitet, im Kongo und Ruanda, derzeit befassen sie sich vor allem mit Syrien. Wegen einer Regelung beim BKA darf man ihn nicht fotografieren.

taz: Herr Zorn, können Sie noch an das Gute im Menschen glauben?

Klaus Zorn: Ja, glücklicherweise kann ich das noch.

Und: Mögen Sie Ihren Job?

taz am wochenende

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Ja, sogar sehr.

Was Sie tun, hört sich erst mal furchtbar an: Sie haben mit den schlimmsten Verbrechen zu tun, die es gibt – Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit. Sie sehen Bilder von Enthauptungen und Massen­erschießungen, hören von Männern, die an Fleischerhaken aufgehängt wurden, von Frauen, die vor den ­Augen ihrer Kinder vergewaltigt wurden…

Natürlich sind das fürchterliche Dinge, aber gerade das macht unsere Arbeit so sinnvoll. Dem Leitgedanken aller War Crimes Units, „Kein sicherer Hafen für Täter und keine Straffreiheit“, fühle ich mich sehr verbunden.

„Wenn Sie einmal ein Enthauptungsvideo gesehen haben, dann werden Sie sich daran immer wieder erinnern“

Sie beschäftigen sich täglich mit dieser Gewalt – wie hält man das aus?

Es gehört zum Polizeiberuf, dass man mit Grausamkeiten umgehen und eine professionelle Distanz dazu entwickeln muss – also Dinge aufnehmen, aber auch nicht zu sehr an sich heranlassen. Der Austausch mit den anderen Kolleginnen und Kollegen im Team der ZBKV hilft dabei. Und wir haben auch regelmäßig die Möglichkeit, die Psychologen des BKA in Anspruch zu nehmen. Da sind wir gut aufgestellt.

Im Interview2Inews: Klaus Zorn

59, ist Erster Polizeihauptkommissar und leitet beim Bundes­kriminalamt das Referat ST 25 - ­Völkerstrafrecht/Zentralstelle für die Bekämpfung von Kriegsverbrechen (ZKBV). Die ZKBV entstand 2003 in Zusammenhang mit dem Inkrafttreten des Völkerstrafgesetzbuchs und der Arbeitsaufnahme des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag. Für Zorn begannen die Ermittlungen gegen Kriegsverbrecher aber bereits früher: Anfang der 90er Jahre auf dem Balkan. Es folgten Ermittlungen zu Verbrechen in Ruanda und im Kongo, heute liegt der Schwerpunkt seiner Arbeit auf Syrien.

Wie wird man Bilder von Folterungen oder Enthauptungen wieder los?

So richtig aus dem Kopf bekommt man das nicht. Wenn Sie einmal ein Enthauptungsvideo gesehen haben, dann werden Sie sich daran – an richtiger oder falscher Stelle – immer wieder erinnern. Wenn das angetriggert wird, läuft der Film im Kopf ab. Ich empfehle daher allen Kollegen, sich nur das anzuschauen, was sie für ihre Arbeit wirklich sehen müssen.

Gibt es etwas, woran Sie sich besonders erinnern?

Ich habe vor vielen Jahren einen Zeugen vom Balkan vernommen, der wirklich Schlimmes erlebt hatte. Angefangen hat es damit, dass er von seinem Nachbarn, mit dem er vorher 40 Jahre lang friedlich Tür an Tür gelebt hat, geschlagen wurde. Das gerät niemals in Vergessenheit. Auch wenn ich viel brutalere Dinge gehört habe.

Ihre Ermittlungen sind langwierig, Erfolge eher selten. Wie behalten Sie die Motivation?

Wenn neue Kolleginnen und Kollegen zu uns kommen wollen, machen wir von Anfang an klar, dass unsere Fälle nicht in einigen Monaten abgeschlossen sind. Entscheidend für unsere Mo­tivation ist die Sinnhaftigkeit dessen, was wir tun. Das gilt auch für mich selbst.

Jüngst hatten Sie einen großen Ermittlungserfolg: Der Generalbundesanwalt ließ im Februar zwei Syrer festnehmen, die an Tausenden Folterungen in einem Gefängnis in der Nähe von Damaskus beteiligt gewesen sein sollen. Die beiden könnten die ersten Syrer sein, die in Deutschland wegen Kriegsverbrechen in Syrien vor Gericht gestellt werden. Sind diese Festnahmen historisch bedeutsam?

Verbrechen in Syrien

Der Generalbundesanwalt (GBA) hat im Februar in Berlin und Rheinland-Pfalz zwei mutmaßliche frühere Mitarbeiter des syrischen Geheimdienstes festnehmen lassen. Der 56-jährige Anwar R. soll im Raum Damaskus eine sogenannte Ermittlungsabteilung mit angeschlossenem Gefängnis geleitet haben und dort zwischen April 2011 und September 2012 an Folter und körperlicher Misshandlung beteiligt gewesen sein. R. soll die Abläufe bestimmt und auch den Einsatz von syste­matischer Folter befehligt haben.

Der 42-jährige Eyad A. wird verdächtigt, von Juli 2011 bis Januar 2012 als Geheimdienstmitarbeiter Beihilfe zur Tötung zweier Menschen sowie zur Folterung und Misshandlung von mindestens 2.000 Menschen geleistet zu haben. A. soll bei einer Einheit gewesen sein, die der Abteilung von Anwar R. zugearbeitet hat. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am 17. Mai den Haftbefehl gegen A., der 2018 als Asylsuchender nach Deutschland kam, wegen eines Verfahrensfehlers bei seiner Aussage aufgehoben. Der GBA hat gegen den Beschluss Beschwerde eingelegt. Das Interview mit Klaus Zorn wurde kurz vor dieser Entscheidung geführt, eine Frage samt Antwort dazu im Nachhinein ergänzt. Die Ermittlungen gegen A. gehen derzeit weiter.

Die beiden Festnahmen von ehemaligen Angehörigen des Assad-Regimes sind die ersten dieser Art in Deutschland. GBA und BKA machen keine Angaben über die Anzahl weiterer Verfahren dieser Art.

Der Ausdruck „historisch“ scheint mir etwas hoch gegriffen. Wir haben ja bereits vergleichbare Ermittlungen mit Bezug zu den Vorkommnissen auf dem Balkan in den 90er Jahren durchgeführt. Wir haben zum Beispiel gegen den bosnischen Serben Duško Tadić ermittelt und gegen andere auch, die später verurteilt wurden.

Tadić wurde 1994 in München festgenommen und 1997 vom Interna­tionalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag wegen Kriegsverbrechen verurteilt.

Ich erinnere mich noch, als wir nach der Festnahme von Tadić mit den Opfern gesprochen haben, wie froh sie waren, dass wir verhindern, dass Kriegsverbrecher wie er sich in Deutschland sicher fühlen können. Das ist ein wichtiges Zeichen. Mit jeder Festnahme wissen die Opfer, es gibt deutsche Straf­verfolgungsorgane, die sich darum kümmern, dass solche Straftaten auf­geklärt und die Täter vor Gericht gestellt werden. Und natürlich ist das auch ein ­Zeichen an mutmaßliche weitere Täter.

Wenn die Festnahmen für Sie nicht so bedeutungsvoll sind, was dann?

Durch den Haftbefehl wird unsere Ermittlungsarbeit vom Generalbundesanwalt einem ersten Ergebnis zugeführt. Allerdings sind diese Fälle noch nicht abgeschlossen, es gibt noch keinen Prozess, kein Urteil. Aber solche Festnahmen sind natürlich wichtig, auch in der Außenwirkung. Der Gesetzgeber hat mit dem Völkerstrafgesetzbuch, das es seit 2002 gibt, einen politischen Willen ausgedrückt, und den setzen wir um.

Einer der beiden Syrer ist inzwischen nach einer Entscheidung des B­undesgerichtshofs wegen eines Verfahrensfehlers bei seiner Befragung noch als Zeuge aus der U-Haft ­entlassen worden. Wie beurteilen Sie das?

Es handelt sich um ein laufendes Ermittlungsverfahren, daher bitte ich um Verständnis, dass wir uns zu ­dieser Frage aktuell nicht äußern können.

Warum ermitteln Sie als deutsche Polizeibeamte, wenn Syrer von Syrern in Syrien gefoltert werden?

Wir sprechen hier über die schlimmsten Verbrechen gegen die Menschlichkeit, also über etwas, das uns alle angeht. Deshalb ist im Völkerstrafgesetzbuch das Weltrechtsprinzip verankert. Das heißt, dass bei diesen Straftaten auch von deutschen Strafverfolgungsbehörden ermittelt werden kann, auch wenn es keinen direkten Anknüpfungspunkt in Deutschland gibt. Der Generalbundesanwalt muss ermitteln, wenn Täter oder Opfer Deutsche sind. Wenn wir betroffene Opfer hierhaben, kann er ermitteln. Das ist ein großer Fortschritt. Früher musste der Täter dafür in Deutschland sein. Beim Bosnienkrieg waren viele Opfer hier, die Täter aber oft noch in der Heimat. Anders als damals sind jetzt zeitnahe Ermittlungen möglich und auch schnelle Befragungen von Zeugen. Wenn die Taten jahrelang zurück liegen, ist unsere Ermittlungsarbeit viel schwerer.

Wie laufen solche Ermittlungen?

Grundsätzlich ist es so: Wir führen im Auftrag des Generalbundesanwalts ein Strukturverfahren, also eine Art Vorermittlungen gegen Unbekannt. Das dient dazu, Fakten und mögliche Beweise für spätere Verfahren zusammenzutragen; in diesem Fall zu Verbrechen, die in Syrien verübt wurden. Alles, was an Anzeigen, an Hinweisen und an übrigen Informationen reinkommt, sammeln wir, bringen es in eine Chronologie und setzen es wie ein Puzzle zusammen.

Sie vernehmen während den Ermittlungen auch selbst Zeugen…

Ja, uns stehen alle Mittel der Strafprozessordnung zur Verfügung, wir können also auch Zeugen vernehmen und die Aussagen später in einem Verfahren gegen eine konkrete Person verwenden. Egal, ob der Prozess bei uns in Deutschland oder auch bei einem Internationalen Strafgerichtshof, beispielsweise in Den Haag, stattfindet, wie wir es bei der Aufarbeitung der Völkerrechtsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien hatten. Wir sind zwar Teil der nationalen Strafverfolgung, aber wir müssen auch die internationalen Dimensionen solcher Straftaten im Blick haben. Deshalb arbeiten wir mit War Crimes Units anderer Staaten eng zusammen. Oftmals verdichten sich dann Informationen und wenn sie bei einer Person einen Tatverdacht begründen, dann wird gegen diese Person ermittelt.

Wie muss man sich die Zeugenaussagen vorstellen? Fahren Sie und Ihre Kollegen in die Türkei, in den Libanon und nach Jordanien und befragen dort Zeugen?

Man kann es damit vergleichen, einen Stein ins Wasser zu werfen: Der erste Hinweisgeber ist in Deutschland, macht beispielsweise Angaben bei seiner Erstbefragung als Flüchtling gegenüber den Mitarbeitern des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, kurz Bamf. Wenn wir diese Hinweisgeber polizeilich vernehmen, verweisen sie auf andere und die wieder auf andere – und die sind vielleicht als Flüchtlinge nach Dänemark oder in die Niederlande gegangen. Dann müssen wir ein Rechtshilfeersuchen stellen, und es kann schon einige Zeit dauern, bis wir dann dort hinkönnen, um die Zeugen zu befragen. Auch deshalb dauern die Verfahren oft länger.

Das heißt, Sie befragen Zeugen auch in Ländern, wo es mit der Rechtsstaatlichkeit durchaus Probleme gibt – wie in der Türkei, und fahren vielleicht auch irgendwann nach Syrien?

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der ZBKV sind grundsätzlich bereit, im Ausland – auch in sogenannten post-conflict countries – Zeugenvernehmungen und Ermittlungen durchzuführen, wenn dies im Einklang mit den Rechtshilfevorschriften und der deutschen Strafprozessordnung steht und es auch unter Sicherheitsgesichtspunkten ohne eine Gefährdung des eigenen Personals möglich ist. Wir waren ja auch in Ruanda und im Kongo und haben dort mit Zeugen gesprochen.

Wo kommen Ihre Hinweise her?

Viele stammen, wie gesagt, aus Erstbefragungen von Flüchtlingen im BAMF. Wenn jemand angibt, „ich habe gesehen, wie jemand umgebracht wurde“, oder: „Ich habe Massengräber gesehen, ich war im Foltergefängnis“, wenn ­solche Aussagen fallen, die Substanz haben, und diese Menschen auch be­reit sind, mit der Polizei zusammenzuarbeiten, dann kommen diese Hinweise zu uns. Von 2015 bis heute sind das etwa 5.000 Hinweise, denen wir ­nachgehen und die wir bei unserer Arbeit verwenden. Oft sind diese ­Gespräche nicht einfach, weil die Menschen der Polizei nicht unbedingt vertrauen.

Sie ermitteln auch mithilfe der sogenannten Caesar-Bilder, die ein ehemaliger syrischer Militärfotograf von den Leichen in Foltergefängnissen gemacht hat.

Ja, Caesar, so der Deckname eines ehemaligen syrischen Militärfotografen, musste diese schrecklichen Taten penibel dokumentieren. Irgendwann hat er – wohl weil er das Grauen nicht mehr ausgehalten hat – über 50.000 Fotos aus Syrien geschleust und veröffentlicht. Diese Fotos sind ein Fundus für uns. Wir werten sie forensisch aus und versuchen, sie mit Erkenntnissen über einzelne Täter zusammenzubringen, die wir dann hoffentlich irgendwann vor Gericht stellen können.

Wie läuft bei solchen Ermittlungen die Zusammenarbeit mit anderen Staaten und mit dem Internationalen Strafgerichtshof?

Die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof, dem ICC, war von Anfang an gut. Seit dem sogenannten Jugoslawien-Tribunal in den neunziger Jahren hat sich die Zusammenarbeit mit anderen Staaten sehr gut entwickelt. Es gibt einen engen Austausch mit den anderen War Crimes Units. Innerhalb der EU gibt es außerdem das sogenannte Genocide Network, das sich zweimal im Jahr in Den Haag trifft. Am ersten Tag, bei der closed session, treffen sich nur die Ermittler, also Polizeibeamte und Staatsanwälte. Dort stellen die Teilnehmer vor, woran sie arbeiten. Wenn wir eine Übereinstimmung feststellen, tauschen wir uns zwischen den beteiligten Staaten aus. Am zweiten Tag kommen bei der open session auch NGOs und andere hinzu und bringen ihre Informationen und Erfahrungen ein. Das kann man fast eine europäische Informationsbörse nennen, das ist sehr wichtig.

Welche Rolle spielt Europol, die europäische Polizeibehörde?

Bis 2017 war Europol für diese Straftaten nicht zuständig, das hat sich aber mit einer neuen Europol-Verordnung geändert. Europol ermittelt nicht selbst, hilft aber dabei, Informationen zusammenzuführen. So gibt es bei Europol jetzt eine Datenbank, in die alle War Crime Units ihre Fälle einspeisen können. Wenn beim Datenabgleich Übereinstimmungen erzielt werden, stimmen wir uns mit dem jeweiligen Staat weiter ab. Das hilft, unsere Informationen zu verdichten.

Derzeit wird disktiert, ob die deutschen IS-Kämpfer, die in Syrien in kurdischen Lagern inhaftiert sind, nach Deutschland geholt werden sollen. Würde Ihnen das bei den Ermittlungen helfen? Würden Sie die gerne befragen?

Wenn jemand eine Zeit lang beim IS oder einer Oppositionsgruppe oder beim syrischen Regime gewesen ist, und aussagen will, könnte eine solche Person vermutlich auch für uns hilfreiche Angaben machen. Die Entscheidung über die Rückkehr solcher Personen nach Deutschland wird jedoch nicht bei der ZBKV, sondern an anderer Stelle getroffen.

Sie haben auch in Ruanda und im Kongo ermittelt, zum Beispiel im Fall der ruandischen Hutu-Miliz FDLR, deren Präsident in Deutschland lebte und formal die Befehlsgewalt innehatte, als die Miliz Massaker an der Zivilbevölkerung verübte. Nach langen Ermittlungen kam es zu einem Prozess, bei dem 11 von 16 Anklagepunkten fallen gelassen wurden, später wurde das Urteil sogar aufgehoben. Haben Sie etwas falsch gemacht?

Nein, ich glaube nicht. Wir würden heute nichts anders machen. Unsere Ansätze waren gut, erst hier zu ermitteln und die Ermittlungen dann auszuweiten auf das Tatortland.

Human Rights Watch kritisierte damals, das werfe „Fragen über die Gründlichkeit der Ermittlungen der deutschen Behörden auf“.

Da muss ich widersprechen, was die Polizeiarbeit angeht. Ich war selber vor Ort im Kongo, wir haben unser Bestes gegeben.

Hatten Sie damals genug Personal? Ihr Team war noch deutlich kleiner.

Wir waren weniger, aber wir haben für diesen Fall Unterstützungskräfte bekommen. Es war ausreichend Personal da.

Fallen gelassen wurden alle Vorwürfe der Vergewaltigung und sexuellen Versklavung, der Rekrutierung von Kindersoldaten – eigentlich alles, was allein auf Aussagen von Opferzeugen beruht. Medica Mondiale hat scharf kritisiert, Prozess und Urteil seien ein Schlag ins Gesicht der Frauen und Mädchen, die massenhaft von Soldaten der FDLR vergewaltigt wurden und von denen einige ausgesagt hatten. Was bedeuten diese Aussagen der Opfer?

Bei den Befragungen haben wir aufseiten der Polizei mit reinen Frauenteams gearbeitet, und viele der Betroffenen haben gesagt, dass ihnen vorher noch nie jemand so ausführlich zugehört habe. Das finde ich positiv. Das ist aber von den Problemen im Verfahren zu trennen.

Meinen Sie damit die Anonymisierung der Zeugenaussagen? Das soll die Zeuginnen schützen, macht aber die Aussagen vor Gericht weniger wertvoll. So kann für die Zeuginnen der Eindruck entstehen, sie hätten umsonst ausgesagt.

Wir erklären den Zeugen, dass ihre Aussagen für die Ermittlungen wichtig sind und dass sie wahrscheinlich vor Gericht aussagen müssen. Es ist sehr wichtig, dass wir den ganzen Weg aufzeigen und ihnen die Entscheidung überlassen, ob sie gemeinsam mit uns diesen Weg gehen wollen. Ein Zeuge muss wissen, dass er in dem Prozess mit dem Straftäter konfrontiert sein wird. Wir sind uns unserer Verantwortung im Umgang mit den meist traumatisierten Opfern sehr bewusst. Ich persönlich halte nicht viel von anonymisierten Aussagen. Denn wenn man nicht nur die Namen weglässt, sondern auch Orte und andere Details, dann passt die Aussage überallhin. Das ist natürlich ein Einfallstor für die Verteidigung.

Das heißt, Sie würden das heute anders machen?

Ja, dafür spricht einiges.

Wie sehen Sie in die Zukunft?

Ich bin optimistisch, was unsere Ermittlungsarbeit angeht. Unsere Motivation, die Langmut, mit der wir an die Arbeit herangehen, und die bisherigen Erfolge bei Festnahmen, Prozessen und Verurteilungen, das sehe ich durchweg positiv. Dieses Zeichen, das wir mit einer Verhaftung und der späteren Verurteilung an die Opfer senden, ist sehr wichtig. Und ich glaube auch, dass die Verurteilungen präventiv wirken. Auch das ist positiv.

Das hört sich sehr zuversichtlich an. Meinen Sie, dass Sie solche Verbrechen irgendwann vielleicht verhindern können?

Das kann ich nicht sagen. Was zum Beispiel nach dem Jugoslawienkrieg gesagt wurde: Nie mehr soll so etwas vor unseren Augen passieren – das ist leider nicht eingetroffen. Deshalb ist es umso wichtiger, dass sich immer mehr Länder die Verfolgung von Völkerstraftaten auf ihre Fahne schreiben.

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