piwik no script img

Musikfestival in der ElfenbeinküsteZwischen Rhythmen und Fakten

Die Elfenbeinküste in Westafrika ist ein boomendes Land. Eindrücke von einem Musikfestival, das die Gleichstellung von Frauen fördern will.

Oumou Sangaré tritt auch mit politischen Ansagen auf: Sie ist gegen Kinderehen und Polygamie Foto: femua

Abidjan taz | Abrupt stoppt der Konvoi am Standstreifen der Schnellstraße von Abidjan nach Bingerville: Ein Polizei-Pick-up mit Blaulicht, mehrere Pkw und der Bus mit den Journalisten fahren rechts ran. Warten auf „die Diva“, bei 36 Grad und hoher Luftfeuchtigkeit fühlt sich das an, als würde man vor einem Pizza­ofen in einem Sumpfgebiet brutzeln.

„Die Diva“ – so wird die malische Sängerin Oumou Sangaré ehrfürchtig und sarkastisch zugleich genannt – trifft nach einer halben Ewigkeit ein. Weiter geht die Fahrt zum „Hôpital Mère-Enfant Dominique Ouattara“ in Bingerville, einer Vorstadt von Abidjan.

Das nach der ivorischen Präsidentengattin benannte Krankenhaus, 2018 eröffnet, ist auf dem neuesten Stand von Technologie und Gesundheitsvorsorge. Ein Leuchtturm in einem Land mit hoher Kindersterblichkeit, finanziert von der Stiftung „Children of Africa“, auch der chinesische Botschafter und weitere Gönner werden auf einer Tafel im Eingangsbereich genannt.

Nachts um halb zwei wird die Sangaré beim Festival Femua auf einem Sportgelände mitten im Slumviertel Marcory in Abidjan ein umjubeltes Konzert geben und die Power ihres melismatischen Gesangs perfekt einsetzen. Sangaré, die sich gegen Kinderehen und Polygamie ausgesprochen hat, wird beim Konzert auch für ihre Ansagen gefeiert.

Afrika in seinen Rätseln

Mehrmals spricht sie, ganz in Weiß, die freie Partnerwahl für Frauen an, Jubel brandet auf, nicht nur Zuschauerinnen spenden Beifall. Dazu spielt eine achtköpfige Band, aus der vor allem der Koraspieler und die zwei Backgroundsängerinnen herausstechen, gravitätisch, in kreishaften Bewegungen entfalten sich diese teils zehnminütigen Songs. Die 20.000 ZuschauerInnen nehmen die magische Kraft der Musik auf, feiern die 51-Jährige.

Wenige Stunden zuvor bringt Oumou Sangaré ihre Star-Aura im kanarienvogelgelben Kleid auf dem Krankenhausflur in Bingerville zur Geltung. Wie sie an der Seite von A’Salfo, dem Gründer von Femua und Sänger der Band Magic System, der Meute voranschreitet, wird später überall in afrikanischen Medien zu sehen sein. Vorbei geht es an der Station für Frühgeburten.

Die Frühchen in den Brutkästen werden ausgeblendet, ansonsten wird fleißig gefilmt und geknipst. ÄrztInnen berichten von ihrer Arbeit. 500 Geburten gab es seit letztem Jahr, heißt es. Der Andrang scheint an diesem Tag nicht groß zu sein, eine Handvoll Kinder wartet mit ihren Müttern an den Ambulanzstationen. Unklar bleibt, wer hier Aufnahme findet und wer nicht.

Man solle Afrika in seinen Rhythmen und Klängen, aber auch in seinen Rätseln denken, hat der kamerunische Philosoph Achille Mbembe in seinem Buch „Postkolonie“ gefordert. Mbembe stellt sich den Kontinent als lebendigen Körper vor, „in all seiner Kraft und Materialität ebenso wie in der Macht seiner Gegenwart im Realen und seiner schmerzvollen Beziehung zur Welt“. Hierfür liefert die Elfenbeinküste aktuell jede Menge Anschauungsmaterial.

Unterschiede zwischen Stadt und Land

Sie ist ein Boomland mit einem Wirtschaftswachstum von rund 8 Prozent (2018). In Abidjan sind zuletzt Malls entstanden. Fastfoodketten betreiben Restaurants, Modefirmen haben Flagship-Stores, einheimische und ausländische Wohlhabende und eine Mittelklasse verkehren dort. Die Millionenstadt wirkt wie im Rohzustand, überall wird gebaut, vieles bleibt unfertig. Zwischen Stadt und Land gibt es allerdings gravierende Unterschiede. 46 Prozent der ivorischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze. 63 Prozent der Frauen können weder schreiben noch lesen.

Sehr ernüchternd ist die Nachricht, dass nach wie vor 38 Prozent der Ivorerinnen verstümmelte Genitalien haben. Schließlich ist die Elfenbeinküste weder eine Diktatur noch ein failed state. Obwohl die Infrastruktur nach den bürgerkriegsartigen Unruhen 2011/12 am Boden lag, geht der Wiederaufbau voran. Die Elfenbeinküste ist heute eine gefestigte parlamentarische Demokratie, als nicht-ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat vermittelt sie erfolgreich bei Konflikten in den Nachbarländern Mali und Burkina Faso.

Genitalverstümmelung von Frauen ist offiziell seit Ende der Neunziger verboten, juristisch verfolgt wird sie erst seit Kurzem. Umso wichtiger, dass das Thema beim Femua-Festival in einem Panel zur Sprache kommt. Dort heißt es, junge Frauen und Männer besser aufzuklären, sei eine Herkulesaufgabe für mehrere Generationen.

Das Problem liege in den Familien und habe einen religiösen und einen gesellschaftlichen Kern. Das Oberthema des Festivals ist dieses Jahr „Genre et Développement“: die Gleichstellung der Frau. Femua macht schon beim Line-up Ernst: Acht Künstlerinnen spielen zusammen mit acht Künstlern. Weitere Frauen sind unter den BackgroundsängerInnen und TänzerInnen.

Wo anfangen?

Im Herbst gehen A’Salfo und seine Band Magic System mit Unterstützung der EU auf Tournee durch die Elfenbeinküste. Vor allem auf dem Land stoßen die Botschaften von der Gleichstellung der Frau auf Widerstand. Zwar sind inzwischen 17 Prozent der Abgeordneten in den beiden Parlamentskammern weiblich, angestrebt werden 30 Prozent. Nur, es gibt so gut wie keine weiblichen Dorfvorstände, ist zu erfahren. Wo also anfangen?

Auf A’Salfo hören die Leute, deshalb glaubt der EU-Botschafter der Elfenbeinküste, der seit sieben Monaten in Abidjan amtierende Deutsche Jost von Kirchmann, an den Erfolg der Mission. Im Gespräch mit der taz unterstreicht der Diplomat, es gehe vor allem um die Sensibilisierung von Ivorerinnen.

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Im Vergleich zum ökonomisch stärkeren Südafrika sei Gleichberechtigung in der Elfenbeinküste schon weiter. Alle Ivorerinnen, mit denen man spricht, eine der wenigen Taxifahrerinnen, die Ärztinnen im Krankenhaus, eine DJ, räumen ein, die Gleichstellung der Frau sei ein langwieriger Prozess.

Spätestens hier kommt man ins Grübeln, ob Achille Mbembes in seinem Essay „Postkolonie“ zum Ausdruck gebrachte Ablehnung von good governance, die er als eine versteckte Form von Neokolonialismus betrachtet, eine sinnvolle Kritik der Entwicklungshilfe ist. Die EU könne das Land gar nicht substituieren, erklärt wiederum von Kirchmann, die Ivorer müssten ihre Probleme doch selbst lösen.

Die Menschen wollen teilhaben an den Verheißungen des Wohlstands. Zu merken ist das beim Stand von Goethe-Institut, DAAD und deutscher Botschaft auf dem Femua-Festivalgelände, der beliebt ist, es gibt Basecaps und viele interessieren sich für die Sprachkurse. Auch bei einer Modenschau von DesignerInnen aus Burkina Faso, dem Gastland des Festivals Femua, im Institut Français in Abidjan ist volles Haus.

Neben dem Glamourfaktor hat der Abend politische Bedeutung

Zu sehen gibt es wunderbare, von coolen Models getragene Dashikis, knielange, bestickte und psychedelisch gemusterte Hemden für Frauen und Männer, die auch bei großer Hitze leicht und luftdurchlässig wirken.

Neben dem Glamourfaktor hat dieser Abend zudem politische Bedeutung, denn der ivorische Präsident Alassane Ouattara hat mütterlicherseits Wurzeln in Burkina Faso, was ihm seine Widersacher lange Jahre vorwarfen: So einer könne nicht Staatsmann werden. Dabei ist die Elfenbeinküste seit jeher Einwanderungsland: 2015 war ein Viertel der Bevölkerung anderswo geboren.

Und die Migranten aus Burkina Faso feiern sich im Institut Français. Zum Konzert von Mariah Bissongo, das nach der Modenschau beginnt, stürmen sie auf die Bühne, tanzen mit der Künstlerin und stecken ihr als Form von Zuneigung dabei Geldscheine zu.

Glaubwürdiges Rahmenprogramm

Nachts auf dem Festivalgelände, wenn ein Moderator, der zwischen den Konzerten die Menge anheizt, stolz verkündet, „wir liefern andere Bilder von Afrika“, will man ihm zustimmen, nicht nur, weil Femua professionell organisiert ist. Auch das Rahmenprogramm des Festivals ist glaubwürdig, es geht über den Charity-Charakter von Festivals in Europa hinaus. Das zeigt der Besuch eines Waisenhauses, co-finanziert von Femua.

Die Lebenserwartung an der Elfenbeinküste liegt bei durchschnittlich 53 Jahren. Dass Kinder ohne Eltern aufwachsen, ist hier ganz normal. In Bingerville wurden für die Waisenkinder kleine Bungalows errichtet. A’Salfo, der mit seiner Band Magic System in der Elfenbeinküste ein Volksheld ist, hat ein Händchen für solche PR-Aktionen. Als er und seine Leute anfingen, das Waisenhaus in Bingerville zu unterstützen, kamen weitere Partner ins Boot und schoben mit an.

Auch Chantal Taiba, eine der Femua-Künstlerinnnen 2019, teilte in ihrer Kindheit dieses Schicksal. Anders als die Waisen in Bingerville kam sie nach dem Tod beider Eltern bei ihrer Tante unter, die Taiba mit ihren sechs leiblichen Kindern erzogen hat. Berühmt wurde sie als Sängerin im Chor von RTI, dem staatlichen ivorischen Rundfunk. Heute wird sie „La Raine du Matiko“ genannt, nach dem Tanz, der ihren Musikstil charakterisiert, Matiko soll die Freude der Frauen zum Ausdruck bringen, manche Texte sind allerdings bieder und gar nicht aufmüpfig, die Musik dagegen super funky.

Was er von seiner Mutter mit auf den Weg bekommen hat, erklärt Festivalleiter A’Salfo der taz so: „Sie hat mir beigebracht, dass ich alle Menschen gleichermaßen respektiere, dass ich Frauen anständig behandle.“ A’Salfo ist ein Gentleman, der nun zum zwölften Mal das Femua auf die Beine gestellt hat. Der Eintritt zum Festival ist frei, mit den Erlösen aus den TV-Einnahmen wurden in der Elfenbeinküste bis jetzt sechs Schulen errichtet. Sein großer Traum sei, dass überall in Afrika Musikfestivals stattfinden, die zur Bildung des Kontinents beitragen, erklärt er der taz.

Testosteron kocht hoch

Am zweiten Abend des Festivals tritt das Thema Gleichberechtigung beim Auftritt des französischen Rappers Kaaris allerdings in den Hintergrund. Kaaris, der ivorische Wurzeln hat, aber in der Nähe von Paris aufgewachsen ist und mehrmals in die Elfenbeinküste zurückkehrte, einmal, um in einem Militärcamp Unterschlupf zu finden, gilt momentan als Enfant terrible des französischen Hip-Hop.

Vergangenes Jahr ist er nach einem zunächst mit Worten ausgetragenen Beef am Pariser Flughafen Orly auf seinen Konkurrenten Booba losgegangen, worauf es zwischen den Entouragen der Stars zu einer Schlägerei kam. Auch beim Femua kocht er mit seinen Ansagen das Testosteron so lange hoch, bis die Menge auf die Barrikaden geht, woraufhin es zum Schlagstockeinsatz durch Polizisten kommt. Kaaris’ Sound ist eher gewöhnlicher Trap mit simplen Melodien, schleppenden Beats und Dicke-Hose-Gelaber, die Leute in Abidjan lieben ihn deshalb.

Auch Oumou Sangaré wird ihrem Ruf als „Diva“ noch einmal gerecht. Ihr Konzert fällt mit 40 Minuten kurz aus. Weil die Zuschauer keine Zugabe fordern, verlässt sie die Bühne wutentbrannt. Allerdings ist die Zugabe in der Elfenbeinküste gar nicht üblich, man verharrt hier vor der Bühne bis zum Konzert­ende.

Die Recherche wurde von Femua unterstützt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Kleine Anmerkung: Marcory ist das genaue Gegenteil von einem Slumviertel. Dort wohnen die viele Europäer und wohlhabende Afrikaner und Libanesen. Teures Pflaster.

    • Julian Weber , Autor des Artikels, Kulturredakteur
      @Andreas J:

      Direkt neben dem Festivalgelände INJS sind Wellblechhütten und Holzverschläge, in denen Menschen leben. Ist das für Sie "teures Pflaster"

      • @Julian Weber:

        Erzählen sie mal einen Ivorer das Marcory ein Slum ist. Ärmliche Behausungen gibt es überall in Abidjan. Auch in Cocody, wo auch viele Wohlhabende leben. Dann kann man auch gleich ganz Abidjan als Slum bezeichnen. Eine Wellblechhütte habe ich dort nie gesehen. Bei den armen liegt Wellblech auf dem Dach. Die Wände sind meist aus billigen Beton und einige leben in Holzverschlägen. Wellblechhütte hört sich aber dramatischer an in einem Artikel. Eine reine Wellblechhütte währe ein Ofen bei dem Klima. Als Slum kann man Viertel wie Abobo bezeichnen. Ich kenne Abidjan ziemlich gut. Die Lage vieler Menschen ist katastrophal, aber man muss das Elend nicht noch dramatisch ausschmücken. Es geht mir um ein sachliches und differenziertes Bild vom Afrikanischen Kontinent. Das wünschen sich auch die Afrikaner.