Ex-Zwangsarbeitslager in Berlin: Luxus-Wohnen in der Baracke
Die Beschreibung zweier Wohnungen in einer ehemaligen NS-Zwangsarbeiter-Baracke führt zu Kritik. Das Architekturbüro entschuldigt sich.
Zu sehen sind zudem Bilder des 1944 errichteten einstöckigen Gebäudes, die die ehemalige Barackenstruktur erkennen lassen. Im Inneren stehen noble Möbel vor der unverputzten Originalwand. Seit einiger Zeit wohnen dort auf 380 qm bereits zwei Familien.
Am Samstag hatte die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin (RIAS) in einem Tweet auf die Beschreibung hingewiesen und diese als „irritierend“ bezeichnet. Dass der inkriminierte Satz mittlerweile entfernt ist, bezeichnet Rias-Mitarbeiter Alexander Rasumny auf Anfrage der taz als „richtig“. Weiterhin sagte er: „Angemessen wäre aber auch, wenn transparent gemacht würde, dass der Text einen inakzeptablen Satz enthielt und deswegen überarbeitet wurde.“
Architektin Annelie Seemann entschuldigte sich im Gespräch mit der taz für den „unpassenden“ Satz: „Es tut uns leid, wenn sich dadurch jemand beleidigt gefühlt hat.“
Das Zwangsarbeiterlager Kaulsdorf entstand auf einem zwangsenteigneten Grundstück, das ursprünglich einen jüdischen Besitzer hatte. Ab 1940 wurde es als Kriegsgefangenenlager für französische Soldaten, später für Zwangsarbeiter aus dem Osten genutzt. Etwa 1.500 Personen, vor allem Russen und Ukrainer, darunter viele Frauen und Kinder lebten dort unter menschenunwürdigen Bedingungen. Die meisten Gebäude wurden bei Luftangriffen am Ende des Zweiten Weltkrieges zerstört. Die Baracke mit der Bezeichnung 92B ist die letzte noch bestehende und steht unter Denkmalschutz.
Wohnnutzung festgeschrieben
Das vor einigen Jahren an zwei Familien verkaufte Grundstück und Gebäude wird von den Architekten seit 2017 restauriert und umgebaut. Das Konzept sei „in Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege erstellt“ worden, so Seemann. Vor einigen Jahren war die Baracke überwuchert und nicht mehr als solche erkennbar gewesen. Ziel war es, „die Geschichte zu bewahren, aber gleichzeitig auch etwas Neues, Positives entstehen zu lassen.“ Erhalten wurden die vorhanden Wände, Fenster- und Türenpaare, die Schornsteine sowie die mittlere Wand, die Zellenstruktur wurde nicht wiederhergestellt.
Die Wohnnutzung sei im Bebauungsplan des Gebietes festgeschrieben, betonte Seemann; auch nach 1945 seien die Baracken zum Wohnen genutzt worden. Unbeantwortet ist die Frage, was der Reiz für die beiden Familien ist, in der eigenen Wohnung an NS-Verbrechen und Barackennutzung erinnert zu werden.
In einer Ausstellung des Bezirks wird aus einem Brief des ehemaligen Häftlings J. K. Gnatik zitiert: „Wir wohnten in einer einstöckigen hölzernen Lagerbaracke, die in zwei Räume aufgeteilt war. Die Betten waren doppelstöckig und aus Holz.“ Ein anderer Häftling mit dem Nachnamen Federowski schrieb: „Alle Arbeiter waren unterernährt, in zerrissener und verschmutzter Kleidung. Es waren 1500 Menschen im Lager: Jungen und Mädchen. Fast alle waren vor Hunger aufgedunsen, viele starben (alte Menschen), viele rannten weg.“
Die Denkmalschützer des Bezirksamtes Marzahn-Hellersdorf hätten das Gelände der Zwangsarbeiterlagers gern unter Schutz gestellt. Beim letzten Verkauf 2011/12 habe sich der Bezirk aber nicht durchringen können, das Gelände zu erwerben. Laut Dorothee Ifland, Leiterin des Bezirksmuseums, sind dann vier Baracken abgerissen worden, bevor sie unter Denkmalschutz gestellt werden konnten. Eine Freilicht-Ausstellung zum Lager und seinen Opfern existiert seit 2013. Eine weitere Stele soll bis September direkt an der Wohn-Baracke aufgestellt werden.
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