piwik no script img

Berlin und SpätisGrüner sagt Spätis den Kampf an

Der Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) will gegen die Sonntagsöffnungen der Spätis in Mitte vorgehen. Mehr Kontrollen geplant.

„24/7“ wird in Mitte nicht mehr geduldet Foto: Winfried Rothermel / picture alliance / dpa

Seinem Ruf, Enfant terrible der Grünen zu sein, macht Stephan von Dassel zurzeit wieder alle Ehre. Auf einer Pressekonferenz bekräftigte der Bürgermeister von Mitte am Freitag das Vorhaben, die Spätis in seinem Bezirk stärker kon­trollieren zu wollen. Den Shitstorm, der deshalb seit Tagen im Netz tobt, kommentierte er süffisant mit den Worten: „Es gibt immer wieder Themen, die bei dem einen oder anderen zu Schnappatmung führen.“

Die grüne Wirtschaftssenatorin Ramona Pop hatte das Vorhaben am Donnerstag gegenüber Medien mit den Worten kommentiert: „Spätis gehören zur Berliner Kiezkultur.“ Silke Gebel, grüne Fraktionschefin, bezeichnete es als falsch, „die Spätis wegzukontrollieren“.

Von Dassel sagte am Freitag, es gehe ihm nicht darum, das Leben in den Nischen wegzukontrollieren. Aber was die Spätis betreffe, würden diese in Mitte nur so wie Pilze aus dem Boden schießen. Auf mindestens vierstellig bezeichnete er deren Zahl. Allein in der Köpenicker Straße gebe es an die 10 Läden, die ihren Hauptumsatz durch Alkoholverkauf erzielten.

„24/6“ geöffnet zu haben – also von montags, o Uhr bis samstags, 24 Uhr – ist erlaubt. Den Rest der Samstagnacht und den ganzen Sonntag sind die Spätis laut Berliner Ladenöffnungsgesetz aber zur Schließung verpflichtet. Dass das in Berlin „niemand macht“, sei ihm bekannt, sagte von Dassel. In Mitte werde er den Wildwuchs aber nicht länger tolerieren.

Anwohner durch Lärm gestört

Anwohner der Köpenicker Straße und von Leopold- und Hansaplatz fühlten sich durch den Lärm der Späti-Kunden an den Wochenenden zunehmend gestört. Diverse Krisensitzungen an runden Tischen habe es deshalb schon gegeben. Dadurch, dass immer mehr ­Spätis eröffneten, entstehe in den Kiezen eine Monokultur, andere Ge­werbetreibende würden verdrängt.

Wie er die Kontrollen bewerkstelligen wolle, wurde von Dassel gefragt. Das Ordnungsamt in Mitte werde demnächst auf 70 Mitarbeiter aufgestockt, allerdings seien diese auch für alle anderen anfallenden Kontrollen im Bezirk zuständig, räumte von Dassel ein. Geplant sei, die Arbeitszeiten der Mitarbeiter bis 24 Uhr zu verlängern. Aktuell ist um 22 Uhr Dienstschluss. Nur vier Mitarbeiter, die über die Einhaltung des Jugendschutzgesetzes in Gaststätten wachen, dürfen laut von Dassel die ganze Nacht über arbeiten.

Vier Mitarbeiter sollen 1.000 Spätis das Fürchten lehren? Ist das nicht reine Symbolpolitik? „Nein“, entgegnet von Dassel „es geht um die Durchsetzung des Gesetzes.“ Ihm sei auch bekannt, dass Spätis, vom Ordnungsamt zur Schließung verdonnert, eine Viertelstunde später wieder aufmachten. Die Strafen selbst hätten keine abschreckende Wirkung. Aber nach mehreren Bußgeldbescheiden bestehe die Möglichkeit, die gewerberechtliche Zulassung einzuziehen

Die Grünen-Abgeordnete Anja Kobinger hat vorgeschlagen, Spätis mit Ladestationen für Elektroroller und Fahrräder auszustatten. Damit könne man ihnen den Staus von Tankstellen geben, die immer offen haben dürfen.

Davon halte er nichts, sagte von Dassel. Die Spätis in der Köpenicker Straße seien im Übrigen so gut besucht, dass für Ladegeräte gar kein Platz sei.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Chapeau Herr von Dassel! Kein Anwohner braucht in jedem 3. Haus einen Späti. Lt. der letzten Umfrage von visit.Berlin sind 70% der befragten Mitte-Bewohner vom Tourismus genervt. Da versucht endlich mal jemand Nägel mit Köpfen zu machen und sieht zuerst die Bedürfnisse der betroffenen Nachbarschaften. Damit beweist er Mut, sich tatsächlich für die Bewohner einzusetzen. Denn wenn "Freiheit" lediglich bedeutet rücksichtslos die Sau raus zu lassen, ist längst schon was schief gelaufen. Das trifft insbesondere für die touristisch stark nachgefragten Bezirke zu. Und Mitte liegt mit 13,9 Mio Übernachtungen deutlich vorne, den 2. Platz belegt Charlottenburg-Willmersdorf mit 6,6 Mio.

  • grosses lob an von dassel! es gibt keine partei, die sich so zielgenau genau vor wahlen immer grandios selbst ein bein stellen kann - respekt!!