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Der Poller des Anstoßes

Um die Einfahrt eines Gewerbehofes im Herzen Ottensens ist ein Rechtsstreit ausgebrochen. Ein Poller versperrt Mieter*innen den Weg zu ihren Betrieben. Sie wollen sich zur Wehr setzen

Kein Durchkommen: Jan Hempel kann nicht mehr mit dem Auto zu seiner Werkstatt im Gewerbehof fahren Foto: Miguel Ferraz

Von Lukas Ziegler

Jan Hempel kommt nicht mehr zu seiner Werkstatt, zumindest nicht mit dem Auto, um große und schwere Teile für seine Lampenmanufaktur zu transportieren. Den Weg versperrt ihm ein rot-weißer Poller. Und nicht nur ihm. Keiner der Mieter*innen des Gewerbehofs Hagen kann mehr die zwölf Meter lange Hofeinfahrt passieren.

Für viele der insgesamt 20 Kleinbetriebe, Kunst- und Kulturschaffenden und der sozialen Küche „La Cantina“mit insgesamt über 80 Beschäftigten ist das ein unhaltbarer Zustand. Sie wollen sich wehren, um die besondere Gemeinschaft mitten im Herzen Ottensens zu retten.

Der Poller steht dort seit fast zwei Monaten. Aufgestellt in einer Nacht-und-Nebel-Aktion. Die Mieter*innen des Gewerbehofes vermuten, dass die Eigentümerin des Nachbargrundstücks das Aufstellen veranlasst hat. Denn die Einfahrt liegt auf ihrem Grundstück, darauf steht ein mehrstöckiges Wohnhaus, worin sich unter anderem Ferienappartements befinden. Vor dem Eigentümerwechsel vor fünf Jahren regelte eine Nutzungsvereinbarung diesen Umstand auf eine unkomplizierte Art. Doch die neue Eigentümerin besteht nun auf ihr alleiniges Nutzungsrecht.

Es folgt ein langer Rechtsstreit zwischen der Familie Hagen, in dessen Besitz das Gelände des Gewerbehofs seit über 80 Jahren ist, und der neuen Nachbarin.

Die rechtliche Lage dabei ist eine Gratwanderung zwischen Eigentums- und Gewohnheitsrecht. Im Laufe des Streits kam es zu mehreren Mediationen. Die letzte beinhaltet einen Kompromiss, der die Planung eines alternativen Zugangs zum Hof vorsieht.

Die planende Architektin dafür ist niemand anderes als die Eigentümerin des Nachbargrundstücks selbst. Nach ihrer Auffassung ist der Zugang eine einfache Angelegenheit. Denn an einer anderen Stelle bestünde eine alte Durchfahrt, die lediglich freigelegt werden müsste.

Auf Grundlage dessen wird ein Bauantrag gestellt, welchen der Bauausschuss des Bezirks Altona jedoch mehrfach ablehnt. In einem Dokument, das der taz vorliegt, begründet das Fachamt Bauprüfung die Ablehnung wie folgt: „Eine Tordurchfahrt mitten durch das Gebäude stellt einen massiven Eingriff in das Gebäude dar.“ Außerdem hätte es, laut einem vorliegenden Gutachten der Dekra „seit der Erbauung 1916 keine Durchfahrt durch das Gebäude gegeben“. Die Schaffung einer neuen Durchfahrt wäre somit nur durch Neubau und nicht durch Wiederherstellung möglich. Dieser Kompromiss ist somit gescheitert.

Im Laufe des Prozesses legte die Eigentümerin des Nachbargrundstückes ein Gutachten vor, welches die Tragfähigkeit der Durchfahrt infrage stellt, laut der Eigentümerin bestehe „akute Einsturzgefahr“. Die Einfahrt kann demnach nur zu Fuß passiert werden. Daraufhin besichtigt das Dezernat für Wirtschaft, Bauen und Umwelt die darunter liegenden Kellerräume und veranlasst zunächst eine Sperrung der Einfahrt. Kurz nach dieser Verfügung wird dann der besagte Poller in der Einfahrt installiert.

Wenig später revidiert das Dezernat die zuvor getroffene Verfügung, da das vorgelegte Gutachten der Besitzerin lediglich anhand von Fotos erstellt wurde und so für die Bauprüfabteilung nicht akzeptabel wäre. Aus einem Dokument, welches der taz ebenfalls vorliegt, geht hervor, dass die Eigentümerin, unter Androhung von Zwangsgeldern, von der Baubehörde aufgefordert wurde, ein neues Gutachten bis spätestens Mitte des Jahres vorzulegen.

Aber der Poller steht immer noch und der Eigentümer des Gewerbehofes zahlt weiterhin die monatliche Nutzungsgebühr. Die Gewerbetreibenden sind machtlos. Einige der dort ansässigen Gewerbe, beispielsweise der Getriebedienst, treibt dieser Zustand an den Rand der Existenz. „Der Getriebedienst zahlt schon keine Miete mehr, weil das Geschäft ohne Zufahrt nicht aufrecht erhalten werden kann“, berichtet Jan Hempel, Inhaber der Lampenmanufaktur und Sprecher der Hofgemeinschaft.

„Unser Vermieter hat wirklich eine soziale Ader, ihm liegt sehr viel an dem Erhalt des Hofes“

Jan Hempel, Inhaber der Lampenmanufaktur und langjähriger Mieter im Gewerbehof Hagen

Hempel betreibt seine Manufaktur seit zehn Jahren im Gewerbehof Hagen. Für ihn ist der Ort etwas ganz Besonderes. „Wir arbeiten hier Seite an Seite“, sagt er, im Sommer werde auch mal zusammen im Hof gegessen. Auch das Verhältnis zum Vermieter sei einmalig, die Miete sei moderat und Mieterhöhungen gebe es nur „sehr gut begründet“.

„Unser Vermieter Herr Hagen hat wirklich eine soziale Ader, ihm liegt sehr viel an dem Erhalt des Hofes“, schildert Hempel, eine Vielzahl an Kaufangeboten habe er stets abgelehnt. Laut der Stellungnahme der Mieter*innen seien Sperrung und die zivilrechtlichen Klagen der Versuch, ihre Betriebe „auszuhungern“ und den Vermieter durch hohe Anwaltskosten zum Verkauf zu „zwingen“.

Sie wollen nun an die Öffentlichkeit gehen und Unterschriften für den Erhalt des Hofes sammeln. „Wir brauchen eure Hilfe“ heißt es in dem Aufruf. „Damit Ottensen nicht noch mehr von dem verliert, wofür wir es lieben.“

Auch die Lokalpolitik schaltet sich ein. „Unser Interesse ist der zwingende Erhalt des Gewerbehofes und der sozialen Einrichtung La Cantina“, sagt Christian Trede, Referent für Stadtentwicklung der Grünen-Bürgerschaftsfraktion und Mitglied des Bauausschusses Altona. Dabei würden sie versuchen, „deeskalierend zu vermitteln, um eine einvernehmliche Lösung herbeizuführen“.

Die Eigentümerin des Nachbargrundstücks verweist auf eine bestehende Schweigepflicht im laufenden Prozess.

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