Ein Jahr im Landwirtschaftsministerium: Die große Klöckner-Show
Ob Tierschutz, Lebensmittelverschwendung oder Pestizide: Die Bundesagrarministerin hat in ihrem ersten Amtsjahr fast nichts erreicht.
Renate Künast, ernährungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, konnte sich die Bemerkung nicht verkneifen, dass etwa die Bundestagskantine auch ohne Beste-Reste-Box Gästen Nicht-Verzehrtes mitgebe – wenn sie darum bitten. Der Karton ist auch nicht erst nach Klöckners Amtsantritt am 14. März 2018, sondern bereits 2015 eingeführt worden. Die vermeintliche Wunderwaffe der Ministerin gegen Lebensmittelverschwendung ist ein alter Hut. Sie hat sich auch nach vier Jahren nicht durchgesetzt und bewahrt kaum Essen vor der Mülltonne. Die braune, grün-orange bedruckte Pappbox ist so wie Klöckners Politik: leer und altbekannt – aber fotogen.
Das ist bedauerlich, weil Klöckner für echte Probleme zuständig ist. Jährlich werden in Deutschland mindestens 11 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen, für deren Produktion jede Menge Treibhausgase ausgestoßen werden. Gleichzeitig hungern weltweit mehr als 800 Millionen Menschen.
Klöckner will diesem Skandal außer mit der Pappschachtel zum Beispiel durch banale Verbrauchertipps (bitte vor dem Besuch im Supermarkt einen Einkaufszettel schreiben!) beikommen. Auch diese Kampagne läuft schon seit Jahren; laut Bundesrechnungshof lässt sich jedoch nicht nachweisen, dass sie auch nur eine Tonne Lebensmittelabfall vermieden hat. Ansonsten hofft Klöckner, dass sich Unternehmen in Arbeitskreisen bereit erklären, die Verschwendung zu reduzieren – freiwillig. Kann Jahre dauern, Ergebnis ungewiss.
Klöckner packt hingegen nicht das an, was die Lebensmittelverschwendung wirklich reduzieren würde. Sie ist zum Beispiel gegen Gesetze, die Supermärkten verbieten würden, Lebensmittel wegzuschmeißen.
Reden statt handeln
Ähnlich ineffizient sind auch die anderen Großbaustellen ihres Ministeriums. Die Mehrheit der Tiere in Deutschland wird unter ethisch fragwürdigen Bedingungen gehalten. Puten wird ein Teil des Schnabels, Schweinen des Schwanzes amputiert, um das Vieh an die engen, reizlosen Ställe anzupassen. Den meisten männlichen Ferkeln werden ohne Betäubung die Hoden herausgeschnitten, Muttersauen werden wochenlang in Einzelkäfige gesperrt. Klöckner könnte beispielsweise Verordnungen vorlegen, um solche Missstände zu unterbinden. Macht sie aber nicht. Im Gegenteil: Sie hat sich erfolgreich dafür eingesetzt, dass das Parlament das schon beschlossene Verbot der betäubungslosen Ferkelkastration noch einmal verschiebt.
Statt bessere Haltungssysteme vorzuschreiben, will sie ein staatliches „Tierwohlkennzeichen“ einführen für Fleisch, bei dessen Erzeugung höhere als die gesetzlichen Mindeststandards eingehalten wurden. Das Siegel soll – wie immer bei Klöckner – freiwillig sein. Fleisch aus schlechter Haltung werden die Verbraucher so nicht erkennen können.
Aber selbst diesen Plan, der niemandem wehtut, setzt ihr Ministerium zu langsam um. Klöckners Amtsvorgänger, der CSU-Politiker Christian Schmidt, hat das Siegel schon im Januar 2017 angekündigt. Doch auch zwei Jahre danach gibt es noch nicht einmal eine Verordnung, die Kriterien für eine einzige Tierart festlegt. Die wenigen Eckpunkte, die Klöckner bereits verkündet hat, sind lasch. In der ersten Stufe des Siegels soll ein 110 Kilogramm schweres Schwein nur 0,9 Quadratmeter Platz und immer noch keinen Auslauf bekommen.
Es könnte durchaus sein, dass kaum jemand dieses Siegel auf seine Produkte kleben wird. Schließlich haben Edeka, Rewe, Aldi, Lidl und andere große Lebensmittelhändler vergangenen Januar angekündigt, selbst ein einheitliches System zur Haltungskennzeichnung einzuführen. Die Kriterien ähneln Klöckners Plänen. Warum sollte sich da der Handel noch auf das Siegel der Ministerin einlassen?
Glyphosat ist immer noch auf dem Markt
Auch der von der Großen Koalition versprochene Ausstieg aus der Nutzung des Pestizids Glyphosat ist unter Klöckner bislang ein Rohrkrepierer. Sie präsentierte zwar Grundzüge einer „Minderungsstrategie“ für das unter Krebsverdacht stehende Ackergift. Aber bis heute ist daraus keine Verordnung geworden. Glyphosat wird gespritzt wie eh und je.
Ebenso vage bleibt ihre Position bei der Reform der EU-Agrarpolitik. Die Europäische Union diskutiert gerade darüber, wie die derzeit rund 59 Milliarden Euro pro Jahr an Subventionen für die Landwirtschaft künftig verteilt werden sollen. Vor kurzem hat sie gesagt, dass die EU-Agrarpolitik mehr für Tiere und Umwelt erreichen müsse. Aber wie – das lässt sie offen.
Konkret ist sie jedoch darin geworden, dass sie es ablehnt, die Direktzahlungen abzuschaffen oder für Großbetriebe zu begrenzen. Dabei geht es um die wichtigste Subventionsart. Bauern erhalten sie dafür, dass sie Land bewirtschaften und dabei etwas Selbstverständliches tun: Sie müssen beispielsweise die Umweltgesetze einhalten. Das ist so, als ob Autofahrer Geld dafür erhalten würden, dass sie an einer roten Ampel anhalten.
Klöckner selbst teilt auf die Frage der taz nach ihrer Bilanz unbeirrt mit: „In diesem Jahr ist viel passiert“. Ihr Ministerium habe 6,32 Milliarden Euro – so viel wie noch nie – zur Verfügung. Sie habe 9 Gesetzesentwürfe ins Kabinett eingebracht, der wichtigste sei der zur Prävention der Afrikanischen Schweinepest, mit dem die Behörden leichter reagieren können sollen, falls die Tierseuche in Deutschland ausbricht.
Klöckner rechnet sich auch an, dass sie eine Beauftragte für die Digitalisierung der Landwirtschaft eingesetzt hat. Denn mehr Computer auf dem Acker könnten ihrer Meinung nach helfen, umweltfreundlicher zu produzieren. Ob sich dieses Heilsversprechen erfüllt, ist umstritten. Und es dürfte noch Jahrzehnte dauern, bis sich die Technik flächendeckend durchsetzt. Insekten sterben allerdings jetzt unter anderem wegen der Landwirtschaft, Grundwasser wird jetzt so stark mit Düngern belastet, dass es teils nicht mehr als Trinkwasser zugelassen ist.
Ein Geschenk von der Agrarministerin
Vergangene Weihnachten im Agrarministerium: Klöckner hält ein Päckchen mit einer großen grünen Schleife in die Kamera. „Ich habe ein Geschenk für Euch!“, sagt sie. „Ein Geschenk, das für das Jahr 2019 etwas ganz Besonderes ist. Und ich werde es aufmachen!“
Was da wohl drin ist? Das Versprechen, die Agrarsubventionen nur noch den Betrieben zu geben, die besonders viel für die Umwelt und die Tiere tun? Eine groß angelegte Kampagne gegen zu viel Fleischkonsum?
Weit gefehlt: „In diesem Geschenk“, sagt Klöckner, „steckt ein neuer Instagram-Kanal!“
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.
Eine politische Reform hat die 46-Jährige in ihrem neuen Amt noch nicht geschafft, aber ihre inhaltliche Leere verkauft sie sehr professionell – in neuen Medien wie Instagram und alten wie Zeitungen: Sie gibt gefühlt jeden zweiten Tag ein großes Interview. Ständig erscheinen auf dem Twitter-Account ihres Ministeriums Werbevideos, in denen sie unverdrossen und gewinnend lächelt. Da merkt man, dass sie gelernte Fernsehjournalistin und ehemalige Weinkönigin ist. Sie wirkt frischer als ihr bürokratisch-blasser Amtsvorgänger Schmidt. Dessen Radiointerviews waren oft so verquast, dass niemand sie verstanden hat. Aber Klöckners Eloquenz kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie bisher ähnlich wenig erreicht hat wie seinerzeit Schmidt. Die Klöckner-Show ist eben nur eine Show – keine innovative Politik.
Manche Menschen schimpfen, solche passiven Minister würden zu Politikverdrossenheit beitragen. Aber eigentlich erfüllt Klöckner nur das, was die CDU vor der Wahl versprochen hat. Ihre Partei hat eben nicht angekündigt, die Agrarsubventionen radikal umzuverteilen oder den Fleischkonsum zu senken, sondern im Großen und Ganzen alles beim Alten zu lassen. Nach einem sehr kontroversen Interview über Fleisch und Tierschutz sagte Klöckner dem Autoren dieser Zeilen einmal, jeder müsse seine Rolle spielen. Genau das tut sie tatsächlich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Abschiebung von Pflegekräften
Grenzenlose Dummheit
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
Trumps Personalentscheidungen
Kabinett ohne Erwachsene