Abschlussbericht der Kohlekommission: Zerreißprobe für Klimaschützer
Sie haben gekämpft, aber längst nicht alle Ziele erreicht. Dennoch stimmen die Umweltverbände am Ende zu – im Gegensatz zu vielen AktivistInnen.
Doch niemand stand in der Nacht vor so schweren Entscheidungen wie die drei Vertreter der Umweltverbände. Denn viele Trophäen waren schon im Vorfeld verteilt worden: Die Bundesländer hatten ihre Strukturhilfen durchgesetzt, die Konzerne ihre Entschädigungen, die Gewerkschaften die Absicherung für die Kohlekumpel. BUND-Chef Hubert Weiger, Greenpeace-Geschäftsführer Martin Kaiser und Kay Niebert, Präsident des Deutschen Naturschutzrings (DNR), hatten bis zum Beginn der finalen Sitzung für ihre Mitglieder hingegen noch nichts herausgeholt.
Die aus ihrer Sicht entscheidenden Frage, wann welche Kraftwerke abgeschaltet werden, war bis zuletzt offen geblieben. Und sie hatten sich im Vorfeld weit aus dem Fenster gelehnt. „Im Jahr 2030 muss der Kohleausstieg abgeschlossen sein“, hatte Kaiser noch kurz vor der letzten Sitzung verkündet. „Nur so kann Deutschland seine Klimaziele erreichen.“
Am Samstagmorgen um kurz vor fünf steht fest: Das letzte deutsche Kohlekraftwerk geht nicht 2030 vom Netz, wie die Verbände öffentlich gefordert hatten, und auch nicht in der ersten Hälfte der 2030er Jahre, wie sie insgeheim gehofft hatten. Sondern 2038. Oder – falls eine Überprüfung im Jahr 2032 ergibt, dass es nötig und möglich ist, auch schon 2035. Trotzdem haben die Umweltverbände dem Ergebnis zugestimmt.
Wenige Stunden später verteidigen ihre Vertreter diese Entscheidung vor der Bundespressekonferenz. „Der Durchbruch ist uns gelungen“, sagt DNR-Präsident Niebert. „Das Ergebnis ist ein Mut machendes Signal“, meint Weiger. Und auch Greenpeace-Mann Kaiser ist sichtbar müde, aber zufrieden: „Das Industrieland Deutschland steigt aus der Kohleverstromung aus.“
Das Enddatum halten sie zwar für deutlich zu spät, und auch den Verzicht auf verbindliche Zwischenziele für den Zeitraum zwischen 2022 und 2030 kritisieren sie scharf. Diese Haltung wollen sie in einem gemeinsamen Sondervotum zum Bericht festhalten. Dass sie trotzdem zugestimmt haben, liegt vor allem an der ersten Phase des Ausstiegs. Bis zum Jahr 2022 geht im Vergleich zu 2017 etwa ein Drittel der Kohlekapazität vom Netz. Ein Teil davon war bereits vorher beschlossen. Zusätzlich stillgelegt werden sollen Steinkohlekraftwerke mit einer Leistung von rund 4 Gigawatt und Braunkohlekraftwerke mit 3 Gigawatt.
Das entspricht etwa sechs mittleren Braunkohleblöcken. Welche das sind, hat die Kommission nicht explizit festgelegt. Doch weil mit dem Ausstieg im Westen und mit den ältesten Kraftwerke begonnen werden soll, ist ziemlich klar, auf welche es hinauslaufen wird: Die vier älteren am Standort Neurath und dazu zwei bis drei Blöcke in Niederaußem. Weil alle diese Kraftwerke aus den Tagebauen Hambach und Garzweiler II beliefert werden, steht für die Umweltverbände fest: „Damit ist der Hambacher Wald gerettet, und ein großer Teil der Umsiedlungen kann ebenfalls vermieden werden“, sagt Greenpeace-Geschäftsführer Kaiser.
Im Abschlusstext selbst steht das nicht so explizit. Da heißt es nur, die Kommission halte den Erhalt des seit Jahren von Klima-AktivistInnen besetzten und juristisch umkämpften Waldstücks für „wünschenswert“ und schlage einen neuen „Dialog um die Umsiedlungen“ vor. Doch auch Tagebau-Betreiber RWE, der einen Erhalt des Hambacher Walds bisher für technisch ausgeschlossen erkärt hatte, sagte nun, man sehe den Wunsch der Kommission kritisch, sei aber gesprächsbereit.
Rettung des Hambacher Walds ist nicht sicher
Dass der Hambacher Wald gerettet ist, davon sind viele KlimaaktivistInnen allerdings nicht überzeugt. „Was mit dem Hambi und den Dörfern passiert, ist unklar“, erklärte Nike Mahlhaus vom Bündnis Ende Gelände, das in den letzten Jahren Aktionen gegen die Braunkohle organisiert hatte. Für sie steht fest: „Was die Kohlekommission vorlegt, ist kein Konsens.“ Ende Gelände will darum weiter protestieren. Auch von VertreterInnen der streikenden SchülerInnen kam scharfe Kritik. Linus Steinmetz, der der Kommission am Freitag noch einen offenen Brief überreicht hatte, nannte die Einigung auf Twitter einen „Verrat an uns Jugendlichen“ und kündigte an, die Streiks würden fortgesetzt.
Protest kam auch von der Grünen Liga. In der Lausitz sollten „Steuermilliarden praktisch ohne Gegenleistung fließen“, kritisierte der aus der ostdeutschen Umweltbewegung hervorgegangene Verband. Die Vertreterin der Lausitzer Tagebaubetroffenen, Hannelore Wodtke, hatte darum als einziges Mitglied der Kommission gegen den Abschlussbericht gestimmt.
Weitere Proteste
Auch Greenpeace und andere halten weitere Proteste für notwendig, um den Kohleausstieg zu beschleunigen. In der Kommission sei aber nicht mehr durchzusetzen gewesen, heißt es. Zwar gab es mit einer zehnköpfigen „Klimagruppe“ innerhalb der achtundzwanzigköpfigen Kommission zunächst eine Sperrminorität, mit der einige Forderungen von Industrie und Gewerkschaften abgewehrt werden konnten. Nachdem jedoch einzelne Mitglieder dieser Gruppe in der Nacht zu Samstag signalisiert hatten, mit dem letzten Kompromiss leben zu können, hätte ein Ausscheren der Umweltverbände die Entscheidung nicht mehr aufhalten können.
Weil das Papier im Vergleich zum Status Quo viele Vorteile bringe und der weitgehende Konsens die Umsetzung durch die Politik wahrscheinlicher mache, habe man sich am frühen Morgen zur Zustimmung entschieden, hieß es. Nicht nur für Greenpeace-Geschäftsführer Kaiser war das nach eigenen Worten „eine extrem schwierige Entscheidung“. Man hoffe, dass die Basis die Entscheidung verstehe. „Wir wollten nicht den Lindner machen“, sagt DNR-Präsident Kai Niebert unter Anspielung auf den Abbruch der Jamaika-Verhandlungen nach der Bundestagswahl 2017. „Schlechter Klimaschutz ist besser als gar kein Klimaschutz.“
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