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Kommentar Kostenloser NahverkehrNachmachen, besser machen

Anja Krüger
Kommentar von Anja Krüger

Auch deutsche Kommunen sollten kostenlosen Nahverkehr wie in Luxemburg einführen. Und dabei am besten gleich die erste Klasse abschaffen.

Bald für umme: die Öffis in dem Kleinstaat Foto: dpa

A b März 2020 kann der öffentliche Nahverkehr in ganz Luxemburg kostenlos genutzt werden. Der Kleinstaat hat den Mut, ein als utopisch verschrienes Modell einzuführen. PolitikerInnen in deutschen Kommunen: bitte nachmachen!

Denn gegen den Verkehrskollaps in den Innenstädten hilft nur eins: AutofahrerInnen müssen zum Umstieg auf andere Verkehrsmittel gebracht werden. Dazu muss der öffentliche Nahverkehr ebenso wie der Fernverkehr energisch ausgebaut werden, wie es in Luxemburg geschehen soll. Er muss nicht nur zuverlässig fahren. Bus oder Bahn zu nehmen muss auch bequemer und viel, viel billiger werden, als ins Auto zu steigen. Städte mit besten Verbindungen können mit gutem Gewissen viel Geld fürs Parken oder eine Innenstadt-Maut nehmen. Auch, um den kostenlosen öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV) zu finanzieren – vor allem aber, um Pkw und Lkw fernzuhalten. Autoarme Städte haben eine bessere Luft, sind leiser, schöner und gerade für Kinder sicherer als Verkehrsmetropolen.

Die LuxemburgerInnen sehen im kostenlosen Bussen und Bahnen auch eine soziale Maßnahme. Das ist der richtige Ansatz. In etlichen deutschen Kommunen wird schon lange über verschiedene Modelle diskutiert, den Nahverkehr attraktiver zu machen und die Innenstädte zu entlasten. Ein häufig favorisiertes Modell ist der ticketlose ÖPNV, bei dem alle BürgerInnen eine zusätzliche Abgabe für die Nutzung zahlen müssen. Das ist keine gute Idee. Das Luxemburger Modell ist sehr viel besser. 30 bis 40 Euro im Monat, wie in deutschen Kommunen in Beispielrechnungen oft vorgesehen ist, sind für Menschen mit kleinem Budget als zusätzliche Zwangsabgabe eine Menge Geld.

Eines haben die LuxemburgerInnen aber gar nicht gut gelöst: Sie schaffen die 1. Klasse in den Bahnen nicht ab. Wer damit fahren will, muss zwar weiterhin zahlen. Aber: Feudal reisen für die Reichen, für die Armen die Holzklasse? Das ist falsch. Öffentlicher Nahverkehr muss für alle gleich gut sein.

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Anja Krüger
Wirtschaftsredakteurin
Buchveröffentlichungen: „Die verlogene Politik. Macht um jeden Preis“ (Knaur Taschenbuch Verlag, 2010), „Die Angstmacher. Wie uns die Versicherungswirtschaft abzockt“ (Lübbe Ehrenwirth, 2012).
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18 Kommentare

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  • Die 1.Klasse im Nahverkehr, z.B. in einer S.Bahn ist nix anderes als eine Möglichkeit, einen Sitzplatz zu bekommen. Wenn man das abschafft, dann wird es für viele unattraktiv mit der Bahn zu fahren. Ich bin 20 Jahre täglich vom Ruhrgebiet nach Düsseldorf gependelt in einer überfüllten S-Bahn und habe es dann auch genossen, immer die 1.Klasse als Zusatzticket zu nehmen. Wenn man bestimmte Tätigkeiten macht, will man sich mal setzen können, wenn man die Arbeit gemacht hat.



    Der Chef fährt weiter in seinem Auto, derjenige, der nur 2 bis 3 Stationen fahren muss, fährt mit der 2. Klasse und fast jeder, der täglich pendeln muss und nach und vor der Arbeit etwas Ruhe braucht, fährt mit der 1.Klasse. Da das eh über die Steuern wieder zurückkommt, hat es auch nix mit mehr oder weniger Geld haben, zu tun. Ist nur eben so, dass ich das als Schüler oder Student auch nicht brauchte, aber als ältere Arbeitnehmer schon.

    • @Age Krüger:

      Ein Ausruhbedürfnis kann ich gut verstehen. Es braucht zu Stoßzeiten also mehr Sitzplätze. Warum also nicht die Fahrfrequenz erhöhen oder die Wagenzahl erhöhen?

  • Wenn er kostenlos wird, ist er vielerorts auch endlich seinen Preis wert: nichts. Er taugt nämlich meist nicht. Ich brauche zur Arbeit (~40km) dreimal solange wie mit dem Auto. Am Preis liegt es nicht, dass ich den ÖPNV nicht nutze, obwohl ich das gerne tun würde.

    Aber trotzdem: lieb gedacht. Am besten, ÖPNV vernünftig ausbauen und dann kostenlos machen.

  • Andere Länder machen es uns wieder mal vorbildlich vor. Handeln statt ewig diskutieren und meckern wie hier im Autoistgeilland.



    Noch einen rießigen Vorteil gibt es: Durch weniger oder gar keine Autos in der Stadt wird auch das Radfahren wesentlich attraktiver und sicherer. Das Fahrrad ist bei Strecken bis 10 km in der Innenstadt zudem meistens wesentlich schneller als Auto und ÖPNV weil man von der Haustüre losfahren kann bis vor die Eingangstür des Zielortes und durch jede Engstelle kommt. Perfekt !



    Liebe Autofahrer, leider gibt es keinen vernümpftigen Grund mehr Auto in der Stadt zu fahren. Nur egoistische Gründe. Sorry....

    • @Traverso:

      Wie wäre es, erst einmal den ÖPNV außerhalb der Ballungszentren zu fördern?



      Das hat den "rießigen" (sic!) Vorteil, dass die Stadtflucht eingedämmt wird und so die Mieten sinken. Und es wird richtig Benzin gespart.

  • "Auch deutsche Kommunen sollten kostenlosen Nahverkehr wie in Luxemburg einführen. Und dabei am besten gleich die erste Klasse abschaffen." - In welcher Kommune gibt es in einem Nahverkehrsmittel "die erste Klasse"?

    • 9G
      970 (Profil gelöscht)
      @reblek:

      In S-Bahnen ist die 1. Klasse durchaus üblich. Die S-Bahn Rhein-Neckar kann als Beispiel genannt werden. Während der einfache Arbeiter Holzklasse zur BASF gondelt, fährt sein Chef 1. Klasse. Oder mit dem Auto über Ludwigshafens Hochstraßen.

  • Der Beitrag zeigt, wie es aussieht, wenn von einer zunächst gut klingenden Idee nur die Vorteile (Fahrpreis=0) hochgejubelt werden, die Nachteile allerdings tunlichst verschwiegen werden.



    Ein wichtiger Nachteil besteht darin: „Privatverkehr“ geht jederzeit und von Haustür zu Haustür, ÖPNV dagegen nur von Haltestelle zu Haltestelle und nur zu den festgelegten Fahrzeiten.



    Das sah für mich einige Jahre lang so aus: Die Arbeitsstelle lag im Nachbarort. Bis zum Bus hatte ich 15 Minuten Fußweg (bei Wind und Wetter). Der Bus brauchte 15 Minuten zum Nachbarort, wo ich in die Straßenbahn umsteigen musste. Diese quälte sich dann weitere 25 Minuten quer durch die Stadt von Haltestelle zu Haltestelle, bis ich (zum Glück) direkt an der Firma aussteigen konnte. Mit dem Auto schaffte ich das locker in 20 Minuten und blieb irgendwann dabei.



    Durch Umzug und Job-Wechsel bin ich neuerdings in der privilegierten Situation, meinen Arbeitsplatz in 10 Minuten zu Fuß zu erreichen. Geht‘s noch umweltverträglicher? Nachteil: Ich bin der erste, der vom Arbeitgeber angerufen wird, wenn’s mal wieder „brennt“!

    • @Pfanni:

      Kurzer Fahrweg hört sich doch wunderbar an. Falls es Ihnen zu "bunt" wird mit spontanen Arbeitsaufforderungen, können Sie prüfen, ob diese dem Arbeitsrecht entsprechen. Im allgemeinen müssen Änderungen in Dienstplänen einige Zeit im vorraus angekündigt werden.

    • @Pfanni:

      Der ÖPVN muss auf jeden Fall ausgebaut werden. Eine gute Idee hierfür ist meiner Meinung nach der "Eco Bus". Das Prinzip ist einfach: Man bestellt sich über eine App ein Bus vom Abholort zum Wunschziel zum Zeotpunkt X. Im Hintergrund werden dann alle Wunschfahrten so zusammen gelegt, dass der oder BusfahrerIn einen Fahrplan erhält, der dann abgefahren werden soll. Quasi ein Bus mit individualisierten Fahrten, aber reislich nicht auf dem Niveau von Taxis, PKW und co. Unökologische und unökonomische Fahrten würden dadurch wegfallen, genauso wie 15 Minuten Fußweg zur nächsten Bushaltestelle. Das Ganze ist zwar noch in der Mache und eignet sich besonders für den ländlichen Raum (weite Strecken, wenig Menschen), aber ich würde es sehr begrüßen, wenn die staatliche Förderung so großtzügig aufällt das es von allen genutzt werden kann. Fall jemand mehr Interesse daran hat, siehe z.B. hier: www.ds.mpg.de/2758996/PM_13_07

      • 9G
        90618 (Profil gelöscht)
        @uslar-liest-taz:

        Nichts gegen eine Rufbus, aber alles gegen ein System, welches nur mit "Smartphone" und "App" funktioniert.

  • Sorry, was mich persönlich am meisten von der Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs in Berlin abhält sind die Mitfahrenden (leider müsste ich auh die U7 nutzen). In den Münchener Bahnen herrscht eine gewisse Etikette.

    Für einen zwanglosen Umstieg wäre für mich - neben dem Ausbau des Netzes - die Einführung einer ersten Klasse (zumindest in allen Bahnen) ganz entscheidend.

    • @DiMa:

      Wäre gesellt sich schon gerne zum gemeinen "Volk", was? Oh, mensch. Was für eine Einstellung.

  • ÖPNV "ausbauen, bequemer und billiger als das Auto machen".

    - ausbauen. Viele Netze stossen jetzt schon an die Grenzen. Für mehr S-Bahn Gleise muss man in den Innenstädten enteignen.

    - bequemer. Ein Busnetz kann nie bequemer als das Auto werden. Es ist sinnvoller, aber nie bequemer. Schon gar nicht ohne 1. Klasse.

    - billiger. Das geht nicht mit nur scheinbar kostenlosen Angeboten. Wenn, dann muss der Autoverkehr massiv teurer werden. Über den Spritpreis (aber siehe aktuelle Diskussion über Einschränkungen). Nur Parkgebühren zu erhöhen/ Maut wird für viele Pendler nichts nützen, dann gibt es halt Dienstwagen- Parkzuschüsse von den Firmen. Es trifft also höchstens die arme, kinderreiche Familie, die die Oma, die mit Altmietvertrag günstig in der Innenstadt wohnt, besuchen möchte.

    Ist also alles nicht so einfach wie in Luxemburg.

    • @fly:

      - ausbauen. die straßen stoßen ebenfalls an ihre Grenzen. Siehe Stau. Dann doch lieber ÖPNV ausbauen.



      - bequemer. ÖPNV müssen Sie nicht selbst im dichten Verkehr steuern > weniger Stress!



      - billiger. Beim Auto müssen die Gesamtkosten (Reparatur, Versicherung, Steuer ...) mit einberechnet werden > ÖPNV ist billiger als ein Auto.



      ethischer - Dazu ist es klimapolitisch angesichts des Klimawandels geboten, CO2-Emissionen massiv zu senken. Eine Lösung wäre, fossile Energieträger zu verteuern z.B. durch eine CO2-Steuer, die dann auch für Kraftstoff gelten würde.



      - solidarischer. Arme können sich jetzt bereits kein Auto leisten, einige sogar kein ÖPNV-Ticket. Kostenloser ÖPNV bedeutet Teilhabe für Alle!



      Es wäre schon einfach. Es bräuchte allerdings auch Erkenntnis und (Durchsetzungs)Willen bei der Mehrheit. ;)

    • @fly:

      Stimmt doch gar nicht, die Oma und die arme kinderreiche Familie können sich vielleicht kein Auto leisten.



      Korrekt wäre, wenn die realistischen KFZ Kosten mal berechnet würden - Flächenverbrauch, Umweltschäden, Gesundheitsschäden, Folgeschäden der Benzinproduktion etc



      Dann siehts schon anders aus



      Platz für ÖPNV gäbs genug, wie wärs mit Strassen die aktuell die KFZ nützen ? Oder der Fläche die für geplante Strassen gedacht ist ...



      Lassen Sie mich raten sie sind Pendler

  • 1. Klasse abschaffen finde ich Quatsch, wenn Menschen tatsächlich für besseren Komfort für eine kostenlose Dienstleistung zu bezahlen, sollen wir ihnen die Möglichkeit doch geben. Auch wenn das vielleicht auch nur zu unter 5% die Ausgaben deckt, ich denke der Staat wird das nicht aus liebe zur ersten Klasse, sondern schlichtweg gemacht haben, weil er so günstiger kommt.