piwik no script img

„Spiegel“-Reporter Juan MorenoEr hat es sich nicht leicht gemacht

Die Abgründe der „Spiegel“-Affäre um Claas Relotius sind noch lange nicht ausgeleuchtet. Einer ist gegen den Strom geschwommen – und macht Hoffnung.

Die Grenze überschritten: Titelseite der „Spiegel“ Reportage von Juan Moreno und Claas Relotius Foto: taz

Auf einmal schauen alle auf ihn. Auf einmal ist er vom Reporter zur Quelle geworden. Juan Moreno (46), Spiegel-Redakteur und Whistleblower im eigenen Haus, hat gerade einen der größten Skandale in der Geschichte des deutschen Journalismus aufgedeckt: Die gefälschten Reportagen des Claas Relotius (33).

Moreno ist der erfahrenere von beiden – er war schon Romanautor, SZ-Kolumnist und ARD-Redakteur, bevor er 2012 zum Spiegel kam. Den vielfach ausgezeichneten, nun tief gefallenen Star-Reporter Claas Relotius kannte er kaum, sagt er. Und auch als sie an einer gemeinsamen Reportage arbeiteten, recherchierten sie separat.

Es war die Geschichte „Jaegers Grenze“, die unter anderem von einer US-Bürgerwehr an der Grenze zu Mexiko handelt, die schließlich für Relotius' Enttarnung sorgen sollte. Beim Lesen der Textentwürfe fielen Moreno Ungereimtheiten auf, zu viele Fragen waren offen. Moreno gab seine Bedenken im Verlagshaus bekannt, stieß aber auf „solide Spiegelwände“.

Moreno nahm die Rolle des Außenseiters an, der im Verdacht steht, einen Kollegen in die Pfanne hauen zu wollen. All das berichtet Moreno in einem vom Spiegel veröffentlichten Interview, dem anzumerken ist, wieviel Druck von ihm abgefallen ist, seit sich seine Erkenntnisse als das erwiesen haben, was Reporter nach Hause bringen sollen: die Wahrheit.

Auf eigenes Risiko

Moreno schont seinen Ex-Kollegen nicht, wenn er in fast jeder Antwort im Interview von lügen, manipulieren, „Fake“ oder tricksen spricht. Dabei schaut er wach, konzentriert und nicht zuletzt ein wenig wütend in die Kamera und lässt sich geduldig ausfragen, wie er überhaupt allein diesen Skandal aufdecken konnte. Für eine Reportage, die er für das Sport-Ressort des Spiegel schreiben sollte, fuhr er nach Las Vegas und nutzte die Chance, um Relotius’ Angaben in der Geschichte auf eigene Faust vor Ort in Arizona zu überprüfen. Moreno fand heraus, dass der Kollege Relotius nie dort gewesen war und die Leute, die er zitierte, nie getroffen hatte.

Als schwieriger erwies es sich dann allerdings, den Spiegel selbst zu überzeugen, dass der sich in seinem Superstar getäuscht hatte – und damit die gesamte Leserschaft. Seine eigene Recherche erzählt Moreno spannend wie eine Kriminalgeschichte – plötzlich telefoniert er mit den dubiosen Grenzsoldaten, erstellt E-Mail Adressen, um seinem Chef unter falschem Namen zu schreiben und damit schließlich die Arbeitsweise Relotius‘ zu rekonstruieren.

Journalistisches Handwerk führt am Ende zum Ziel. Am Mittwoch machte der Spiegel den Fall Relotius öffentlich. Das Ganze stellt Moreno in ein Scheinwerferlicht, das er verdient hat. Im Spiegel-Interview zieht er Resümee und lässt offen, ob er Mitleid mit seinem Ex-Kollegen empfindet: „Es gibt den Druck gutes Zeug zu liefern – ja – aber es gibt vor allem die Verpflichtung, dass das Zeug verdammt nochmal wahr sein muss.“

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • Die interessante Geschichte ist ja, dass Claas Relotius an den systemischen Kontrollinstanzen vorbei seine Phantasie für Journalismus verkaufen konnte und dass Moreno gar nicht vorgesehen war in diesem System.

    Es ist der pure Zufall, dass Claas Relotius durch einen Kollegen als Schwindler enttarnt wurde.

    Im aktuellen Spiegel gibt es ein denkwürdiges Interview mit di Lorenzo und man liest schon recht deutlich hinaus, dass die Branche auf gute Geschichten und literarische Mittel abfährt - oft eben zu lasten der trockeneren, aber eben echten (Fakten)Reportagen.

    Ein Mann wie Claas Relotius fällt aber nicht vom Himmel. Auch er hätte nach 12 Praktika und vielen Tausend Euro verlorenem Geld und Arbeitsstunden einen anderen Job suchen können, aber das passierte ihm nicht, er reüssierte und kam nach Oben, war Sinnbild einer neuen Reportergeneration beim Spiegel.

    Die Art, wie er Karriere machte, dürfte auf ihn nicht beschränkt sein, es dürfte mehr solcher Journalisten geben, aber sie werden nicht den Mut gehabt haben, in dieser Art und Weise vorzugehen.

    Und diejenigen, die Relotius beim Spiegel förderten, auf seiner Seite waren, die schweigen. Und die wissen, warum das auch für sie viel besser ist.

    Interessant ist auch, dass René Pfister sogar ein Henri Nannen-Preis aberkannt wurde, er aber trotzdem im Spiegel weit oben ist. Pfister hatte den Besuch im Keller von Horst Seehofer frei erfunden - eigentlich ein absolutes No-Go in Reportagen.

    = Der Spiegel ist m.M. eine geschlossene Gesellschaft und wie man da reinkommt und Karriere macht, das wusste Relotius nur zu gut - das ist die Geschichte, die der Spiegel nicht gerne schreibt, sondern der Spiegel stellt sich als Opfer eines Betrügers dar, ohne in Erwägung zu ziehen, dass das Magazin solche Leute vielleicht selber produziert.

  • Gegen den Strom geschwommen? Ja, wohl sogar gegen die Interessen der eigenen Redaktion. So einem berühmten und honorierten Kommentator wie Relotius räumt man eben gerne Freiräume ein und hofft davon selbst zu profitieren. Da stören dann eben Kritiker!

  • Was mich geärgert hat ist das was der stellvertretende Chefredakteur des Spiegel, Dirk Kurbjuweit, vor ein paar Tagen in der täglichen Lage geschrieben hat: "In dem Schlamassel, in dem wir nun stecken, gibt es nur einen Lichtblick: Einer von uns hat diesen Fall aufgeklärt." Ich denke nicht, dass das zutrifft. Aufgedeckt hat den Betrug genau ein Mann und der musste dafür sehr viel riskieren. Viele Andere hingegen haben ihren Job nicht richtig gemacht, sind ihrer Verantwortung nicht gerecht gewoden und werden ihr erst recht nicht gerecht, wenn sie sich selber jetzt Skepsis und Mut zurechnen, die sie offensichtlich nicht gehabt haben.

  • Auch wenn ich Juan Moreno nicht kenne, kann ich nur hoffen, dass er nun nicht zum neuen Superstar des Spiegel, ach was, des Journalismus umgeschrieben wird. Denn was es mit den Menschen machen kann, wenn sie zum Helden stilisiert werden, ist am Exempel Claas Relotius gut zu sehen.

    Wir alle haben unsere Leerstellen, die wir gern füllen würden. Wir alle haben einen Hang zur Gier, dem wir mitunter ganz schlecht widerstehen können. Es ist oft sehr viel einfacher, dem „Druck“ zu Wiedersehen, den andere aufbauen, als dem „Zug“, der aus uns selber kommt. Das dürfte sich für Juan Moreno gelten. Es könnte also sehr gut sein, dass irgendwann ein neuer „Außenseiter“ den einstigen Helden konfrontiert mit den Halb- oder Unwahrheiten, die er sich selbst genehmigt hat, als er noch everybodys darling war. Dann wird das Mit-Leid vielleicht noch.

    • @mowgli:

      Diese Verdächtigung finde ich ziemlich unverschämnt. Woher wissen Sie,was für Juan Moreno gilt? Das sollten Sie besser der Zukunft, Herrn Moreno und nicht Ihren Unkenrufen überlassen.