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Gelbwesten in GroßbritannienYellow Vests statt Gilets Jaunes

Zwei Ehrengäste der Protestbewegung aus Frankreich sollten eine linke Kundgebung schmücken. Dann kamen Rechte – ebenfalls mit gelben Westen.

Die Stars der Kundgebung: Erick Simon und Laurie Martin Foto: Daniel Zylbersztajn

London taz | Eigentlich war es ein eher kleiner Protest. Unter #YellowVests­AgainstAusterity versammelten sich am Samstag 700 Personen am Trafalgar Square in London, aufgerufen von der linken Gruppe „People’s Assembly“, die seit Jahren gegen Großbritan­niens konservative Regierung demonstriert. Mit dabei: zwei extra eingeladene Gelbwesten aus Frankreich, Erick Simon und Laurie Martin. Das nervöse Riesenaufgebot der Sicherheitskräfte bei ihrer Ankunft am Freitag am Bahnhof St Pancras kontrastiert mit der Sanftheit der beiden Besucher. „Engländer, ihr seht in Gelb gut aus“, steht auf Simons gelber Weste.

Es ist vor allem der Zeitpunkt, der für Nervosität sorgt. Am Dienstag dürfte Theresa Mays Brexit-Deal im Parlament durchfallen, die Labour-Opposition erhofft sich einen Regierungssturz und Neuwahlen. Am Trafalgar Square kündigt Labours Schattenfinanzminister John McDonnell später genau das an.

Hier tummeln sich linke Ak­ti­vist*innen, Krankenhauspersonal, Sozialarbeiter*Innen, Arbei­ter*innen, Arbeitslose. „Fuck Theresa May!“ steht auf einem Plakat. Der Unterschied zu den Gelbwesten Frankreichs besteht in der klaren Affiliation zu bekannten linken Organisationen und der vorgegebenen Lösung aller Probleme durch Jeremy Corbyn.

Organisator Shabbir Lakha beginnt die Kundgebung mit „Macron – démission, Theresa May must go!“ Dann erklärt er die gelben Westen zum internationalen Symbol des Protestes und fügt an: „Aber wir lassen uns die Bewegung nicht durch Ultrarechte nehmen.“ Deutlicher wird Wyman Bennett von der trotzkistischen SWP (Socia­list Workers Party): „Die rechten Gelben sollten sich selber die Kugel geben.“

Gelbwesten gegen Gelbwesten

Diese Redner und ihr Publikum sind selbst aber mit wenigen Ausnahmen keine Gelbwesten. „Das sind alles Mittelklasseleute, die niemals auf die Barrikaden gehen würden und die nichts mehr mit echter Arbeiterklasse am Hut haben“, schimpft der Ostlondoner Alt­anarchist Martin, 66, der aus Prinzip keinen Nachnamen nennt, und stört die Reden mit Megafonen. „Nein zu den gefälschten Gelbwesten“ steht auf seinem Plakat.

Der französische Gelbwesten-Gastredner Simon merkt das nicht. Auf Französisch zählt er auf, worum es ihm geht: „Gegen den Neoliberalismus und Macron. Gegen Steuererhöhungen. Gegen die Einschränkung von Freiheiten und Rechten. Für das demokratische Mitspracherecht des Volkes. Dass Menschen ihr eigenes Land regieren können. Gegen Oligarchen aus Belgien oder Deutschland. Für Menschen, für die das Überleben eine tägliche Herausforderung ist. Gegen Politik, die Reiche bereichert und Arme verarmt. Gegen Polizeigewalt.“ Laurie Martin erzählt, wie sie als 26-Jährige hoffnungslos in befristeten Jobs steckt. „Wir wollen eine Regierung, die dem Volk dient.“

Nein zu den gefälschten Gelbwesten, steht auf dem Plakat eines Anarchisten

Während die französischen Gelbwesten vor Demonstranten sprechen, die keine Gelbwesten sind, verwehrt die Polizei britischen Gelbwesten den Zugang. Es sind an die 150 Brexit-Unterstützer mit britischen Flaggen. Sie verteilen eine Liste, die der Aufzählung Simons zum Verwechseln ähnlich sieht – sie sind außerdem gegen Kindesmisshandlung, habgierige Banker, Obdachlosigkeit und für den Einsatz für vergessene Veteranen. Im Hintergrund ertönt aus einer Lautsprecheranlage „Rule Britannia“.

Theresa Murphy aus der Brexit-Hochburg Boston im Osten Englands erzählt von ihrer Arbeitslosigkeit. „Ich komme gegen die billigeren Arbeitslöhne von Saisonarbeitern und Migranten nicht an“, sagt sie. Tracey Blackwell, deren Sohn mit zwei Freunden bei einem Unfall das Leben verlor, verursacht durch einen betrunkenen Fahrer, fordert Gerechtigkeit, denn das Verfahren wurde eingestellt. „Die Bewegung aus Frankreich sollte Leute vereinen, nicht ausgrenzen“, findet sie. Sie gehörte zu den Ersten, die mit einer gelben Weste Brücken in London blockierte. „Ich bin in einer kleinen Wohnung mit zehn Geschwistern aufgewachsen und stamme aus Battersea in London“, sagt Nick, 60. „Ich bin echte Arbeiterklasse, meine Eltern wählten ihr Leben lang Labour. Ich bin einfach gegen das, was die EU seit 40 Jahren macht, wie sie unser Land zerstören.“

Die andere Seite hört ihn nicht. Nach der Veranstaltung stehen sich Brexit-Gelbe und Linke gegenüber. Polizisten und Ordner halten sie auf Abstand. Worte wie „Brexit Go!“ und „Nazidreck!“ fliegen. Auch in Frankreich, bestätigt Simon der taz, wollten verschiedene Gruppen die Gelbwesten vereinnahmen. Der Brexit sei aber für Großbritannien das Beste überhaupt.

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11 Kommentare

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  • Deutlicher wird Wyman Bennett von der trotzkistischen SWP (Socia­list Workers Party): „Die rechten Gelben sollten sich selber die Kugel geben.“

    Ach, die Trotzkisten haben die Weisheit mit Löffeln gefressen und jeder, der nicht ihrer linken Meinung ist, sollte sich "die Kugel" geben:



    Aus genau diesem Grund wird es in den nächsten Jahrzehnten keine linken Regierungen mehr in Europa geben: maßlose Arroganz.

  • lesenswert, was Eribon, Louis und Lagasnerie dazu zu sagen haben: www.republik.ch/20...xsi0srG4tQLgKLTxXk

    • @Philippe Ressing:

      Mir fällt kein deutscher Intellektueller ein, der im öffentlichen politischen Diskurs eine Rolle spielt und die Dinge in solcher Deutlichkeit und Konsequenz zur Sprache bringt.

    • @Philippe Ressing:

      Ich bin Ihnen außerordentlich dankbar für diesen Link, aus dem ich Eribon zitieren möchte:

      Eribon:



      "Die Presse im deutsch­sprachigen Europa allerdings verurteilt die Bürger, die protestieren, als Populisten, Extremisten, Nationalisten und was nicht alles. Teile der deutschen Presse hatten eine obsessive Verehrung für Macron, den sie als Erlöser­figur feierten. In Tat und Wahrheit ist Macron jedoch nicht der Retter, sondern der Zerstörer Europas, denn seine Politik treibt die Menschen dazu, Europa abzulehnen. Er macht den Front national nicht schwächer, sondern stärker. Heute, wo die ganze Welt fest­stellen muss, wie desaströs die Lage in Frankreich ist, richtet sich die Kritik der deutschen Medien jedoch wiederum nicht gegen Macron und seine neo­liberale Politik, sondern gegen die Protestierenden."

      Selten hört man von deutschsprachigen Intellektuellen eine derart zutreffende Analyse der Zustände in Europa und insbesondere von Frankreich. Diese Analyse steht im krassen Gegensatz zu der Propaganda, mit der hier in DE Menschen abgefertigt werden, die sich eine Meinung bilden wollen.

    • @Philippe Ressing:

      Ich bevorzuge es zu den Vorgängen in Frankreich französische Stimmen zu hören. Deshalb herzlichen Dank für diesen sehr aufschlußreichen Link!



      Für einen bestimmten Teil des taz-Puplikums erlaube ich mir einen für uns Deutsche sehr wichtigen Ausschnitt zu zitieren:



      "De Lagasnerie: Ich glaube, dass anfänglich die Möglichkeit durchaus gegeben war, dass die gilets jaunes sich in eine rechts­extreme Richtung entwickeln. Man weiss bei solchen Revolten ja nie, welche Wendung sie nehmen. Zunächst leisten die Leute ganz einfach physischen Widerstand. Aber dann beginnen sie, sich bestimmter Wörter, sedimentierter Diskurse und Ideologien zu bedienen, und natürlich wären der Rassismus und die Fremden­feindlichkeit eine reale Möglich­keit gewesen. Aber diesen Kultur­kampf hat die Linke gewonnen. Mit unserer Präsenz und unserer Mobilisierung haben wir die Bewegung trans­formieren können. Heute werden die gilets jaunes weitgehend als linke Bewegung wahrgenommen. Es geht um Ungleichheit, Ungerechtigkeit, die realen Schwierig­keiten der Leute. Europa als solches spielt übrigens gar keine Rolle, das ist für die Protestierenden viel zu weit weg und viel zu abstrakt."



      Französische Realität spielt sich in Frankreich ab - und nicht an den Schreibtischen deutscher Kolumnisten und Kommentatoren.

      • 6G
        60440 (Profil gelöscht)
        @LittleRedRooster:

        Wer Sahra Wagenknecht kennt, weiß, daß Ressentiments und rassistisches Vokabular und rassistische Politik keineswegs eine Spezialität der Rechten ist. Was solche Linke und die Rechten allerdings auch aus diesem Grund vereint, ist die tiefe Skepsis, ja Verachtung gegenüber Europa.



        Und wenn der von Ihnen zitierte Autor recht darin hat, Europa sei für den durchschnittlichen Wutbü ..., äh ich meine Gelbweste zu weit weg und zu abstrakt, sollte er ihnen mal vorschlagen ins Portemonnaie zu schauen oder sich bei der nächsten Urlaubsreise nach Mallorca mal zu fragen, warum er keinen Pass vorlegen muss ...

        • @60440 (Profil gelöscht):

          Vielleicht bringt Sie ja zum Nachdenken, was Eribon zur EU-Skepsis meint:

          „Was da in der französischen Politik aufbricht, hat sich zum Beispiel in Gross¬britannien mit dem Brexit schon früher manifestiert. Das Ja zum Brexit war eine Revolte gegen das Europa, das heute unter dem Diktat der neoliberalen Agenda geschaffen wird. Es war eine Form des Wider¬stands gegen die soziale und wirtschaftliche Gewalt dieser Agenda.“

          und:

          „Die Menschen lehnen Europa ab, weil sie unter Europa leiden. Wenn man darauf reagiert, indem man sagt, das sei nationalistisch, gibt man keine Antwort auf die Probleme, die sich stellen. Die Frage ist, weshalb so viele Bürger das Europa ablehnen, das von unseren Regierungen durch¬gesetzt wird. Es spielt letztlich keine Rolle, ob der Wider¬stand sich an den Urnen oder auf der Strasse manifestiert. Die Frage, die alles bestimmt, ist ganz einfach: Ist es akzeptabel, dass die Europäische Union der europäischen Bevölkerung ein solches Mass an sozialer Gewalt, an Verarmung, Verunsicherung und Abbau des Sozial¬staates aufzwingt?“

          • 6G
            60440 (Profil gelöscht)
            @Ruhig Blut:

            Was denn nun ? Lehnen "die Leute" Europa nun ab, weil sie drunter leiden oder ist ihnen Europa egal, weil so fern ?



            Und Leute wie Farage, Johnson und Rees-Mogg, die mit einer beispielosen fake-news-Kampagne und Lügen über Lügen einen chauvinistischen Anti-EU-Wahlkampf führten, sind die neuen Anwälte der kleinen Leute und setzen sich für die Verbesserung deren Lebensverhältnisse ein ?



            Gehts noch ? Für die Verhältnisse in GB trägt die EU genau null Verantwortung,, ganz im Gegensatz zur sozial kalten und neoliberalen Politik von Thatcher, Blair, Cameron oder May. Übrigens stehts gewählt und wieder gewählt von "den Leuten".



            Aber gut, wenn die Neolibs und Chauvinisten ein Negativ-Abziehbildchen namens EU haben, mit dem sich treffliche Politik machen lässt, in deren Windschatten weiterhin all die sozialen Grausamkeiten verübt werden können können.



            Eine Frage bloss: Wer ist in Zulkunft der Buh-Mann, wenn die gesellschaftlichen Widersprüche noch größer werden und es die EU wegen des Brexit nicht mehr gibt ?



            Vielleicht die zu vielen Einwanderer ?

            • @60440 (Profil gelöscht):

              Die Rechten nähren sich daran, das ist doch gerade das Dilemma.

              Und, dass Thatcher und Nachfolger den Leuten das Elend eingebrockt haben (und jetzt, ob mit oder ohne EU, natürlich versuchen, mit aller Kraft daran festzuhalten), ist leider ebenfalls kein Widerspruch.

              Falls es so weitergeht und sich keine starke Gegenbewegung formiert, die die tatsächlichen Probleme der Leute adressiert und spürbar anpackt (ob Labour das hinkriegen kann bleibt abzuwarten), dann werden allerdings die Einwanderer der Buhmann sein. Weiterhin und noch mehr, ich befürchte darauf können Sie sich fest verlassen.

        • @60440 (Profil gelöscht):

          In welcher Blase leben Sie? Millionen armer Kinder, Niedriglöhne, Niedrigrenten, Wohnungsnot, Bildnotstand, Pflegenotstand usw. usw.



          Und Sie schwadronieren von Mallorca. Da kennen Sie sich aus?

          • @Rolf B.:

            Die Mittelschichtler um die die Rechten und Linken populistisch buhlen sind doch genau das Publikum, welches den Ballerman bevölkert! Haben Sie ein Problem damit?