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Kolumne BauernfrühstückDer Schnack seit dreißig Jahren

Robert Habeck hat etwas Mieses über Thüringen gesagt und sich dann mies gefühlt – okay, aber denkt nicht die Mehrheit in diesem Land wie er?

Eine kleine Weisheit – auch für Robert Habeck: Erst denken, dann lenken Foto: dpa

G rau und in langen Fäden strömt in Brandenburg der Winterregen herab. „Gut für den Garten“, hat meine Oma immer gesagt, wenn wir Kinder uns über das Wetter beschwert haben. „Gut für den Garten“, sage auch ich heute. Denn der Sommer war viel zu lang und viel zu trocken, und seit Wochen habe ich Furcht vor einem Sturm, der durch unser kleines Speckgürtel-Örtchen toben und bei dieser Gelegenheit unsere wegen Wassermangels ausgedörrten Erlen und Birken umwerfen könnte.

Das sind alles Flachwurzler, und die verstehen keinen Spaß, sondern fallen gern mal auf Haus- und Schuppendächer, vorzugsweise auf die der Nachbarn, was wiederum zu unschönen Versicherungsfällen … – ach, lassen wir das.

Warum ich Zeit habe, über das Wetter nachzudenken? Ich bin krank und zu Hause und fühle mich mies. Aber kolumniert werden muss; und da möchte ich die Gelegenheit nutzen, mein Miesgefühl auch anderen überzustülpen. Das machen doch schließlich alle in dieser oder jener Form, selbst wenn sie gesund sind. Der eine blökt in der S-Bahn seine Sitznachbarin an, die andere schreit im Bundestag rum.

Gerade hat auch der Grünen-Chef so ein blödes Gefühl gekriegt. Erst hat Robert Habeck auf Twitter darüber geredet, dass er das von seiner eigenen Partei mitregierte Thüringen bei der Landtagswahl im Oktober zu einem „freien, offenen, liberalen, demokratischen und ökologischen Land“ machen möchte.

Schlaflos auf dem Tiefpunkt

Dann hat er noch mal gründlich nachgedacht und nach eigenen Angaben eine schlaflose Nacht gehabt. Und weil seine Stimmung dann auf dem Tiefpunkt angelangt war, hat er seinen Scheiß-Twitter-Account gelöscht. Und das verfickte Facebook, dieses Klassentreffen der Babyboomer, gleich mit. „Tja, erst denken, dann lenken“, hat meine Oma immer gesagt, wenn ich mal wieder Quatsch quatschte.

Derweil habe ich hier in meinem Provinzbett gelesen und gewartet, dass die Medikamente wirken. Als sie das getan hatten, schaute ich aus verquollenen Augen gleich noch mal bei Twitter und Facebook rein. Und siehe da, dort hatte sich eine Meta-Meta-Debatte darüber entwickelt, ob das jetzt richtig war, dass der mitteilsame Strubbel-Robbie nicht länger seine wahnsinnig progressiven Gedanken frei Haus zum Besten geben will.

Mich erstaunte die Debatte. Vielleicht lag es an den Medikamenten, vielleicht am Wetter – „Wer weiß, wofür’s gut ist“ (Oma) –; ich jedenfalls hatte mich gar nicht aufgeregt über das, was Habeck über Thüringen gesagt hatte. Kein bisschen. Denn dass der Osten unfrei, undemokratisch und unökologisch sein soll – denkt das nicht irgendwie die Mehrheit in diesem Land? Selbst mir, die ich von hier komme und hier lebe, war zuerst nichts aufgefallen. „Hey Ossis, wir machen was aus euch“ – so in etwa ist doch seit dreißig Jahren der Schnack.

So, ich muss jetzt wieder zurück ins Bett. „Schlaf ist die beste Medizin.“ Sie wissen, wer das gesagt hat.

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Anja Maier
Korrespondentin Parlamentsbüro
1965, ist taz-Parlamentsredakteurin. Sie berichtet vor allem über die Unionsparteien und die Bundeskanzlerin.
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14 Kommentare

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  • 9G
    98589 (Profil gelöscht)

    Die Mehrheit in diesem Land denkt sicher nicht wie er!



    Würden Sie vielleicht mal erläutern was Sie unter diesem Land verstehen, Frau Maier?



    Ist der Osten da mit drin in "ihrem Land"?

  • Dunkeldeutschland.... in der Dresdener Pension musste man sich morgens im Frühtücksraum auf den von der Wirtin zugewiesenen Platz setzen. WEr die Spielregel noch nicht kannte, musste eben mit dem aufgeköpften Ei den Platz wechseln. In Schlössern und Museen wurde man angeranzt, weil der Schirm tröpfelte und man nicht in der 1. Sekunde den Behälter dafür gesehen hatte oder andere Alltagsgründe, woanders höchstens ein freundlicher Hinweis, dort Grund für ernste Drohungen: WEnn Sie dän nossen Schirm nisch auf der Stelle an sich nähmen, verwaise isch Sie des Gebäudes. Busfahrer drohten unfreundlich, wenn man sich mit einer Eistüte auch nur näherte, man dürfe damit nicht einsteigen. Meine war dann 1 Sekunde vor Abfahrt aufgegessen, ich steig ein, der Herr raunzte trotzdem während der 15minütigen Fahrt weiter. So viel gar kein Charme, Verbitterung, Hochmut und Fremdenfeindlichkeit (gegenüber Touristen, auch denen mit heller Haut) habe ich selten erlebt. Mich zieht wenig in die schönen Landschaften mit den verkniffenen Menschen.

    • 9G
      98589 (Profil gelöscht)
      @Maria Burger:

      Dunkeldeutschland?



      Hallo Frau Burger, geht es noch etwas theatralischer?



      Kleiner Tipp, meiden Sie auch Bayern. Da kann es auch sehr ruppig zugehen, das könnte Ihnen auch nicht so recht gefallen.

    • @Maria Burger:

      Wenn Ihnen so viel Schönes passiert, dann muss das wohl auch an Ihnen liegen....

  • harbeck hätte seinen gezwitscher- und fratzbuch-konnten aufgeben können, ohne das zu kommentieren. aber das gehört wohl so inne polletick, dass man sein handeln stets kommentieren muss. und es gehört wohl auch so, dass die untertanen dann immer was zu meckern haben. lautere motive gestehn sie wohl keinem von der hautevo(r)laute mehr zu.

  • Dass dem cremigen Herrn Harbeck so früh auffällt, mit Twitter oder Facebook nicht klar zu kommen und natürlich die Schuld bei den asozialen Medien sucht, ist normales Politikerverhalten. Das wundert mich nicht. Aber dass ihm nicht aufgefallen ist, dass die Demokratie in Thüringen doch schon längst durch Regierungsbeteiligung der Grünen gerettet ist, wirft viele Fragen auf. Z.B.: Soll dieser selbstgefällige Viel- und Schönredner wirklich unsere Zukunft politisch mit gestalten?

  • Habeck hat recht mit seinem ersten Tweet. Und solange die ehemaligen Wähler der ehemaligen SED-Nachfolgepartei weiter in horrender Zahl die AfD wählen und so lange es "nationalbefreite Zonen" und so lange es das Gejammer über die da oben und das Gegröhle "Wir sind das Volk" gibt, setze ich keinen Schritt in die neuen alten Länder. Spreewalder Gurken bekomme ich auch hier und der Wein von Saale/Unstrut ist sowieso überbewertet.

  • „Denn dass der Osten unfrei, undemokratisch und unökologisch sein soll – denkt das nicht irgendwie die Mehrheit in diesem Land“



    Nein, Frau Maier! Ihrem Geburtsjahr zufolge müssten Sie noch einige Jahre „real existierenden Sozialismus in der DDR“ bewusst mitbekommen haben, wenn Sie von „hier“ sind. Ich selbst habe jeweils die Hälfte meines Lebens in der DDR und danach in Gesamt-Deutschland erlebt und weiß, wie es sich in einem wirklich „unfreien, undemokratischen und unökologischen“ Land lebt.



    Freilich leben wir auch jetzt nicht in einem Himmelreich, soweit wird es nie kommen. Aber, um auch mal meine Oma zu erwähnen: „Schlimmer geht’s IMMER!“. Schauen Sie sich nur mal in der Welt um: D., einschließlich seines Ostens stehen keineswegs am Ende der Wohlstands- oder Freiheitsskala!

  • Weiß nicht was die "Mehrheit denkt", aber Herr Habeck hat sicherlich ein Verständnisproblem mit dem Adjektiv "demokratisch". Vielleicht verständlich in einem Land wo der ultimative Schurke "demokratisch" an die Macht kam. Nichtsdestotrotz sollte er sich jeden erdenkliche Definition dieses Wortes zu Gemüte führen und dann einsehen, dass er ein Repetitorium in Politikwissenschaft braucht.

  • "..okay, aber denkt nicht die Mehrheit in diesem Land wie er?.."



    ..Frau Maier, wie kommen Sie darauf???

    • @Katarina:

      Vielleicht liest sie die Kommentare in der Taz zu bestimmten Ereignissen in Ostdeutschland?

  • "„Hey Ossis, wir machen was aus euch“ – so in etwa ist doch seit dreißig Jahren der Schnack."

    Stimmt, so geht der Schnack. Und "Eben": deswegen sollte man jetzt mal nachdenken. Weniger wegen der Ossis oder Thüringens, die können ja für sich selber reden. Mehr um die eigene doch allzu simple Denkstruktur in einer sich ändernden Welt etwas anzustoßen.

    • @Markus Michaelis:

      "Sollte" auf jeden Fall. Aber dass ein gedienter Politiker einer staatstragenden Partei das nicht tut, ist nicht wirklich überraschend. Und dass er die Schuld nicht bei sich sucht, sondern beim Medium, dass es ihm leichtmacht, solche Schnellschüsse zu publizieren, auch nicht.

  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    ...Frau Maier, Sie betreten ein weites Feld.



    Die Mehrheit der Deutschen ist auch für Folter, wenn dadurch möglicherweise Leben gerettet werden kann.