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Frankreich stellt Ruanda-Verfahren einEnde einer Sackgasse

Endlich lässt Frankreich den Vorwurf fallen, Ruandas regierende einstige Tutsi-Guerilla RPF habe 1994 Hutu-Präsident Habyarimana getötet.

RPF-Soldat bewacht das präsidiale Wrack nach Einnahme der Absturzstelle, 23. Mai 1994 Foto: ap

Brüssel taz | Zwanzig Jahre hat es gedauert – jetzt ist eines der schwierigsten Kapitel der Aufarbeitung des Völkermordes an Ruandas Tutsi 1994 bis auf Weiteres vom Tisch. Wie zu Weihnachten bekannt wurde, hat die französische Justiz am 21. Dezember das seit 1998 laufende Ermittlungsverfahren wegen des Flugzeugabsturzes, bei dem am 6. April 1994 Ruandas damaliger Hutu-Präsident Juvénal Habyarimana umkam, aus Mangel an Beweisen eingestellt.

Ruandas Regierung begrüßte die Entscheidung als „Beendigung eines zwei Jahrzehnte währenden dreisten Versuchs, Gerechtigkeit für den Genozid an den Tutsi zu behindern“. Die französischen Ermittlungen hatten sich nämlich gegen die heutigen Machthaber in Ruanda gerichtet: die RPF (Ruandisch Patriotische Front), die als Tutsi-Rebellenbewegung 1994 durch ihre Eroberung Ruandas dem Völkermord ein Ende setzte und seitdem unter Präsident Paul Kagame regiert.

2006 hatte Frankreichs Antiterror-Chefermittlungsrichter Jean-Louis Bruguière Haftbefehl gegen neun hochrangige RPF-Kader erlassen. Er folgte damit den Anschuldigungen von Habyarimanas Witwe Agathe Kanziga, die während des Völkermordes Asyl in Frankreich erhalten hatte.

Die These: Die RPF habe das Flugzeug mit den Hutu-Präsidenten Ruandas und Burundis, Juvénal Habyarimana und Cyprien Ntaryamira, selbst abgeschossen, um Gewalt zu provozieren und damit einen Vorwand zur militärischen Machtergreifung zu erhalten. Noch am Abend des Abschusses hatten Regierungstruppen in Ruandas Hauptstadt Kigali begonnen, gezielt Oppositionelle und Tutsi zu töten; die Massaker dehnten sich auf das ganze Land aus, bis der Vormarsch der RPF das Völkermordregime in das benachbarte Zaire (heute Kongo) vertrieb.

Bruguières Vorwürfe gegen Rose Kabuye, Charles Kayonva, James Kabarebe, Samuel Kanyemera, Jacob Tumwine, Jack Nziza, Faustin Kayumba, Franck Nziza und Eric Hakizimana lauteten auf Beihilfe zum Mord als terroristischer Akt im Rahmen einer kriminellen Vereinigung. Es ging dabei nicht nur um die beiden getöteten Präsidenten, sondern auch um die ebenfalls umgekommene französische Besatzung des Flugzeuges.

Ein RPF-Kommando, so führte die Begründungsschrift aus, habe sich auf den von der Regierungsarmee kontrollierten Hügel Masaka nahe Kigali geschlichen und von dort aus das Flugzeug abgeschossen.

Keine Ermittlungen vor Ort

Doch Bruguière hatte sich ausschließlich auf Aussagen von Exilruandern gestützt und nie selbst vor Ort nachgesehen. Seine Belastungszeugen zogen im Laufe der Jahre entweder ihre Aussagen zurück oder verwickelten sich in Widersprüche.

Belastungszeugen zogen ihre Aussagen zurück oder verwickelten sich in Widersprüche

Ex-Oberst Abdul Ruzibiza wollte Mitglied des RPF-Abschusskommandos gewesen sein; auf seiner in einem 2005 veröffentlichten Buch geschilderten Version des Tathergangs stützte sich Bruguière vor allem. Doch 2008 erklärte er seine Geschichte für erfunden und sagte, er sei von Bruguière „manipuliert“ worden. Das nahm er 2010 kurz vor seinem Tod wieder zurück, aber glaubwürdig als Zeuge war er nicht mehr.

Evariste Musindi wollte im RPF-Hauptquartier Mulindi an den Vorbereitungen des Abschusses beteiligt gewesen sein. Später stellte sich heraus, dass er erst im Mai 1994 zur RPF stieß.

Richard Mugenzi wollte als Abhörspezialist der damaligen ruandischen Regierungsarmee Jubelsprüche der RPF nach dem Flugzeugabschuss abgefangen haben. Später stellte er klar, er habe keine direkten Abhörergebnisse protokolliert, sondern Behauptungen eines Offiziers aus den eigenen Reihen.

Auf dem Hügel stand die Präsidialgarde

Ermittlungen vor Ort stellte erst Bruguières Nachfolger Marc Trévidic an, der 2012 Ruanda besuchte und aufgrund ballistischer Expertisen feststellte, dass die Rakete, die Habyarimanas Flugzeug traf, nicht vom Hügel Masaka abgeschossen worden sein konnte, sondern vom Hügel Kanombe am Flughafen. Da stand Habyarimanas Präsidialgarde.

Die fünf von Trévidic beauftragten Ermittler bestätigten mit ihrem Befund eine 2009 auf Wunsch der ruandischen Regierung durchgeführte Untersuchung der britischen Militärakademie Cranfield. Diese hatte bereits Kanombe als Abschussort identifiziert.

Ruandas Präsidialgarde hatte 1994 starke Vorbehalte gegen die Friedensbemühungen zwischen Habyarimana und der RPF-Guerilla. Ein Friedensvertrag, 1993 nach fast drei Jahren Bürgerkrieg unterzeichnet, sah unter anderem eine Machtteilung sowie die Eingliederung der RPF in die ruandische Armee vor, was viele damalige Hutu-Soldaten ihre Jobs gekostet hätte.

Radikale Hutu-Politiker mobilisierten danach offen gegen Habyarimana und drohten, gegen die Tutsi vorzugehen, sollte das umgesetzt werden. Am 6. April 1994 befand sich Habyarimana auf dem Rückweg von einem Regionalgipfel, wo er die Umsetzung des Abkommens zugesagt hatte.

„Der Anschlag auf das Flugzeug“, so Ruandas langjährige Außenministerin Louise Mushi­kiwabo, heute Präsidentin der internationalen Frankofonie-Organisation, „war ein Putsch von Hutu-Extremisten und ihren Beratern, die die Kasernen von Kanombe kontrollierten“.

Seit Jahren faktisch tot

Mit Trévidic' Erkenntnissen war das französische Verfahren gegen die RPF faktisch tot – aber es lief formell weiter. Erst am 10. Oktober 2018 beantragte die Staatsanwaltschaft förmlich die Einstellung. Die derzeitigen Antiterrorermittlungsrichter Jean-Marc Herbaut und Nathalie Poux hatten schon drei Jahre lang versucht, die Akte zu schließen, aber die Kläger hatten mit neuen Zeugen aufgewartet.

So meldete sich im März 2017 der RPF-Deserteur und Exilaktivist James Munyandinda und stellte sich als ehemaliger Leibwächter von James Kabarebe vor, 1994 die rechte Hand Kagames und später Ruandas Verteidigungsminister. Er sagte, er habe selbst gesehen, wie Anfang Januar 1994 die beiden Boden-Luft-Raketen des Typs SAM-16, mit denen Habyarimanas Flugzeug abgeschossen wurde, an die RPF im Busch geliefert wurden. Er selbst habe die zehn Kämpfer angeführt, das diese Raketen im RPF-Hauptquartier Mulindi bewachten. Kabarebe habe die Lagerung der Raketen in zwei Kisten persönlich überwacht.

Eine Vorladung Kabarebes aufgrund dieser Aussage lehnten dessen Anwälte ab. Denn es haben schon andere ehemalige RPF-Kämpfer Geschichten über diese Raketen erzählt, und sie widersprechen sich alle.

So hatte ein Aloys Ruyenzi berichtet, die Raketen seien in einem Mercedes-Lastwagen unter einer Ladung Feuerholz versteckt gewesen. Emile Gafirita wiederum sagte, man habe sie mit Stoffen bedeckt. Munyandinda sagte nun, die Raketen seien in ihrer russischen Originalverpackung geblieben. Über die Daten der Lieferung und die genauen Umstände erzählt jeder der dreien etwas anderes.

Welche Rolle spielte Frankreich selbst?

Bleibt eine Frage, die nun wohl für immer ungeklärt bleiben wird: was die französischen Militärberater taten und wussten, die bis zum Völkermord Ruandas Regierungsarmee ausbildeten und aufrüsteten.

Französische Soldaten waren bei der Präsidialgarde in Kanombe stationiert. Einer von ihnen sagte in Trévidics Ermittlungen aus, er habe die Raketenabschüsse gehört – von ganz in der Nähe. Das stärkte die These, dass die Raketen vom gleichen Hügel kamen, wenn auch nicht aus der Kaserne selbst.

Die Täter müssen gut ausgebildet und erfahren gewesen sein, meint der französische Ruanda-Veteran Guillaume Ancel, der dieses Jahr mit kritischen Memoiren über Frankreichs Ruanda-Einsatz Furore machte. Es sei unmöglich, so einen Abschuss ohne vorherige Erkundung der Raketenstellung und der benötigten Zielführung vorzunehmen, sagt Ancel, selbst Experte für Feuerleitsysteme.

Für ihn ist es ausgeschlossen, dass Guerillakämpfer das schaffen. Auch dass Ruandas reguläre Soldaten dazu in der Lage waren, bezweifelt er. Die Schützen mussten zudem direkt neben der besten Truppe des Landes einen Abschussort auswählen, den Abschuss vorplanen, die Raketen aufstellen und nach dem Abschuss wieder verschwinden.

Dass die Täter Franzosen waren, glaubt Ancel zwar nicht. Andererseits sei klar, dass es in Frankreichs Regierung damals Kräfte gab, die Habyarimanas Friedensschluss mit der RPF ablehnten – gemeinsam mit radikalen Kräften in Ruandas Armee, die nach Habyarimanas Tod unter Oberst Théoneste Bagosora die Macht ergriffen und noch während des Völkermordes von Frankreich Waffen erhielten.

Möglicherweise seien osteuropäische Söldner angeheuert worden, die Erfahrung mit Boden-Luft-Raketen hatten. Keine drei Jahre später heuerte Frankreich ja auch im benachbarten Kongo serbische Söldner an, um das befreundete Mobutu-Regime zu retten.

Vergeblich, wie schon 1994 in Ruanda.

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