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Jugendaufruf in FrankreichDie Wahrheit über Ruanda sagen

Prominente französische Jungpolitiker fordern ein Ende des staatlichen Schweigens über Frankreichs Unterstützung des Völkermordes in Ruanda 1994.

Vorsicht Völkermordgrab; Die Franzosen wollen jetzt nach Ruanda reisen. Bild: reuters

BERLIN taz | Zwanzig Jahre, nachdem Frankreich zum Höhepunkt des Völkermordes in Ruanda militärisch in dem Land eingriff, haben Jugendpolitiker mehrerer Parteien und Verbände in Frankreich gemeinsam gefordert, das staatliche Schweigen und Lügen über die damalige französische Politik zu beenden. Der Appell mit dem Titel „Die Wahrheit über den Völkermord an den Tutsi“ wurde von der linken Tageszeitung Libération veröffentlicht.

„Sagen wir es klar: Paris hat das Völkermordregime in Ruanda vor, während und nach dem Genozid an den Tutsi unterstützt“, schreiben die Unterzeichner. Eine Koalition linker und rechter Regierungspolitiker in Frankreich habe 1994 ohne öffentliche Debatte „politische, militärische und diplomatische“ Unterstützung für ein „strukturell rassistisches, totalitäres und genozidales“ Machtsystem in Ruanda geleistet.

„Seit zwanzig Jahren weigert sich diese Handvoll Verantwortlicher im Glauben, damit ihre Ehre zu retten, zu ihren Taten zu stehen und versucht, die Wahrheit zu verschleiern“, kritisieren die Jugendpolitiker. „Unsere Generation“ fühle sich durch diese Politiker nicht vertreten. „Wir kämpfen gegen Gleichgültigkeit, Verleugnung und staatliches Schweigen. Der Kampf gegen Völkermordleugnung ist für uns nicht verhandelbar.“

Unterzeichnet ist der Aufruf von den Vorsitzenden der Jugendverbände von Frankreichs Sozialisten, Grünen, Kommunisten und Zentrumsdemokraten ebenso wie von den Führern der französischen Studentengewerkschaften, mehrerer antirassistischer Verbände und der jüdischen und armenischen Jugendverbände. „Wir werden zusammen nach Ruanda reisen, um Ruandas junger Generation und Zivilgesellschaft unsere Botschaft zu übermitteln“, verkünden sie.

Unter Schutz der französischen Armee

1994 waren innerhalb von drei Monaten bis zu einer Million Angehörige der Tutsi-Minderheit in Ruanda getötet worden, als radikale Hutu-Militärs nach der vermutlich von ihnen selbst begangenen Ermordung des Hutu-Staatschefs Juvénal Habyarimana am 6. April sowie der Premierministerin Agathe Uwilingiyimana wenig später die Macht ergriffen und die systematische Auslöschung der Tutsi durch Armee und Milizen organisierten. Sie wollten damit eine bereits vereinbarte Machtteilung mit der Tutsi-Guerillabewegung RPF (Ruandische Patriotische Front) sabotieren.

Die RPF eroberte schließlich Ruanda und setzte dem Massenmorden nach drei Monaten ein Ende. Die flüchtigen Militärs und Milizen flohen unter Schutz der französischen Armee ins benachbarte Zaire (heute Demokratische Republik Kongo), und Teile von ihnen sind dort bis heute militärisch aktiv.

Der Jugendaufruf erhebt im einzelnen schwere Vorwürfe gegen Frankreich. Die Übergangsregierung, die nach dem Tod Habyarimanas die Macht in Ruanda übernahm und den Völkermord leitete, wurde in der französischen Botschaft in Kigali auf einer Sitzung unter Leitung des französischen Botschafters gebildet, heißt es.

Die französische Miliärintervention „Opération Turquoise“ ab 22. Juni 1994 hatte, so die Jugendlichen weiter, zum Ziel, die Autorität dieser Übergangsregierung zu sichern. Drei Tage lang hätten danach französische Militäreinheiten zugesehen, wie ruandische Völkermordmilizen in der Hügelregion Bisesero die letzten dort versteckten leistenden Tutsi abschlachteten, und dann die Völkermordtäter samt ihren Waffen nach Zaire abziehen lassen.

"Es geht um die Ehre unseres Landes"

Auf ihrer Reise nach Ruanda wollen die französischen Jugendvertreter auch nach Bisesero fahren - in diesem Landstrich im Südwesten Ruandas hatten Tutsi 1994 monatelang Widerstand gegen Armee und Hutu-Milizen leisteten und waren schließlich doch fast alle umgebracht worden, trotz französischer Militärpräsenz. Nur wenige Tutsi wurden dann noch von Franzosen gerettet..

„Wir werden nach Bisesero fahren und diejenigen beisetzen, die dort ausgelöscht wurden. Wir werden jene französischen Soldaten der Operation Turquise ehren, die im Angesicht einer schecklichen und schmerzhaften Wahl den Mut hatten, sich ihren Befehlen zu widersetzen und todgeweihte Männer, Frauen und Kinder zu retten“, schreiben die Jugendführer. „Es geht um unser Verhältnis zur Wahrheit. Um unsere Beziehung zu Afrika. Um unsere Fähigkeit, mit der Geschichte umzugehen. Um unsere fundamentalen demokratischen Werte. Es geht um die wahre Ehre unseres Landes.“

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5 Kommentare

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  • Komisch, dass Deutschland nicht ueber sich selbst schreiben kann.

  • Danke für den Artikel!

     

    Ich hoffe, das regt noch mal alle, auch den Autor selbst dazu an, mal darüber nachzudenken, ob militärisches Eingreifen wirklich immer eine Option sein kann. In diesem Falle hat es nicht nur den Völkermord nicht verhindert, sondern eher noch weiter geschürt.

    Die Darstellung der Politiker deckt sich zumindest mit den Erfahrungsberichten von jemanden, der in einer humanitären Aktion zur Zeit da in der Nähe war, den ich kenne und ziemlich genau das beschreibt. Wobei Augenzeugen aus Ruanda auch davon berichteten, dass das frnazösische Militär auch noch mit Waffen bei den Teilen der Milizen "ausgeholfen" hat, die nicht zum offiziellen ruandischen Militär gehörten.

    • @Age Krüger:

      Kann es sein, daß Sie überhaupt keine Ahnung haben, oder sind Sie nur ein bißchen manipulativ veranlagt und beweisen sich Ihre vorgefaßte Meinung gerne durch Weglassen störender Details?

       

      Es sollte sich inzwischen herum gesprochen haben, daß es zur Zeit des Völkermordes eine UNO Truppe im Land befand, die allerdings zu Beginn des Mordens auf 270 Mann reduziert wurde, weil es sich um eine Mission nach Kap. VI handelte, also ausschließlich zur Friedenssicherug da war. Die messerscharfe Logik hinter dieser Entscheidung der UNO war, daß es ja jetzt mit dem Frieden vorbei sei und deshalb müßte auch kein Frieden mehr gesichert werden. Hätte man die UNO-Truppe statt dessen verstärkt, hätten hunderttausende von Menschen gerettet werden können, indem die Orte, an die sich Tutsi geflüchtet hatten, bewacht hätte, bzw. man hätte mehr Orte einrichten können, in die sich Tutsi hätten retten können. Im Hotel des Mille Colline und im Amohoro-Stadion von Kigali wurden auf diese Art 20.000 vom Tod bedrohte Menschen von UNO-Truppen gerettet.

      Nur kann man mit 270 bzw. 470 Mann, die tatsächlich da geblieben waren, nicht mehr Objekte bewachen.

       

      Ruanda ist geradezu das Paradebeispiel dafür, daß millitärische Einsätze zuweilen sinnvoll sein können.

      • @Puck:

        Ich schrieb' über die Aktionen der französischen Soldaten, nicht von der UNAMIR.

         

        Ansonsten bezog ich mich auf den Artikel von Johnson hier:

        http://www.taz.de/Debatte-Gauck-und-die-Aussenpolitik/!140468/

        Weder Gauck noch Johnson haben klar und deutlich gesagt, dass diese militärischen Eingriffe von der UNO ausschließlich legitimiert sein dürfen. Wenn dies damit gemeint war, stimme ich Gauck sogar zu, aber dann soll man es auch so sagen. Zumal die UNO auch nicht unbedingt ein demokratisch legitimiertes Gremium zu nennen ist.

        • @Age Krüger:

          Da haben aber auch Sie sich nicht besonders klar ausgedrückt, Sie schrieben von "millitärischem Eingreifen" - und das ist eine UNO-Mission schließlich auch.

           

          Klar ist die UNO auch nicht unbedingt ein demokratisches Gremium, schließlich sind die meisten Mitglieder keine Demokratien. Aber vor allem ist die UNO entsetzlich schwerfällig und chronisch unterfinanziert.

          Deshalb kann ich z. B. gut verstehen, warum GB seinerzeit nicht erst die UNO gefragt hat, bevor in Sierra Leone eingegriffen wurde. Trotzdem halte ich diese Intervention für richtig. Sie hat einen überaus grausamen Bürgerkrieg beendet, der auf das Nachbarland Liberia übergegriffen hatte, und wie es ausieht sind Sierra Leone und Liberia jetzt auf einem guten Weg, wenn auch natürich nicht alles in Butter ist, das kann eine millitärische Intervention nämlich gar nicht leisten.

          Das gleiche trifft m. E. auf den NATO-Eingriff auf dem Balkan zu. Es gibt da gewiß noch viel zu tun, aber das kann nur getan werden, wenn nicht mehr geschossen wird und das hat der NATO-Einsatz geleistet.

          Generell bin ich schon der Meinung, daß ein UNO-Mandat der richtige Weg ist, aber nicht alle Interventionen ohne UNO-Mandat sind automatisch verkehrt, verfolgen geo-politische Interessen oder sind sonstwie Teufelszeug.

           

          Über diese Dinge muß offen diskutiert werden, und damit ist nicht das gemeint, was als Kommentare unter dem von Ihnen verlinkten Artikel zu lesen steht, wo jeder, der millitärische Interventionen nicht komplett ablehnt als Millitarist und ignorante Dumpfbacke bepöbelt wird.