Israel und Rechtspopulismus: Mehr Gefahr als Sicherheit
Die Stellung von Israels Regierung zum europäischen Rechtspopulismus ist auch eine dringliche Frage für die Juden in der Diaspora.
I sraels Regierungschef Benjamin Netanjahu wollte an der in Wien am 21. November vom österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz organisierten Konferenz „gegen Antisemitismus und Antizionismus“ persönlich teilnehmen. Die Konferenz und die Initiative, ein Holocaust-Denkmal in Wien zu errichten, wie auch weitere „judenfreundliche“ Gesten haben zum Ziel, Israels ablehnende Haltung gegenüber Kanzler Kurz’Koalitionspartner FPÖ zu überwinden. Wegen der jüngsten Regierungskrise in Israel reiste Netanjahu dann zwar nicht nach Österreich. Seine Rede, in der er von Antisemitismus und Antizionismus als zwei Seiten derselben Medaille ausging, wurde per Video in den Plenarsaal der Konferenz nach Wien gesendet.
Nun bleibt abzuwarten, ob die Charme-Offensive des österreichischen Regierungschefs (dazu gehört auch der EU-Beschluss gegen Antisemitismus vom 6. Dezember) und diese Konferenz ausreichen, um die israelische Haltung gegenüber der Regierung Kurz, an der die FPÖ teilnimmt, zu verändern. Netanjahus Annäherung an eine solche Koalition wäre eine Abkehr von der bisherigen offiziellen Haltung Israels gegenüber Parteien wie der FPÖ, ein entscheidendes Signal zur Normalisierung der Beziehungen mit den europäischen rechtspopulistischen Parteien.
Eine solche Kehrtwende wäre jedenfalls auch ein Schlag ins Gesicht der jüdischen Gemeinde Österreichs, die bislang jeden Kontakt zur FPÖ verweigert. Sie verlangt dafür von Israel Rückendeckung, solange die FPÖ sich nicht von Grund auf erneuert. Hier stellt sich also auch eine Grundsatzfrage: Nimmt Israel Rücksicht auf die Interessen der jüdischen Gemeinden, egal ob in Österreich, Ungarn oder den USA, wenn es eine Entscheidung trifft, die eine unmittelbare Rückwirkung auf das Leben der Juden in der Diaspora haben kann?
Noch meidet das offizielle Israel den direkten Kontakt zu den FPÖ-Ministern in der österreichischen Regierung. Doch die Bemühungen des Bundeskanzlers um eine Wende in der israelischen Haltung scheinen allmählich Früchte zu tragen. Es scheint so, als hätte FPÖ-Chef Christian Strache seine Anhänger in Israel längst gefunden. Er besuchte Israel (und Yad Vashem!). Und er wendet den bewährten Trick der Rechtspopulisten an, Israels Politik gegenüber „den Arabern bzw. Muslimen“ zu unterstützen, um so von Rassismus und Antisemitismus in den eigenen Reihen abzulenken.
Den Köder geschluckt
Dabei geht es nicht nur um den Knessetabgeordneten Glick oder Kommunikationsminister Ajub Kara, die den Köder geschluckt haben. Das Weißwaschen von europäischen Politikern, die eine befleckte Weste tragen, begann bereits mit dem Italiener Gianfranco Fini, setzte sich mit dem Niederländer Geert Wilders und dem Italiener Matteo Salvini fort und wird nicht mit Heinz-Christian Strache enden.
Die österreichischen Juden haben immer eindeutig Position zur FPÖ bezogen; egal ob zu Jörg Haiders oder Heinz-Christian Straches Zeit erhoben sie ihre Stimme gegen eine Normalisierung. Im Januar dieses Jahres betonte der neue Präsident der jüdischen Gemeinde Österreichs, Oskar Deutsch, dass die FPÖ keine normale Partei ist, mit der man zusammenarbeiten kann. Er unterstrich damit eine Aussage, die er vor den Wahlen 2017 gemacht hatte: „Symbolische Israel-Besuche können das alles nicht kaschieren. Die jüdische Gemeinde in Österreich wird deshalb keinen Hechscher, keinen Persilschein ausstellen.“
ist Professor emeritus an der Hebräischen Universität in Jerusalem.
Die aktuelle Frage heißt also: Wird die israelische Regierung international auf die Warnungen der jüdischen Gemeinde hören oder sie ignorieren, so wie sie dies im Fall der jüdischen Gemeinde Ungarns tat, als diese gegen Orbáns antisemitische Angriffe auf George Soros wie auch gegen eine antisemitische Attacke gegen den Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde, András Heisler, protestierte und jüngst vor Geschichtsrevisionismus im Konzept des von Orbán geplanten Holocaust-Museums monierte?
war von 2001 bis 2007 Botschafter Israels in Deutschland. Zurzeit ist er Senior Fellow am Institut für nationale Sicherheitsstudien (INSS) an der Universität Tel Aviv.
Wird der weiter oben beschriebene Trick der Rechtspopulisten den Weg zur Gewinnung von Sympathie und Unterstützung seitens des offiziellen Israels ebnen und auch zur Überwindung der Opposition der Diasporajuden beitragen, jener Juden, die unmittelbar mit dem europäischen und internationalen Rechtspopulismus konfrontiert sind?
Schon vor der Gründung des Staates Israel gab die zionistische Minderheit im jüdischen Volk vor, im Namen des gesamten jüdischen Volkes zu sprechen. Als die Idee von einer jüdischen Nation sich durchsetzen konnte, als Ersatz für das Verständnis des Judentums als religiöser Gemeinschaft, war Tür und Tor geöffnet, damit sich die Zionisten als Alleinvertreter des Judentums, auch der Juden in der Diaspora, präsentieren konnten.
Alleinvertretunganspruch als Credo
Seit der Gründung Israels vor 70 Jahren, und schon lang bevor die Bevölkerung Israels die größte jüdische in der Welt wurde, wurde der Anspruch auf Alleinvertretung des jüdischen Volkes zu Israels Credo. Israel erwartet nicht nur die Einwanderung aller Juden, es betrachtet die Judenemanzipation als gescheiterte „Lösung der Judenfrage“ und hält sich für den Kampf gegen Antisemitismus besser als die Diaspora-Juden gerüstet. Als der Antisemitismus in Deutschland nach dem Fall der Mauer an Virulenz zu gewinnen schien, schlug ein ehemaliger Geheimdienstchef vor, israelische Soldaten nach Deutschland zu entsenden, um dort die Juden zu retten.
Dass es mehr als eine einzige Art jüdischer Selbstbestimmung geben kann, nämlich, dass Diaspora-Juden ihren Zustand für normal halten können, ist der offiziellen israelischen Politik fremd. Die Haltung Israels wurde umso deutlicher, als das Nationalstaatsgesetz von der Knesset vor Kurzem verabschiedet wurde: Im Paragraf 6 ist von der Pflicht die Rede, die Sicherheit der Diaspora-Juden zu garantieren, zudem für die Pflege der jüdischen Tradition in der Diaspora zu sorgen – als wären die Diaspora-Juden selbst, und die Gesellschaften, zu denen sie gehören, irrelevant.
Die überhebliche israelische Selbstwahrnehmung führt heute zu absurden Positionen. Der Kampf gegen den Antisemitismus fokussiert zunehmend auf den sogenannten „israelbezogenen Antisemitismus“. So erklärt sich auch die Sympathie des offiziellen Israels für rechtspopulistische Parteien und Politiker, die ihre Unterstützung für Israel herausposaunen, aber gleichzeitig Hassparolen gegen Muslime, Araber oder Flüchtlinge von sich geben.
Das Dilemma vieler Juden verschärft sich weiter
Vor dem Hintergrund des Alleinvertretungsanspruch Israels für das Judentum nimmt es wenig Wunder, dass Kritik an Israel oft in Kritik an Juden umschlägt, da diese angeblich von Israel repräsentiert seien oder automatisch Israels Politik unterstützen würden.
So werden Demonstration gegen Israels Verhalten im Nahen Osten zu Demonstrationen gegen die Juden, da der Anspruch Israels auf Alleinvertretung der Juden nicht nur von Antisemiten oder Feinden Israels für bare Münze gehalten wird. Das Dilemma vieler Juden verschärft sich so weiter. Ihr Bestreben, zwischen ihrer Zugehörigkeit zum jeweiligen Land, in dem sie leben, als Staatsbürger und ihrer Zugehörigkeit zur jüdischen Religionsgemeinschaft zu unterscheiden (und somit dem Vorwurf der doppelten Loyalität entgegenzutreten), wird nicht Ernst genommen.
Besonders alarmierend ist diese Denkweise im US-amerikanischen Fall. Einerseits spielt man in Israel den Aufstieg des rechtsgerichteten Antisemitismus herunter und setzt den Akzent auf die Bedeutung des muslimischen und linken Antisemitismus. Andererseits schaute Netanjahu weg, als Donald Trump die Rolle seiner rechtsorientierten Anhänger für die antisemitischen Ausschreitungen in Charlottesville 2017 relativierte. Mehr noch: Als elf Juden vor Kurzem in einer Synagoge in Pittsburgh ermordet wurden, hat der israelische Botschafter in den USA, der Donald Trump während seines Besuches in der Synagoge empfangen und begleitet hatte, vergessen, dass er Israel und nicht die jüdische Gemeinde repräsentiert.
Marseillaise statt Hatikwa
In seiner Lobrede auf Trump sagte er unter anderem: „Das könnten Neonazis aus dem rechten Flügel, militante Islamisten aus dem linken Flügel oder jede Sorte Menschen dazwischen gewesen sein.“ Dass viele amerikanische Juden einer anderen Meinung sein könnten, kam ihm nicht in den Sinn.
Netanjahu hätte die Lehre aus einer eigenen Erfahrung vor drei Jahren ziehen können, als er nach den Terroranschlägen in Frankreich im Januar 2015 nach Paris kam. Nach seiner Rede während der Gedenkzeremonie in der Synagoge erhoben sich die anwesenden Juden, um die Marseillaise zu singen, nicht die Hatikwa, die Nationalhymne Israels. Sie wollten in dieser Situation nicht von Israel vereinnahmt werden.
Der vermeintliche Anspruch auf eine Alleinvertretung des jüdischen Volkes beruht schließlich nicht nur auf einer Fehlinterpretation vom Wesen des jüdischen Kollektivs. Es ist schlicht unrealistisch, da Israel nicht in der Lage ist, eine solche Rolle zu spielen. Israels Mantra birgt für die Diaspora-Juden mehr Gefahr als Sicherheit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour