piwik no script img

Quoten-Streit in der Nord-SPDSozis werden weiblicher

In der SPD in Schleswig-Holstein gibt es Unmut über die Kandidatenliste für die Europawahl – und ihren Landeschef Ralf Stegner.

Wird aller Voraussicht nach für die SPD ins EU-Parlament einziehen: Delara Burkhardt Foto: dpa

Neumünster taz | Der Sieg war deutlich, der Gewinner strahlte: „Ich gehe mit Optimismus und Engagement in den Wahlkampf“, sagte Enrico Kreft Anfang November. Da hatte die SPD Schleswig-Holstein ihn gerade zum Spitzenkandidaten für die Europawahl bestimmt. Doch der SPD-Bundesvorstand kippte die Landesliste: Nicht Kreft, sondern seine unterlegene Gegenkandidatin Delara Burkhardt soll einen der aussichtsreichen Plätze erhalten. Nun rumort es in der Nord-SPD. Der Protest richtet sich gegen Landeschef und Bundesvorstandsmitglied Ralf Stegner. Der hatte sich schon zuvor für die 26-jährige Burkhardt eingesetzt.

Die Wahl des Lübeckers Enrico Kreft an die Listenspitze war auch ein Votum des Parteitags gegen den Landesvorstand, der Delara Burkhardt ins Rennen schickte. Burkhardt stammt aus Siek im Kreis Stormarn und studiert in Hamburg. Als Hobbys nennt sie „Fitnessstudios und Festivals“, im Juso-Bundesvorstand ist sie für Gleichstellung und Social Media zuständig.

Der 40-jährige Kreft ist seit rund 20 Jahren politisch aktiv, sitzt unter anderem im Landesparteivorstand und im Präsidium der „Europa-Union Deutschland“, einem überparteilichen Verein, der für die europäische Idee wirbt, Gesprächsrunden zu EU-Themen organisiert und eigene Vorschläge macht. Die Genossen bewegt nun die Frage: Wollte Stegner den Wunschkandidaten seiner Landespartei nicht durchsetzen, oder konnte er nicht?

Der Vorsitzende der Lübecker SPD, der Landtagsabgeordnete Thomas Rother, forderte laut Lübecker Nachrichten, Stegner soll als Vize-Parteivorsitzender zurücktreten, wenn er sich in dem Gremium nicht durchsetzen könne. Nach der Bundesvorstandssitzung habe Stegner in einer Telefonkonferenz mit etwa 30 Teilnehmenden das Ergebnis verkündet, berichtet einer, der dabei war. „Ralf sagte, er habe dagegen protestiert. Aber von einem Landeschef erwarte ich deutlich mehr Einsatz.“

Die Genossen bewegt die Frage: Wollte Stegner den Wunschkandidaten seiner Landespartei nicht durchsetzen, oder konnte er nicht?

Teils unter der Hand, teils offen auf Twitter äußern Mitglieder ihren Unmut: Wozu das aufwändige Verfahren, über Orts-, Regional- und Landesversammlungen eine Reihenfolge zu bestimmen, wenn der Bundesvorstand alles kippt?

Inzwischen trat ein Mitglied des Landesvorstands zurück. Als Grund nannte der bisherige Beisitzer Dirk Diedrich seine Arbeitsbelastung in Job und in seinen kommunalen Ehrenämtern. Aber zwischen den Zeilen seiner Twitter-Nachrichten lässt sich unschwer Kritik an Ralf Stegners Führungsstil herauslesen: „Vertrauen und Loyalität sind keine Einbahnstraße. Wer mich von oben herab behandelt, der kann nicht mein Kollege sein.“

Philipp Geiger, Sprecher des SPD-Bundesvorstands, stellt klar, dass Ralf Stegner keineswegs mit dem guten Listenplatz für Delara Burkhardt – sie soll nach Willen des Bundesvorstandes an die fünfte Stelle rücken – einverstanden war. „Ralf hat bei der Sitzung protestiert und gegen die Liste des Vorstands gestimmt“, so Geiger auf taz-Anfrage. Auch die Wünsche anderer Landesverbände seien nicht berücksichtigt worden.

Protest auch in Baden-Württemberg

Besonders starken Protest gibt es neben Schleswig-Holstein in Baden-Württemberg. „Es geht nicht darum, dass der Bund die Ländervoten nicht erfüllen will, aber wir haben nun einmal beschlossen, dass die SPD jünger und weiblicher werden soll“, sagt Geiger.

Konkret bedeutet das, dass jeder zweite Platz an eine Frau gehen muss. Da mit Katarina Barley eine Frau auf Platz eins steht, fallen die ungeraden Listennummern an Frauen. Da insgesamt immer noch mehr Männer als Frauen vorgeschlagen werden, zog der Bundesvorstand Burkhardt vor Kreft. Der Lübecker steht nun auf dem wenig chancenreichen 32. Platz.

Die endgültige Entscheidung trifft eine Bundesdelegiertenkonferenz am 9. Dezember. „Bis dahin ist die Liste offen“, betont Geiger. Üblicherweise werden KandidatInnen von ihren Landesverbänden vorgeschlagen. Um Enrico Kreft einen besseren Platz zu verschaffen, müsste Ralf Stegner also die Delegierten mit einer mitreißenden Rede überzeugen.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • 9G
    98589 (Profil gelöscht)

    Eine Frau, die Fitnessstudios und Festivals liebt, steht auf Platz 1.



    Dann kann ja nichts mehr schiefgehen in Europa und in der SPD.

    Dümmer geht immer!

  • Zitat: „Um Enrico Kreft einen besseren Platz zu verschaffen, müsste Ralf Stegner also die Delegierten mit einer mitreißenden Rede überzeugen.“

    Das verstehe, wer will! Ich finde ja, wenn überhaupt hätten die Frauenversteher im Bundesvorstand eine flammende Rede zu Gunsten von Delara Burkhardt halten müssen. Eine Rede, aus der hervorgeht, wieso ausgerechnet eine Frau, die sich für Fitnessstudios und Festivals interessiert, in den Genuss eines Quotenplatzes kommen muss. Noch besser wäre es natürlich gewesen, man hätte Delara Burkhardt selbst reden lassen. Vielleicht sogar mit Enrico Kraft um die Wette. Europa und die SPD stecken schließlich bis zum Hals in einer Krise. Volks-Vertreter*innen, die nicht mitreißend reden und nicht überzeugen können, können sich Europa und die SPD doch gar nicht leisten im Moment.

    Überhaupt: Von einer Frau, die sich in so einer Situation „vordrängelt“ bzw. vorschieben lässt, obwohl sie genau wissen muss, was das bedeutet, erwarte ich rein gar nichts. Als Europäerin nicht, als Demokratin nicht, als sozial denkender Mensch nicht und schon gar nicht als Frau.

    Aber, hey, Hauptsache man hält sich an die eigenen Beschlüsse als Bundesvorstand. Kann ja nicht sein, dass man nicht weit genug gedacht hat. Und wer weiß, vielleicht wächst ja auch diese Frau an ihren Aufgaben. Vorausgesetzt natürlich, Fitnessstudios und Festivals lassen ihr genügend Zeit dafür.

    • @mowgli:

      Äußerst albern der Kommentar: Fitnessstudios und Festivals sind offensichtlich ihre alleinigen Stärken, deshalb kam sie in in den juso-bundesvorstand, deshalb hat sie knapp in der zweiten Runde gegen kreft verloren bei der Nominierung. Alle waren so beeindruckt von ihrem Körper und ihren Tanzfähigkeiten. Reden haben beide gehalten und auch andere. Und sie sind zusammen durch Schleswig-Holstein gereist, wie alle Kandidaten und mussten sich beweisen.



      Und dann noch das "vordrängeln", bisschen damit beschäftigen und man könnte die Situation etwas reflektierter betrachten. Nicht zu viel ve langt oder?