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Kommentar EU-Budgetstreit mit ItalienRegeln müssen für alle gelten

Kai Schöneberg
Kommentar von Kai Schöneberg

Wer glaubt, eine harte Strafe gegen die populistische Regierung in Italien wäre gut, liegt falsch: Der Bestand der Währungsunion ist wichtiger.

Italiens Innenminister Salvini Foto: ap

W as sollen Eltern mit unartigen Kindern tun: Lange Leine, kurze Leine? Wer Milde walten lässt, hat erst mal Ruhe, riskiert aber Wiederholungstäter. Wer straft, erzeugt Tränchen und Schlimmeres. Regeln aufstellen, Regeln einhalten? Ein Dilemma. Immer wieder geht es der EU-Kommission ganz ähnlich: Der böse Bube Gerhard Schröder drückte 2002 in Brüssel per Basta durch, dass Deutschland kein Defizitverfahren angedroht wurde, weil Bundestagswahlen bevorstanden.

Das gilt für viele als der erste Tod des Stabilitätspakts, mit dem die Gründer 1997 den Euro schützen wollten. Die Kommission sah armselig aus. Und: Bis heute hat es – auch wegen der damaligen Milde – viele weitere Regelverletzungen gegeben. Nach der Finanzkrise wurden die Stabilitätsregeln 2011 sogar verschärft: Nun ist es schneller möglich, Milliardenstrafen zu verhängen.

Man mag sich über das strikte Regelkorsett des Pakts ärgern. Europas neoliberaler Sparwahn hat auf dem Kontinent für viele Arbeitslose und bröselnde Brücken gesorgt. Es ist klar, dass er dringend renoviert werden muss. Aber: Mit milliardenschweren Sanktionen wurde bislang stets nur gedroht, verhängt wurden keine. Und das ist auch gut so: Bestrafte „Sünder“ würden noch renitenter, europafeindliche Kräfte gestärkt.

Im Jahr 2016 kamen so auch Spanien und Portugal mit Drohungen davon. Strafen hätten die Länder noch weiter in den Abgrund getrieben. Dabei hatte Spanien ein Haushaltsdefizit von 5,1 Prozent der Wirtschaftsleistung erzielt, Portugal kam auf 4,4 Prozent. Nun plant der widerborstige Bengel namens Italien ein Defizit von 2,4 Prozent. Zu viel, aber die Kommission riskiert, dass ihr ganz Europa um die Ohren fliegt, wenn sie den Streit mit Rom eskalieren lässt.

Wer glaubt, eine politische, eine harte Strafe gegen die populistische Regierung wäre gut, liegt völlig falsch: Auch für die eher ungeliebten Kinder müssen dieselben Regeln wie für alle gelten. Deshalb hat Brüssel – relativ weise – ein Defizitverfahren nur angedroht: Zeigefinger hoch, strikterer Ton, aber Geduld – und noch keine Strafen. Kippt die Stimmung im drittstärksten Euroland vollends, ist die Währungsunion Geschichte.

Fatal deshalb das fehlende Fingerspitzengefühl in Brüssel: Man handele „im Interesse der italienischen Bürger“, hieß es von der EU. Das paternalistische Wording hat die Lega natürlich gefreut: Ihr Vizepremier Matteo Salvini ätzte über die „Weihnachtsmänner“ in Brüssel. Kluge Eltern reagieren auf solche Bemerkungen: am besten gar nicht.

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Kai Schöneberg
Ressortleiter Wirtschaft und Umwelt
Hat in Bonn und Berlin Wirtschaftsgeschichte, Spanisch und Politik studiert. Ausbildung bei der Burda Journalistenschule. Von 2001 bis 2009 Redakteur in Bremen und Niedersachsen-Korrespondent der taz. Dann Financial Times Deutschland, unter anderem als Redakteur der Seite 1. Seit 2012 wieder bei der taz als Leiter des Ressorts Wirtschaft + Umwelt, seit August 2024 im Sabbatical.
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13 Kommentare

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  • Rom zeigen, was eine Harke ist

    Zitat: „Europas neoliberaler Sparwahn hat auf dem Kontinent für viele Arbeitslose und bröselnde Brücken gesorgt. Es ist klar, dass er dringend renoviert werden muss. Aber: Mit milliardenschweren Sanktionen wurde bislang stets nur gedroht, verhängt wurden keine. Und das ist auch gut so: Bestrafte „Sünder“ würden noch renitenter, europafeindliche Kräfte gestärkt.“

    Dieser erfrischend quergebürsteten, dafür um so plausibleren Argumentation von KAI SCHÖNEBERG ist nicht zu widersprechen. Diese autoritäre Politpädagogik der EU-Kommission wäre nicht nur politisch gefährlich für den Fortbestand der Gemeinschaft, sondern für Italien selbst wirtschaftlich eher kontraproduktiv. Brüssels Folterinstrumente gleichen der Absicht der Feuerwehr, den Brand mit Benzin zu löschen.

    Unmittelbar nach der Finanzkrise 20008 betrug in Italien das Defizit zum BIP 5,27 %, um dann bis 2016 kontinuierlich auf 2,44 % zu sinken. Im selben Rhythmus halbierte sich das Pro-Kopf-Defizit des Landes von 1405 € (2009) auf 673 € (2016). (Quelle: Eurostat). Diese Zahlen beweisen, daß ein Defizit von 2,4 % vom BIP sehr wohl dem Schuldenabbau zuträglich sein kann, weil somit die Leistungskraft der Wirtschaft und damit die Schuldendienstfähigkeit des Landes nicht vollends stranguliert wird, ganz im Gegensatz zu Griechenland, wo die Pistole des Primärüberschußforderung an der Schläfe zur Verdopplung der griechischen Staatsschulden seit der Finanzkrise 2008 führte.

    Daraus folgt: Das Tamtam in Brüssel folgt mithin weniger einer ökonomischen Rationalität als ersichtlich einer disziplinierenden politisch-pädagogischen Agenda, der aufmüpfigen Regierung in Rom zu zeigen, was eine Harke ist - und sei es um den Preis einer Strangulierung der Wirtschaft. Brüssel pokert sehr hoch, denn in der Tat: „Die Kommission riskiert, dass ihr ganz Europa um die Ohren fliegt, wenn sie den Streit mit Rom eskalieren lässt.“ (Schönberg), ökonomisch wie politisch.

  • Den selbsternannten EU-Wächtern ist klar, dass Italien eine andere Nummer als Griechenland ist. Italien konnte ähnliche Konflikte in anderen Ländern beobachten. Es hatte lange Zeit neoliberale Programme zu ertragen und die Folgen auszubaden. Italien hat seine Schlüsse daraus gezogen und ist ein Schwergewicht - dumme Sache für die EU-Bürokraten.

    Und nun wirds spannend. Zumindest die Lega ist rechts. Bisher hatten neue rechte Parteien wenig Probleme mit neoliberalen Ideen, im Gegenteil - das Recht des Stärkeren ist in beiden Lagern das zentrale Prinzip. Bei AfD oder FPÖ reicht ein Blick ins Programm oder zur Führungsspitze, beide Parteien können mindestens als nationalliberal bezeichnet werden. Sie sind aber nicht nationalsozialistisch, auch wenn einige Vertreter damit kokettieren.

    Jetzt kollidiert aber der neoliberale Herrschaftsanspruch mit nationalen Interessen, die auch vertreten werden. Setzt sich Italien durch, kann das anderen rechten Parteien weiteren Zulauf bescheren (endlich mal welche, die den EU-Bürokraten zeigen, wo's langgeht), auch wenn die 5 Sterne nicht rechts sind, es wird der Lega zugeschrieben, die sind lauter. Setzt sich die EU-Bürokratie durch, könnten sich in rechten Parteien die Konflikte zwischen Neoliberalen und Nationalisten verschärfen. Interessant, denn beide Gruppen - Grundprinzip Recht des Stärkeren - sind rechts. Der lange Zeit hohe Anteil Nazis in der FDP deutet darauf hin, die AfD hat den Konflikt seit ihrer Gründung. Die Auflösung des Konflikts unter Beibehaltung beider Strömungen kann in USA und China beobachtet werden: Abschottung nach außen. Keine Unterordnung oder Eingliederung in irgendeine äußere Instanz. Stattdessen Etablierung von externen, vorwiegend wirtschaftlichen Abhängigkeiten zur eigenen Nation. Kriege, mindestens Handelskriege.

    Die Versuchung für die EU-Finanzkrieger wird groß sein, ihren Herrschaftsanspruch wie üblich durchzudrücken. In diesem Fall aber können sie nur verlieren. Außer sie unterstützen Italien.

    • @uvw:

      "Sie sind aber nicht nationalsozialistisch, auch wenn einige Vertreter damit kokettieren..."

      Nach dem Maßstab... was muss einer bei Ihnen machen um nationalsozialistisch zu sein? Menschen in Güterwagen pferchen?

    • @uvw:

      Klasse Kommentar!

  • umso absurder, wel die smarten oekonomen aus bruessel ja eigentlich wissen sollten, dass sie nur drohen koennen, aber mit diesen albernen drohungen die staatsschulden italiens erhoehen und die finanzmaerkte destabilisieren

  • Ich hörte gerade auf NDR INFO es gab schon öfter solche Defizitverfahren. So gegen Spanien und Frankreich. Das Verfahren gegen Spanien wurde auf Drängen des Finanzminister Schäubles eingestellt, weil in Spanien ein Freund der CDU Finanzminister war. Die EU macht sich mit diesem Verfahren nur lächerlich. Ich persönlich finde es gut, dass Italien nicht den Sparkurs übernimmt. Die Sparpolitik dieser EU führt ins Nichts. Italien handelt richtig, nur leider ist der italienische Finanzminsiter kein Freund von Herrn Scholz.

    • @Wilfried Bergmann:

      und wenn's schief läuft stellen wir in Frankfurt n Schredder auf für die italienischen Schrottpapiere die Draghi in unser Namen gekauft haben und rufen laut: Man kann Geld ja nicht mit ins Grab nehmen. Juchee

  • Der Autor erwähnt nicht, dass Italien immer noch unter den in den Defizitkriterien festgelegten 3% liegt. Dass sich neue Regierung nicht an die Absprachen der alten hält? Kein Wunder, wenn sie andere Vorstellungen vom Wirtschaften hat. Soll jetzt Brüssel die Innenpolitik im Osten und im Süden diktieren?

    • @agerwiese:

      da man inzw. auch in der EU kapiert hat das des mit den 3% kein hinreichendes Kriterium ist, wird auch der existierende Schuldenberg heute mit bewertet...



      Aber wie immer ist es schwer komplexe Sachverhalte auf Satzlänge um zu brechen

  • nun, die Kommision hat nicht die Elternrolle und Italien ist nicht der verzogene Bengel.



    Die italienische Regierung hat den Vorteil gewählt zu sein, die Kommission ist weit davon entfernt irgend eine Art von Legitimation zu haben.



    Eher ist sie eine Marionette der "Nordländer" und ganz besonders von uns, D.



    Eine Union in der einige Länder, durch ihre wirtschaftliche Stärke ihre Ideologie durchdrücken können, egal was das für reale Auswirkungen das hat, muß dringend auf den Kopf gestellt werden. Es ist keine Union.



    An Schulden ist noch kein wirtschaftlich potentes Land zu Grunde gegangen, siehe Japan mit über 200%, die kleinen wirtschaftlich abhängigen Länder die leiden darunter von den Aktienmärkten herumgeschubst werden zu können und hinterher noch vorsintflutliche Erziehungsmaßnahmen a la IWF aufgebrummt zu bekommen. Denn wer sich schubsen lässt, muß ja irgendetwas falsch machen, da helfen nur Zucht und Strenge, damit neue Stärke entsteht.



    Von diesen Zuständen ist die EU weit entfernt, wenn ein Herr Draghi sagt, der Euro wird gerettet, dann passiert genau das. Und wenn ein Herr Draghi sagt, jetzt ist es aber zu viel des Guten, 2,6% sind immerhin noch 0,4% unter 3% Neuverschuldung, dann sind die Kettenhunde frei, aber das nennt sich dann die Weisheit der Märkte...

    • 7G
      75064 (Profil gelöscht)
      @nutzer:

      Ich stimme im Grundsatz zu; m.E. geht es hier jedoch nicht um Nordländer gegen Südländer, sondern um die Fortsetzung des Neoliberalismus im Bereich "Senkung der Sozialstandards".



      Wäre die Höherverschuldung erforderlich um irgendeine Bank zu "retten" gäbe es kein Defizitverfahren sondern vielmehr Unterstützungsleistungen.

      • @75064 (Profil gelöscht):

        Richtig, es geht in Wahrheit darum, sozialpolitische Maßnahmen im Sinne der Neoliberalen Ideologie zu unterbinden. Austeritätspolitik hat in der EU nur Unheil angerichtet. Ökonomisch handeln die Italiener richtig. Dass es ausgerechnet eine Regierung ist unter Beteiligung der Rechten, sollte Anlass sein, einmal richtig darüber nachzudenken, was die EU wirklich problematisch macht. Dazu gehört auch die Frage der demokratischen Legitimation einer Kommission.

    • @nutzer:

      wenn nicht Italien im Maschinenbau der zweitgrößte Kunde wäre und wir ganz sicher keine finanziellen Einbußen hätten, dürfen die von mir aus machen was se sollen.

      Aber hier hängen von denen Arbeitsplätze ab und über Draghis Aufkauf von Schundpapieren haften wir Deutsche mit min. 2 stelligen Milliardenbeträgen für Italien!

      Die haben zu spuren - keine Diskussion!