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Historiker über die NovemberrevolutionDie Rettung der Revolution

Robert Gerwarth und Wolfgang Niess suchen nach dem Positiven in der Novemberrevolution 1918. Sie begründete, was wir heute sind.

Soldaten sammeln sich während der Novemberrevolution 1918 in München Foto: dpa

Geschichte als Spiegel zu nutzen ist üblich. Die Mächtigen versorgen sich mit Tradi­tions­linien, die ihre Herrschaft nicht willkürlich, sondern aus der Vergangenheit wohlbegründet erscheinen lassen. Das ist banal, aber wirksam. Der November 1918 ist ein exemplarisches Beispiel für diese Mechanik. In der Hochzeit des Kalten Krieges herrschte in Ost und West ein komplementäres Bild.

In der DDR-Geschichtsschreibung hatte die SPD die Revolution verraten, die wahren Revolutionäre ermorden lassen, deren Ideale nun die SED verwirklicht hatte. In der Adenauerrepublik galt, dass Ebert und Scheidemann Deutschland vor dem Bolschewismus gerettet hatten. Beide Deutungen spiegelten in 1918 die eigene Position im Kalten Krieg wider und teilten eine gehörige Überschätzung der Möglichkeiten der KPD.

In der Bonner Republik war die Novemberrevolution zudem immer Teil eines Selbstversicherungsdiskurses. Man wollte sich in sicherer Distanz zu Weimar wissen. So sahen viele im 9. November 1918 die Katastrophe von 1933. Joachim Fest setzte 1968, zum 50. Jahrestag im Spiegel, das Wort Novemberrevolution sogar in Anführungszeichen. Das Ganze sei nur „ein wirrer, aus Erschöpfung und Depression herrührender Militärstreik gewesen, keine Erhebung, sondern ein Zusammenbruch“.

Der 9. November erschien damals vielen als trostloses Symbol der defizitären deutschen Geschichte. Die Unsicherheit, wie stabil die Bonner Demokratie sei, wurde auf den 9. November zurückgespiegelt. Weimar wurde zur „Negativmatrize“ der Bundesrepublik, so Robert Gerwarth.

Skeptischer Rückblick

Die Idee, dass 1918 keine ordentliche Revolution war, ist in der historischen Forschung lange ad acta gelegt. Nach 1968 zeigten Historiker mit viel Schwung, dass die Arbeiter- und Soldatenräte keine linksextremen Putschisten waren, sondern die vitalen Herzkammern der Revolution bildeten. Im öffentlichen Bewusstsein hielt sich indes das verächtliche Bild einer bloß halben Revolution, das seit Längerem solidem Desinteresse gewichen ist.

Robert Gerwarth , ein jüngerer deutscher Historiker, der in Dublin lehrt, nennt seine Studie fast trotzig „Die größte aller Revolutionen“. Der Titel ist ein Zitat Theodor Wolffs, des liberalen Journalisten, der am 10. November 1918 den Aufstand gegen den Wilhelminismus in einem Leitartikel mit der englischen Revolution 1688 verglich und enthusiastisch schrieb, dass „niemals eine so fest gebaute, mit soliden Mauern umgebene Bastille in einem Anlauf genommen wurde“.

Gerwarth öffnet den Blick klug über die politische Ereignisgeschichte hinaus. Deutschland war 1919 die erste Industrienation, in der Frauen wählen konnten – in Großbritannien, bewunderter Heimat der Demokratie, war das erst 1928 der Fall, in Frankreich, bewunderter Heimat der Revolution, erst 1944. Auch die „größeren sexuellen Freiheiten“ nach 1918, die begrenzt auch für Schwule und Lesben galten, wären im Kaiserreich unmöglich gewesen.

Der Untergang 1933 war nicht Teil der DNA der Weimarer Republik

Das sind sympathische, überzeugende Argumente – allerdings spiegeln sie unser gesellschaftliches Selbstbild 2018 ebenso wider wie der skeptische Rückblick auf Weimar zu Zeiten der Bonner Republik.

Sehnsuchts- und Schreckbild

Gerwarths zweites Schlüsselargument lautet: Der Untergang 1933 war nicht Teil der DNA der Republik. Sie war nicht schwach, sondern widerstandsfähig und überstand Inflation und Putschversuche und somit Angriffe, denen die Bundesrepublik nie ausgesetzt war. 1918 und die Weimarer Republik an den Siegerstaaten Frankreich und Großbritannien zu messen, führt in die Irre.

Die Novemberrevolution gelte es, so Gerwarth, mit den (Konter-)Revolutionen in Finnland, dem Baltikum und Ungarn zu vergleichen und, angesichts der dortigen Blutbäder, als ziviles Ereignis zu schätzen.

Die Bücher

Robert Gerwarth: „Die größte aller Revolu­tionen. November 1918 und der Aufbruch in eine neue Zeit“. Siedler Verlag, München 2018, 383 Seiten, 28 Euro

Wolfgang Niess: „Die Revolution von 1918/19. Der wahre Beginn unserer Demokratie“. Europaverlag, München 2017, 463 Seiten, 24,90 Euro

Auch die politischen Morde, von Luxemburg über Rathenau und Erzberger, waren, wenn man Irland oder Ungarn betrachtet, in den frühen 1920er Jahren eher typisch. „Verglichen mit den anderen Nachfolgestaaten ehemaliger Großreiche und den neuen demokratischen Staaten in Europa nach 1918 war die Weimarer Republik relativ stabil und ungewöhnlich langlebig“, so das Fazit.

Gerwarth gelingt es, in kompakter Form den ganzen Prospekt von Problemen sichtbar zu machen – von der Oktoberrevolution 1917 als Sehnsuchts- und Schreckbild bis zum Versailler Vertrag, den er originellerweise positiver liest, als es in Deutschland noch immer üblich ist. Die Schwäche dieser Darstellung ist die unscharfe Schilderung der Revolution. Obwohl auch Gerwarth den Einfluss der KPD für gering hält, erscheint die Angst von Ebert und Scheidemann vor einer totalitären Revolution schlüssig.

Allzu devot

Immerhin habe Lenin 1917 gezeigt, dass „eine kleine Gruppe entschlossener Berufsrevolutionäre“ reichte, um die Macht zu erobern. Lenins Sieg aber war das Echo der Unfähigkeit der russischen Sozialdemokraten, den Krieg zu beenden – das ist ein Unterschied ums Ganze. Zudem war die KPD anfänglich gerade keine Kadertruppe von Berufsrevolutionären, sondern ein eher spontan agierender Verbund von Linksradikalen.

Das Drama der Revolution war die fatale Dynamik 1919 zwischen Eberts MSPD, die allzu devot den alten Eliten gegenüber war, und den Linksradikalen, die hilf- und besinnungslos versuchten, die Oktoberrevolution nachzuinszenieren. Das kommt bei Gerwarth zu kurz.

taz am wochenende

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All das findet man, souverän und mit Augenmaß geschildert, in „Die Revolution von 1918/19“ von Wolfgang Niess, einer dichten, umsichtigen Schilderung der Akteure und Abläufe. Man begreift hier Horizont und Möglichkeiten, in denen sich Ebert und Scheidemann bewegten, versteht den Mangel an strategischem Weitblick der USPD, die 1918 voreilig die Regierung verließ und Noske die Tür öffnete.

Niess beschreibt all das verständig – doch bei allem Verständnis bleibt der Befund, dass die MSPD 1919 den falschen Feind mit den falschen Verbündeten bekämpfte. Es war die übersteigerte Angst vor dem Bolschewismus, der die ängstliche SPD in den Teufelspakt mit den rechtsextremen Freikorps trieb. Niess’ Resümee: „Es hätte manches besser laufen können – es hätte aber auch schlimmer können kommen.“

Gesellschaftlicher Liberalisierungsschub

Denn es gab keine Hungerkatastrophe, die meisten Soldaten gingen friedlich nach Hause, und trotz der barbarischen Gewalt der Freikorps hätte „der Bürgerkrieg noch weitaus katastrophalere Ausmaße annehmen können“.

All das ist bekannt, aber es muss immer wieder erzählt werden. Zu erforschen wäre noch, was Gerwarth antippt, inwieweit der 9. November 1918 einen gesellschaftlichen Liberalisierungsschub auslöste.

Was fehlt, ist eine Erzählung, die einleuchtend vor Augen führt, dass diese Revolution begründete, was wir heute sind. Niess’ Untertitel lautet „Der wahre Beginn unserer Demokratie“. Es ist kein Zufall, dass diese Zeile, wie Gerwarths Titel, wie eine Beteuerung und trotzige Behauptung klingt.

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6 Kommentare

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  • Einmaliger Vorgang

    "Die deutsche Revolution von 1918 war eine sozialdemokratische Revolution, die von sozialdemokratischen Führern niedergeschlagen wurde: ein Vorgang, der in der Weltgeschichte kaum seinesgleichen hat." (Sebastian Haffner, "Die deutsche Revolution 1918/1919")

  • Wenn Joachim Fest Spiegel 45/1968 über die "Novemberrevolution" schreibt :"Das Ganze sei nur „ein wirrer, aus Erschöpfung und Depression herrührender Militärstreik gewesen, keine Erhebung, sondern ein Zusammenbruch“, klingt das nach Echo Diktion Oberster Heeresleitung Hindenburg/Ludendorff in Spa/Belgien Oktober 1918, die für die Westfront ultimativ Waffenstillstand vom Deutschen Reichstag forderte, weil die Heimatfront zusammen gebrochen, das Heer sich in Auflösung befand, gleichzeitig aber über verdeckte Absetzbewegungen des Heeres von der Westfront Richtung Ober Ost Ukraine ein militärisch brutales Eroberungs- , Besatzungs- , Zwangsarbeit Regime mit KZs etablierte, weil die Bolschewisten Moskau Lieferbedingungen aus dem Friedensvertrag Brest-Litowsk Januar 1918 nicht erfüllten.Dass organisierte Erhebungen kaiserlicher Marine in Wilhelmshafen, Kiel durch Soldatenräte die Novemberrevolution 1918 auslöste, anders als bei bürgerlichen Revolution in Russland Februar 1917 nicht für Fortsetzung des Krieges, sondern für Frieden stand, macht sie zur bedeutenden Revolution des 20. Jahrhunderts, den politischen Pazifismus auf die weltpolitische Agenda zu setzen. Das haben heimkehrende Frontkämpfer, posttraumatisierte Söhne des Krieges wie Adolf Hitler als Schmach nie verwunden, außer diese würde revidiert, den Krieg als Fortsetzung jedweder Politik mit militärischen Mitteln zu bewahren. Damit die Deutsche Novemberrevolution 1918 nicht in den USA, United Kingdom, Irland, Frankreich, Italien den Ruf nach Revolution im Namen politischem Pazifismus stiftet, wurde die Weimarer Republik 1919 in Versailles als Nachfolgestaat Deutschen Kaiserreichs zum Alleinschuldner am 1. Weltkrieg mit populistischer Verheißung für das Volk daheim erkoren, es würde an deutschen Reparationen gesunden.







    Joachim Fests Diktion lässt sich gleichermaßen irrig auf die 68er Kriegskinder Anti-Vietnamkriegsbewegung münzen, wirr, erschöpft, beraten, verladen, himmelhochjauchzend zu Tode betrübt.

  • Von der Kleidung (und den weiß-blauen (?) Armbinden) her scheint mir das Foto eher Angehörige der freikorps aus dem bayrischen Oberland zu zeigen.

  • Ach was! (Loriot!;)

    ”Was fehlt, ist eine Erzählung, die einleuchtend vor Augen führt, dass diese Revolution begründete, was wir heute sind. Niess’ Untertitel lautet „Der wahre Beginn unserer Demokratie“. Es ist kein Zufall, dass diese Zeile, wie Gerwarths Titel, wie eine Beteuerung und trotzige Behauptung klingt.“

    Nu. Einfach mal z.B. den Altmeister - Sebstian Haffner - Newahr.



    (& nicht! abgefeimte Geschicktsklitterer vom Schlage eines Joachim Fest!;( et al.



    Lesen - Sich zu Gemüte führen etc - kerr!;)



    Normal.



    & Däh!



    de.wikipedia.org/wiki/Sebastian_Haffner



    &



    de.wikipedia.org/wiki/Der_Verrat



    &



    de.wikipedia.org/w...te_eines_Deutschen



    &



    (Germany. Jekyll and Hyde - unter dem Pseudonym Sebastian Haffner.)



    Germany: Jekyll & Hyde - 1939 - Deutschland von innen betrachtet



    &



    de.wikipedia.org/w...erkungen_zu_Hitler



    & ff

    Das sollte mal reichen & Nur Mut. Das wird.



    &



    btw - Danke. Aber was ein verstört-verdruckstes Rumgeeier - wa!



    Aber vom Feinsten. Nich to glöben. Normal. Liggers.



    & nochens & nicht nur btw!



    unterm———da war die taz mal —ja ja—lang vor Verdiekmannisierung!



    “Anmerkungen über das Herumhitlern



    Naturalismus für Doofe: In und mit Bruno Ganz entdecken die Deutschen „den Menschen Adolf Hitler“ by Wiglaf Droste



    www.taz.de/!697879/

  • Die Novemberrevolution hat das Kaiserreich gestürzt, den Krieg beendet, die Republik und die parlamentarische Demokratie eingeführt. Könnte für die progressiven Bewegungen in Deutschland ein stolzes Erbe sein. Habe mich immer gewundert, warum das nicht mehr geschieht. Vielleicht den Linken nicht links genug und für alle anderen Demokraten von der entsetzlichen Niederlage der progressiven Kräfte 1933 überschattet. Aber warum nicht heute von diesen positiven Meilensteinen lernen?