Neue Proteste in Köthen: Bürger sollen Jalousien runterlassen
In Köthen rufen rechte und rechtsextreme Gruppen am Sonntag zu neuen Protesten auf. Politik und Hochschule raten davon ab, in die Stadt zu gehen.
Die Warnung ist deutlich. „Wir bitten um Vorsicht“ schreibt die Leitung der Hochschule Anhalt. Sie empfiehlt ihren Studierenden auf ihrer Homepage, am Sonntagnachmittag in Köthen „großzügig Straßenbereiche zu meiden“. Die Nummer einer eigenen Hotline und die der Polizei werden gleich mit angegeben. Der Grund „potentiell gefährliche Demonstrationen“.
Am frühen Sonntagabend wollen mehrere rechte Gruppen in der Kleinstadt in Sachsen-Anhalt aufmarschieren. Knapp 2.000 ausländische Studierende sind dort an der Hochschule mit ihren drei Standorten Bernburg, Dessau und Köthen eingeschrieben.
Nachdem am vergangenen Sonntag organisierte Rechtsextreme erfolgreich zu einer spontanen Demonstration in Köthen aufgerufen hatten, versuchen nun auch weitere Gruppen, von der AfD über Pegida bis in die neonazistische Kameradschaftsszene, den Tod von Markus B. zu instrumentalisieren, der in Köthen ums Leben kam.
Der 22-Jährige soll versucht haben, einen Streit zwischen mehreren Afghanen zu schlichten. Zwei von ihnen sitzen in Untersuchungshaft. Laut eines Obduktionsberichts starb B., der eine Herzerkrankung hatte, an einem Herzinfarkt. Vorangegangen war dem aber offenbar eine Auseinandersetzung auf einem Spielplatz in Köthen.
Innenminister empfiehlt, die Augen zu verschließen
Am Freitag hatte der Rechtsmediziner Rüdiger Lessig in Halle die Todesursache bekannt gegeben und erklärt, das B. von Geburt an einer Fehlbildung des Herzens litt: „Er war schwer krank und wir müssen aus medizinischer Sicht sagen: Es hätte bei ihm jederzeit zu einem Herzinfarkt kommen können.“
Bereits am vergangenen Sonntag, wenige Stunden nach dem Tod des Mannes, hatte zunächst die Kirche in Köthen zu einer Trauerandacht gerufen, dann auch der Bürgermeister des Ortes. Beide riefen dazu auf, den Tod des Menschen nicht zu instrumentalisieren. Am vergangenen Sonntagabend dann hatten rechte und rechtsextreme Gruppen zu einem „Trauermarsch“ in Köthen aufgerufen, dem sich nach – großzügig geschätzten – Polizeiangaben bis zu 2.500 Menschen anschlossen, unter ihnen hunderte offen Rechtsextreme. In Redebeiträgen ging es um die Asyl- und Einwanderungspolitik. Ein Redner sprach von einem „Rassenkrieg gegen das deutsche Volk“ und rief dazu auf, „von Tür zu Tür“ zu gehen, um sich zur Wehr zu setzen. Gegen ihn und weitere Redner ermittelt die Polizei inzwischen wegen Volksverhetzung.
„Getötet, verleugnet, vergessen – wie oft noch?“ heißt es nun im Aufruf zu den neuerlichen Protesten in Köthen, die für Sonntagabend geplant sind. Die Aktion wird getragen von rechten und rechtsradikalen Initiativen wie Pegida, dem nationalistischen Magazin „Compact“, der Bewegungen „Ein Prozent“ und „Zukunft Heimat“. Diese seien nicht bereit, die „Kollateralschäden eines fatalen Gesellschaftsexperiments in Kauf zu nehmen“, so das Bündnis, das auch aus der AfD unterstützt wird. Trauer hört sich indes anders an.
In einen Interview hat Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) den Bürger in Köthen unterdessen empfohlen, heute abend zu Hause zu bleiben und die Rolladen herunterzulassen. „Nicht, weil wir die Sicherheit nicht gewährleisten können, sondern um ein Zeichen zu setzen, dass man die nicht sehen will“, sagte er der Mitteldeutschen Zeitung.
Rechts sollen nur die anderen sein
In der Empfehlung schwingt die Annahme mit, das aus der Stadt selbst keinen rechten Personen anlässlich des Todes von B. agieren würden. Das ist eine Wahrnehmung, die von einem breiten Bündnis gegen den Aufmarsch so nicht geteilt wird.
Mehrere Initiativen, unter anderem „Halle gegen Rechts – Bündnis für Zivilcourage“, das „Bündnis Dessau Nazifrei“ und das „Bündnis Querfurt für Weltoffenheit“ haben unter dem Motto „Den extremen Rechten entgegentreten – für eine offene und plurale Gesellschaft“ zum sichtbaren Gegenprotest aufgerufen. Im Aufruf, den auch Grüne und Linke unterstützen, heißt es: „Jede weitere Verharmlosung der Ereignisse eröffnet der extremen Rechten weitere Spielräume, jede weitere Relativierung verhindert zu verstehen, was sich hier gesellschaftlich und politisch entwickelt.“
Das Bündnis stört sich daran, dass die hohe Beteiligung der Rechtsextremen in Stadt- und Landespolitik herunter geredet würde. Die Aktionen würden von diesem Personenumfeld dominiert. „Dass sich an den Aufmärschen auch Bürgerinnen und Bürger beteiligt haben, die sich selbst nicht der rechtsextremen Szene zugehörig fühlen, macht die Aufmärsche nicht weniger gefährlich“ , heißt es so auch in dem Aufruf. Zum erwarteten Zulauf der Demonstrationen wollte die Polizei bisher keine Angaben machen.
Von den Ereignissen in Köthen berichtet taz-Reporter Martin Kaul heute im Livestream via Periscope und auf Twitter
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