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Analyse zur Neonazi-Demo in KöthenLauwarme Hetz-Stimmung

Andreas Speit
Kommentar von Andreas Speit

Beim Naziaufmarsch in Köthen ging es weniger aggressiv zu als an den Vortagen. Das dürfte an der Enttäuschung über die „wenigen“ Teilnehmer liegen.

Sucht noch die Blickrichtung: Teilnehmer des Aufmarsches am Sonntag Foto: dpa

D as Wort fällt nicht. Über den Aufmarsch in Köthen sprechen die Veranstalter lieber von einem weiterem Erfolg, statt von Enttäuschung. Doch am Sonntagabend mobilisierte das breite Rechtsbündnis von „Kandel ist überall“, Pegida, „Compact – Magazin für Souveränität“, „Ein Prozent“ und „Zukunft Heimat“ nicht die erhofften Volksmassen für den Umsturz. Knapp 1.400 vermeintlich besorgte Bürger, militante Rechtsextreme und gewaltaffine Hooligans waren ihrem Aufruf gefolgt, in der anhaltinischen Stadt gegen die Asyl- und Einwanderungspolitik „der Merkel“ zu demonstrieren.

Der Abend dürften die Veranstalter jedoch enttäuscht haben. Obwohl bundesweit mobilisiert wurde, war um 18 Uhr auf dem Marktplatz von Köthen sichtbar: Sie waren hier schon mal mehr auf den Straßen. Von der Bühne versuchten der Chef von „Zukunft Heimat“, Hans-Christoph Berndt oder der Chefradakteur der Rechtsaußen-Zeitschrift „Compact“ Jürgen Elsässer dennoch die Stimmung anzuheizen.

Eine Schweigeminute für den in Köthen nach einer Auseinandersetzung mit zwei Afghanen an einem Herzinfarkt gestorbenen Markus B. überdeckt nicht, das es den Organisatoren nach jedem tragischen Tod, nach jedem sexuellen Übergriff durch einen Geflüchteten vor allem darum geht, dass Merkel „weg muss“ und „wir“ das „Volk“ seien. Diese Parolen skandierte die Menge auch an den gewünschten Stellen; und auch „Widerstand, Widerstand“. Die Stimmung wurde allerdings nicht so aggressiv wie an anderen Tagen.

Diese Zurückhaltung lag nicht daran, dass die besorgten Bürger den Marsch dominierten. Es waren durchaus militante Rechtsextreme und gewaltaffine Hooligans, die die Szenerie beherrschten. Die Veranstalter distanzierten sich offiziell von gewaltbereiten Extremisten, doch beschäftigten Ordner aus genau diesem Spektrum. Dass dieses Klientel nicht wieder Geflüchtete, Gegendemonstranten und Journalisten anging, dürfte der Atmosphäre geschuldet sein. Der vergleichsweise geringe Zulauf bremste ihre Euphorie.

Bemerkenswert war Elsässers Appell, dass die AfD sich als parlamentarischer Arm in dieser Bewegung einreihen sollte, sich nicht distanzieren dürfe. Die Menge feierte einen Redner und etliche Landtagsabgeordnete der Partei vor Ort. Im Vorfeld war aus Landes- und Stadtpolitik aufgerufen wurden, sich nicht an den Gegenprotesten zu beteiligen.

Dass es dann doch nur 900 Demonstranten waren, die den alten und neuen Rechten nicht die Straße überlassen wollten, muss man als vertane Chance ansehen – in Zeiten, in denen Rechte enttäuscht sind, dass nur 1.400 Gleichgesinnte ihnen folgten.

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Andreas Speit
Autor
Rechtsextremismusexperte, Jahrgang 1966. In der taz-Nord schreibt er seit 2005 die Kolumne „Der Rechte Rand“. Regelmäßig hält er Vorträge bei NGOs und staatlichen Trägern. Für die Veröffentlichungen wurde er 2007 Lokaljournalist des Jahres und erhielt den Preis des Medium Magazin, 2008 Mitpreisträger des "Grimme Online Award 2008" für das Zeit-Online-Portal "Störungsmelder" und 2012 Journalisten-Sonderpreis "TON ANGEBEN. Rechtsextremismus im Spiegel der Medien" des Deutschen Journalistenverbandes und des Ministeriums für Justiz und Gleichstellung des Landes Sachsen-Anhalt. Letzte Bücher: herausgegeben: Das Netzwerk der Identitären - Ideologie und Aktionen der Neuen Rechten (2018), Die Entkultivierung des Bürgertum (2019), mit Andrea Röpke: Völkische Landnahme -Alte Sippen, junge Siedler, rechte Ökos (2019) mit Jena-Philipp Baeck herausgegeben: Rechte EgoShooter - Von der virtuellen Hetzte zum Livestream-Attentat (2020), Verqueres Denken - Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus (2021).
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3 Kommentare

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  • Sie vergessen das am ersten Tag solcher Demos die überwiegende Mehrheit ganz normale Menschen demonstrieren dir nur gegen Gewalt sind. Die Nazis die mitmarschieren sind erstmal in der Minderheit und übernehmen erst danach die Szene . Die Menschen welche sie als besorgte Bürger verunglimpfen wollen nur keine Gewalt in den Städten, ist das Falsch? Wer diese Sorgen nicht ernst nimmt macht sich mitschuldig auf Aufstieg der AfD.

  • 9G
    91867 (Profil gelöscht)

    Als frei-denkerischer Mensch, der mit diesen ganzen Links-rechts-Schemata nichts anfangen kann, habe ich bereits mit den ersten TV-Bildern im September '15 gewusst: das gibt Probleme und zwar viel tiefer und nachhaltiger als die meisten das seinerzeit wahrhaben wollten. Mein Mißtrauen in alle Parteien ist seitdem noch größer geworden als es ohnehin bereits war. Eine Kanzlerin ohne Plan, eine Oppostion ohne Realitätsinn. Und dann wundern sich ernsthaft Menschen, dass die Leute sich einer Ein-Themen-Partei zuwenden. Die Probleme in unserer Gesellschaft in Europa, aber auch anderswo auf der Welt liegen IMHO viel viel tiefer. Rechts-/Linksradikale, Islamisten und co. sind SYMPTOMTRÄGER, aber nicht die Ursache. Es müssen erstmal die richtigen Fragen gestellt werden und das ist in Wahrheit gar nicht so einfach. Ich habe mir angewöhnt zu hinterfragen, wer profitiert von welchen Entwicklungen (es gibt nämlich immer Gewinner, sebst in Zeiten von Kriegen) und wieviel Einfluß haben diese Kreise auf was. Aus meiner Sicht müssen wir Bürger uns emanzipieren von jeglichen Dominanzansprüchen von Politik, Wirtschaft, Religion, Ideologie, Lobbys etc. Einer muss den Überblick und die Nerven behalten. Die Ausländer Raus - Brüller sind das genausowenig wie die Hypermoralisten, die regelmäßig an der Wirklichkeit scheitern.

    • @91867 (Profil gelöscht):

      Was sind denn Hypermoralisten ?



      Menschen, die sich konsequent ohne "wenn" und "aber" für Menschenrechte, Freiheit, Gleichberechtigung und Empathie für alle Menschen dieser Erde einsetzen?



      Klären Sie mich auf !