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Kommentar KlimapolitikWir müssen nur wollen

Barbara Junge
Kommentar von Barbara Junge

Merkel will das Klimaziel nicht anheben. Dabei gibt es genug Wissen, Experten und Technik, um es zu erreichen – es bräuchte nur eine Allianz.

Mülltrennung ist ja schön und gut – reicht aber nicht, um den Klimawandel zu stoppen Foto: unsplash/ Alfonso Nvarro

A lle Deutschen sind Mülltrenner, gefühlt jedenfalls. Fast zwei Drittel wollen keinen Strom aus Kohlekraftwerken. Und sie finden, dass die Bundesregierung zu wenig tut, um die Pariser Klimaziele zu erreichen. Die Hitze und das eigene Zutun zum Klimawandel lieferten zuletzt Diskussionsstoff am Strand oder im Freibad. Auch bei der Bürgersprechstunde der Bundesregierung war das Klima gerade ein dominierendes Thema. Und sogar Anne Will talkt über Bauern in Zeiten der Dürre.

Am Ende eines Sommers, der allen außer den Realitätsverweigerern der AfD die Erderwärmung als drängendstes Menschheitsproblem in Erinnerung gerufen hat, öffnete sich ein Fenster für eine andere Politik. Die Voraussetzungen für eine klimapolitische Offensive von und in Deutschland sind ideal. Die Bundesregierung, die diese Woche wieder ihre Arbeit aufgenommen hat, könnte jetzt einen umfassenden Klima-Aktionsplan auf den Weg bringen.

Aber Angela Merkel hat dieses Fenster mit aller Entschiedenheit gleich wieder zugeschlagen. Im ARD-„Sommer­interview“ lehnte sie es ab, mehr Ehrgeiz in der Klimapolitik zu entwickeln. „Im Moment“, sagte die Bundeskanzlerin, sei sie „nicht so glücklich“ über Vorschläge aus Brüssel, das Klimaziel von 40 auf 45 Prozent zu heben. Viele EU-Staaten erreichten doch schon die bis 2020 gesetzten Ziele nicht, merkelte die Kanzlerin. Als ob das die eigene Untätigkeit erklären würde. Als ob es diesen Sommer nicht gegeben hätte.

Die Union zumindest beschäftigt sich lieber mit der Frage, ob es falscher ist, mit der Linkspartei zu liebäugeln oder die AfD zu imitieren. Und die Spitze der Sozialdemokratie ist aus den Sommerferien mit der Erkenntnis zurückgekommen, dass ihr Parteinamen mit einem S beginnt.

Keine Lobby

Das Klima hat in keiner der Regierungsparteien eine Lobby. Man kann der SPD nun nicht guten Gewissens raten, sich den Klimaschutz als Markenkern zu verordnen. Aber die rasante Erderhitzung wartet nicht, bis die deutschen Parteien mit ihrer Selbstfindung fertig sind.

Im Hakeln von CDU und CSU, von Union und SPD, von Regierung und Opposition, von Industrie und Politik wird eher Tuvalu versinken als eine entschlossene Klimapolitik am Horizont aufsteigen. Dabei ist nicht weniger gefordert als sofortiges, mutiges und insbesondere gemeinsames Handeln. Wir brauchen den Umbau der Industriegesellschaft weg von Kohle, Öl und Gas, eine neue Gründerzeit voller Ideen für saubere Techniken, Energien und Produkte, genauso wie Hilfe für die bereits vom Klimawandel Betroffenen lokal wie global.

Das Klima kennt weder Parteibuch noch Grenzen. Was wir brauchen, ist eine Allianz

Aber dieser Aufbruch funktioniert nur in einer breiten Al­lianz von Regierung, Parteien, Institutionen und der Wirtschaft jenseits partei- und interessenpolitischer Schattenspiele. Denn das Klima kennt weder Parteibuch noch Grenzen.

Der Techniksoziologe Ortwin Renn postuliert, dass systemische Risiken wie die Erdüberhitzung permanent unterschätzt würden. Der Mensch nimmt nun einmal plötzlich auftretende Katastrophen viel intensiver wahr. Es ist deshalb die Aufgabe der gesamten Gesellschaft, das Bewusstsein zu fördern.

Jetzt ist der richtige Zeitpunkt dafür

Unternehmen brauchen klare Ansagen, was sie unter welchen Umständen auch in der Zukunft produzieren können; Menschen können überzeugt werden, dass anders leben nicht nur Verzicht, sondern auch Gewinn bedeuten kann. Und die Teile der Gesellschaft, die nicht überzeugt werden wollen, müssen reguliert werden.

Jetzt ist der richtige Zeitpunkt dafür. Jeder und jede kann im eigenen Alltag handeln. In der Hand eines und einer jeden liegt es auch, den notwendigen politischen Druck auf Regierung und Institutionen zu erzeugen. Die Bundesregierung könnte einen schnellen Ausstieg aus der Braunkohle beschließen, den die „Kohlekommission“ sozial abfedern muss; sie könnte in Brüssel bei neuen CO2-Grenzwerten für Autos nicht bremsen.

Sie könnte in der Reform der EU-Agrarpolitik auf mehr statt weniger Umwelt- und Klimaschutz drängen; sie könnte sich endlich ernsthaft um energieeffiziente Gebäude sorgen; sie könnte ihren eigenen Haushalt von umweltschädlichen Subventionen in Milliardenhöhe befreien. So würde Deutschland seiner Verantwortung als treibende Kraft gegen die Erderwärmung gerecht.

Es ist möglich, der Entwicklung eine andere Richtung zu geben. Wir haben das Wissen, die Experten, die Techniken und auch das Geld dafür. Wir müssen es nur wollen. Die Klimakanzlerin könnte mit einer Klima-Allianz Führung und Größe zeigen, wie sie es bei anderen Großkonflikten, der Ukraine-Krise oder auch den Iran-Verhandlungen getan hat – wenn sie nur wollte. Das hieße dann regieren statt reagieren.

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Barbara Junge
Chefredakteurin
taz-Chefredakteurin, Initiatorin der taz-Klima-Offensive und des taz Klimahubs. Ehemals US-Korrespondentin des Tagesspiegel in Washington.
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8 Kommentare

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  • Vielen Dank für Ihren Kommentar.



    Es freut mich sehr, dass Sie beabsichtigen, weiterhin regelmäßig zu informieren. Ich persönlich finde es übrigens gut, wenn manche Artikel länger sichtbar sind. Wiederholung ist doch auch das Funktionsprinzip von Werbung.



    Ohne Zeitungen wie die taz sähe es glaube ich düster in der deutschen Umweltberichterstattung aus.

    In Bezug auf den Slogan zu Merkel gebe ich Ihnen Recht. Ich wollte damit nur sagen, dass wir keine Hoffnungen in Merkels und Altmaiers Klimapolitik haben sollten und dass wir einen radikalen Politikwechsel brauchen.

  • Ich hoffe, dass die taz am Thema Klimawandel dranbleibt und TÄGLICH darüber schreibt. Die Medien spielen eine erhebliche Rolle an unserer momentanen Situation, wo sich beispielsweise darüber ausgeschwiegen wird, in welcher Größenordnung die globale Anzahl an Toten durch den Klimawandel sein wird. Bei der Kennzeichnung von Zigarettenschachteln mit Fotos von Gesundheitsschäden sind wir wesentlich weiter.



    Merkel muss weg, möglichst morgen schon. Wir haben einfach keine Zeit mehr zu verlieren, den Klimawandel aufzuhalten.



    Und: ES IST JETZT ZEIT, GEGEN DIE REGIERUNGSPOLITIK ZU DEMONSTRIEREN, in einem Umfang, der die Regierung zwingt, Ihr Konzept um 180 ° zu ändern.

    • Barbara Junge , des Artikels, Chefredakteurin
      @shashikant:

      Wir, besser unsere Redakteurinnen im Ressort Wirtschaft und Umwelt, sind täglich an dem Thema dran. Manchmal, sagen sie, haben sie aber den Eindruck sich zu wiederholen. Das stimmt natürlich auch. Schuld daran ist die Situation nicht die Berichterstattung.



      Nur den Slogan mit Merkel will ich nicht benutzen, der ist mit national-populistischer Ideologie aufgeladen. Wobei ich auch sehe, dass von ihr nicht das nötige kommen wird.

      • @Barbara Junge:

        Hallo Frau Junge,

        Merkel muss weg sage ich bereits seit dem 22. November 2005.

        Diese Frau wird nichts für den Klimaschutz unternehmen.

        Ich ändere doch nicht meine Meinung oder mildere sie ab nur weil jemand anders das gleiche aus anderen Motiven sagt. Damit wäre ich ja unglaubwürdig.

      • @Barbara Junge:

        Schon der mittelalterliche Sachsenspiegel drückte nicht nur das Recht, sondern gar die Pflicht des Einzelnen aus, die ungesetzlichen Handlungen der Obrigkeit zurückzuweisen.



        Und heute?



        Polizeistaat 200 jähriges Jubiläum…

        • @Günter Klein:

          Polizeistaat 200 jähriges Jubiläum…

          Können sie mir das erklären, ich weiß hier nicht was sie meinen.

  • 9G
    91503 (Profil gelöscht)

    Nach dem Neuland Internet, was inzwischen allgemein als drängendes Thema bekannt sein dürfte, gibt es ganz offensichtlich das Neuland Klimawandel.

    „Wir merke(l)n nichts. Ok, war schön warm im Sommer. Speiseeisindustriewirtschaftskonforme Politik.“

    Frau Merkel, ist es denn wirklich so wenig verlockend, endlich in den so sehr verdienten Ruhestand zu gehen?

    • @91503 (Profil gelöscht):

      Achje. Und wer kommt dann? Spahn? Höcke? Dobrindt? Weidel?

      Verstehen Sie mich nicht falsch: ich habe Frau Merkel nicht gewählt, ich würde sie auch jetzt nicht wählen. Aber schaut man sich die Stimmung im Land an, ist sie gerade zum Verzweifeln, nicht?

      OK, hochrappeln, nicht aufgeben :-)