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Debatte Kreativität zu politischen ThemenKnoten auflösen und modern regieren

Wie löst man Pflegenotstand, Wohnungsnot und Migrationsdruck in einer Win-win-win-Situation auf? Indem man kreative Synergien bündelt.

Läuft wie am Schnürchen, oder? Foto: imago/Westend61

T ief im Inneren der Regierungsmaschine herrscht Unbehagen darüber, dass im Schatten der Migrationskrise andere Aufgabenfelder der Koalition verblassen, namentlich der Pflegenotstand und die Wohnungsnot. In diesem Zusammenhang fand ein innerministerielles Papier, das uns zugespielt wurde, unser Interesse. Es handelt sich offenbar um Vorüberlegungen nachgeordneter Dienststellen und trägt die Überschrift „Strategische Synergien“. Wir dokumentieren es im Folgenden in Auszügen:

„Oberste Prinzipien deutscher Entwicklungspolitik sind Hilfe zur Selbsthilfe und die Entwicklung produktiver Beziehungen zwischen den Kontinenten (,Entwicklungshilfe ist keine Einbahnstraße'). So sind in den letzten Jahrzehnten von jedem Euro, den wir in Afrika investieren, rund 75 Cent zurückgeflossen. Dieses Arbeitspapier skizziert eine kreative Ergänzung beider Prinzipien und Möglichkeiten erweiterter Kooperation bei der Bewältigung transkontinentaler Engpässe.

In ersten Überlegungen haben wir mit Unterabteilungsleitern aus Wirtschafts-, Entwicklungs- und Gesundheitsministerium das Konzept einer Komplexen Und Multilateralen Programmierung Anhaltender, Nachhaltiger, Erweiterter Integration (KUMPANEI) entwickelt. So können wir aus systembedingten Strukturschwächen durch sinnvolle Synergien sichere und sanfte Sanierungsstrategien entwickeln. Im Folgenden verknüpfen wir damit drei aktuelle Engpässe des Regierungshandelns und stellen erste Überlegungen zu einen integrierten Lösungsstrategie an:

1. In Deutschland verschärft sich das Methusalemproblem: Die Pflege und Unterbringung älterer Mitbürger belastet schon jetzt die Haushalte – eine Verbesserung der Pflegeschlüssel und der generellen Ausgestaltung der Pflege ist aus Kostengründen unwahrscheinlich.

Mathias Greffrath

lebt als freier Autor für Print und Radio in Berlin. Er ist Herausgeber von „RE: Das Kapital – Politische Ökonomie im 21. Jahrhundert“ (Kunstmann, 2017).

2. Das Wohnraumproblem beruht zumindest teilweise darauf, dass ältere alleinlebende MitbürgerInnen nach dem Auszug der Kinder und dem Verscheiden von Partnern in ihren überdimensionierten Wohnungen bleiben.

3. Das Migrationsproblem entsteht nicht nur durch Asylbewerber und Kriegsflüchtlinge. In den nächsten Jahrzehnten werden Millionen von Eritreern, Somalis, Kenianern, Senegalesen nach Norden drängen, allein, um der Armut zu entkommen.

Diese drei Problemlagen – Pflegenotstand, Wohnungsnot und Migrationsdruck – ergänzen sich zu einer mehrdimensionalen Situation negativer Komplementarität.

Unterbringung auf afrikanischem Kontinent

Aber mit Hilfe kreativer Synergien könnte aus solchen negativen Triplebilanzen ein dreiseitiger Gewinn werden, der Haushalte entlasten und Humanität und Lebensqualität steigern kann:

Bürger, die altersschwach und einsam sind, leben hierzulande in Pflegeheimen, in denen bestenfalls auf zehn Alte ein Betreuer kommt, bei einem Durchschnittspflegekostensatz von 3.000 Euro. In ausgewählten Ländern des afrikanischen Kontinents wären die Kosten einer Unterbringung in Dorfgemeinschaften, Großfamilien und neu zu errichtenden Pflegestationen deutlich geringer. Bei den dortigen Lebensverhältnissen kostete die Rund-um-die-Uhr-Betreuung pro Kopf durch drei Pflegekräfte nach ersten groben Schätzungen pro Monat ca. 300 Euro, dazu noch ein Arzt pro zehn Pflegefälle, macht anteilig noch einmal 200, also 500 pro Kopf. Dazu kämen gewisse Kosten für die einmalige Anschaffung von Hardware (Betten) und Software (Bettwäsche) und die einmaligen Kosten für die Verbringung der Pflegeberechtigten in die Drittländer. Erste Modellrechnungen für einige zentralafrikanische oder westafrikanische Staaten ergeben unter dem Strich eine Kostensenkung von 66,3 % – und damit eine fundamentale Entlastung unserer Lohnnebenkosten.

Ein weiterer Gewinn bestünde darin, dass bei flächendeckender Implementierung des Programms Wohnraum in einer Größenordnung von mehreren Millionen Einheiten frei würde, und zwar vor allem in Ballungsgebieten, in denen das Fehlen der ländlichen Familiensolidarität einsam allein lebende Menschen im Übermaß produziert. Junge Familien fänden hier eine Basis für Existenzgründung und Familienwachstum.

Mehr Humankapital, also Menschlichkeit

Darüber hinaus wäre eine ganze Reihe beschäftigungs- und wachstumssteigernder Impulse zu erwarten: Unsere Bauindustrie könnte in den Zielländern nicht nur den Aufbau der dortigen Pflegeheime übernehmen, sondern auch Asphaltpisten für Geh-Hilfen und Rollstühle errichten. Arbeitslose Deutschlehrer können den eingeborenen Seniorenbetreuern und den Gastfamilien Intensivkurse geben. Nicht zuletzt würde der Flugtourismus einen gewaltigen Aufschwung erleben durch die zu erwartenden Reisen von Millionen von Kindern und Enkelkindern, die zu den christlichen Festen einen Badeurlaub mit einem Besuch bei den Altersmigranten kombinieren können.

Das Programm wird im Süden durch den Geldtransfer neuen Reichtum und millionenfache Beschäftigung schaffen. Das wird die Motivation zur Migration mindern. Und es wird unsere pflegebedürftigen Senioren mit mehr Humankapital durch die letzten Jahre begleiten, das heißt: mit mehr Menschlichkeit. Es würde Kontinente zusammenrücken lassen. Bei einer gesamteuropäischen Lösung könnte der Effekt erheblich größer sein; auch die Abwanderung der in den mittel- und osteuropäischen Ländern dringen benötigten Pflegekräfte in den zahlungsstärkeren Westen wäre damit zumindest abgeschwächt.

Insgesamt ergibt sich hieraus eine Win-win-win-Strategie. Ein solches Programm würde die Dynamik unserer solcherart verjüngten Gesellschaft und damit unsere Konkurrenzfähigkeit im Wettbewerb mit China und Indien steigern. Wir empfehlen, diesen Gedanken in einer innerministeriellen Arbeitsgruppe weiter zu bearbeiten. Für diese Gruppe schlagen wir den Namen „Humanes Alter Und Transformation Afrikanischer Beschäftigungsverhältnisse“ vor (HAUT AB).“

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10 Kommentare

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  • @KARTOFFELSKEPTIKER – Teil 1

    "…wir diskutieren offenbar jetzt schon ernsthaft darüber."

    Irgendwie schon…



    Wo ist denn Unterschied zu AlG2, Altersarmut (weibl. & männl.), prekäre Beschäftigung, Kolonialismus, Ausbeutung, usw., usw.?

    Jetzt werden eben die Alten abgeschoben. Nicht, weil sie wie die Migranten aus wirtschaftlichen Gründen zu uns kommen (weil wir ihnen alles weg genommen haben), sondern weil sie aus wirtschaftlichen Gründen in die andere Richtung ausgelagert werden, weil sien nicht mehr genug ausgebeutet werden können – obwohl sich die Pflegekonzerne| Pflegeheime mit den Pflegeversicherungs-Zahlungen die Taschen vollstopfen und so für die Pflegenden und die zu Pflegenden nichts mehr übrig bleibt, um davon zu leben oder menschenwürdig gepflegt zu werden.

    Und wir lassen es zu



    und lassen es zu



    und lassen es zu.

    Wie lange wollen wir noch still halten?

    Die Daseinsvorsorge gehört in die öffentliche Hand!

    Alles das, was alle brauchen, Energieversorgung, Lebens(!)mittel, Sozialsystem, ÖPNV, Gerichtsbarkeit, Gefängnisse (in den USA längst ein Geschäftsmodell! – ober-gruselig), Krankenhäuser, Pflege, KiTas, Wasserversorgung muss von der öffentlichen Hand aus gesteuert, angeboten, verteilt, zu zahlbaren Preisen für alle zur Verfügung gestellt werden.

    Was ist daran nicht zu verstehen?

    • 9G
      99663 (Profil gelöscht)
      @Frau Kirschgrün:

      @ frau kirschgrün - das frage ich mich auch schon lange. aber das zerebrale impfprogramm unserer oligarchenpresse versteht es offenbar immer wieder, die leute dazu zu bringen, massiv gegen ihre eigenen interessen zu wählen. geflüchteten zu helfen UND einen sozialen rechtsstaat für alle zu gestalten ist eben nur solange ein vermeintlicher widerspruch in sich als man ausblendet, dass es offenbar 60 mal mehr buchgeld auf dieser welt gibt als käufliche werte. das geld wäre da, man müsste es sich nur von den richtigen holen: transaktionssteuer, vermögenssteuer, erbschaftssteuer. stattdessen verramschen wir das tafelsilber der daseinsvorsorge.

      • @99663 (Profil gelöscht):

        Ja.



        Genau so sehe ich das.



        Sie sprechen mir aus der Seele.

        Und da die Medien ganz wenigen Reichen gehören, "gestalten" diese auch die wichtigsten Punkte dieser "Informationen", die eben keine Informationen mehr sind, sondern einigermaßen plausibel "erklärte" Eigeninteressen und Manipulationen der Reichen.

        Aber das darf frau|man ja hier nicht sagen…

        Wann unternehmen wir etwas dagegen?

        "Wählen allein hilft doch nicht weiter." (Volker Pispers)

  • @KARTOFFELSKEPTIKER – Teil 2

    Daran (Daseinsvorsorge) muss sich NIEMAND eine goldene Nase verdienen – das gehört ALLEN!

    Und es müssten die vorhandene Gesetze angewendet und verbessert werden, damit die Reichen endlich mal kapieren, dass auch sie Steuern zahlen MÜSSEN.



    Das ist kein Vorschlag, das ist vom Gesetz so vorgesehen.

    Fällt uns echt nichts anderes als Ausbeutung, Kolonialismus, Trickle-up, Ungerechtigkeit, Hass und Hetze ein? Über mehr Phantasie und Erfindungsreichtum verfügen wir nicht?



    Echt jetzt?

    BGE und Bürgerversicherung – nur mal so als kleine Hinweise für eine gerechtere Welt|ein gerechteres Land….

    Und es geht wie immer NUR um den Willen, das auch umzusetzen – um nichts anderes. Niemensch müsste hungern, niemensch arm sein, niemensch müsste um sein hart erarbeitetes Eigentum zittern.

    Das, was sich die Reichen einfach so leistungslos eingesteckt haben, muss zurückgeholt werden – dadurch nagen die nicht am Hungertuch!

    Die besitzen um so unvorstellbar viel mehr als ein Mensch mit ehrlicher Arbeit jemals verdienen kann, dass es einfach an der Zeit ist, das „Geklaute“ wieder rauszurücken. Meinetwegen in Raten verteilt auf fünf oder zehn Jahre…

    Aber da ja alle alles glauben, was die Medien, die ganz wenigen Reichen gehören, so verbreiten, kann anscheinend auch unsere Demokratie dagegen nichts mehr ausrichten…

  • 9G
    99663 (Profil gelöscht)

    ich habe erst jetzt die anderen kommentare gelesen und bemerkt, dass ich mich korrigieren muss: wir diskutieren offenbar jetzt schon ernsthaft darüber.

  • 9G
    99663 (Profil gelöscht)

    kumpanei, haut ab... rabenschwarze satire, chapeau! das erschreckende ist: in spätestens zehn jahren werden wir das gesamtgesellschaftlich ernsthaft diskutieren. vielleicht sind dann teile afrikas auch schon wieder offizielle schutzgebiete. exportschlager: humankapital. früher hieß das mal sklaverei.

  • Vorschlag: Wir nehmen das Geld wo es ist und leiten es um.



    Vermögenssteuer, Erbschsftssteuer, höhere Spitzensteuersätze, Weg mit den Bemessungsgrenzen...

    Alles mögliche Lösungen, nur dafür muss mann die Machtfrsge stellen. Das ist leider nicht so bequem.



    Schade aber auch.

  • Herr Mathias Greffrath,

    für den Fall, das dieser Artikel unter "Wahrheit" stehen sollte – geschenkt und m. E. nicht wirklich witzig.

    Für den Fall, dass Sie das ernst meinen – blankes Entsetzen (thailändische Einrichtungen gibt's ja schon…)

    Sie möchten also im Alter entwurzelt und nach Afrika abgeschoben werden. Schön, Sie können das auch alleine mit Ihrer Familie "stemmen", wenn das da alles so billig ist.

    Merken Sie nicht, dass Sie Menschen wie Alt-Eisen behandeln, rein über Kostenfaktoren abgerechnet?

    Und Sie vergessen dabei, dass Sie wieder ein Trickle-up-Geschäftsmodell mit Abzockmöglichkeiten schaffen würden. Von der Umweltbelastung durch zusätzliche Flüge mal ganz abgesehen.

    Jetzt wollen Sie nicht nur unseren giftigen Elektroschrott zur Vergiftung der "südlichen" Bevölkerung exportieren sowie Altkleider zur Zerstörung der heimischen Textilherstellung dort und die Hänchenschenkel, die bei uns keiner für essenswert hält?



    Nein, jetzt werden auch noch alte Menschen in die "südliche" Hemisphäre exportiert, weil sie ja hier einen Kostenfaktor darstellen.

    Sie haben aber schon ein leicht krudes Menschenbild, oder?! Selbst wenn das ein Witz sein sollte…

    Wenn du etwas über ein Land erfahren willst, sieh dir an, wie sie mit ihren Kindern und ihren Alten umgehen.

    Ich würde sagen: hundert Punkte!^^

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    'Synergie' gehört seit vielen Jahren zu meinen persönlichen Unworten. Nicht, weil ich etwas gegen wirkliche Synergieeffekte hätte. Als gelernter Pädagoge habe ich stets nach solchen gestrebt, ohne das Ganze durch einen beladenen Überbau zu überfrachten.

    Die seit langem zu beobachtende inflationäre Einführung solch hochtrabender Begriffe ('win-win- Situation' an vorderster Front) zieht in erster Linie den Effekt der euphemistischen Verkleisterung und Verschwurbelung gesellschaftlicher Realitäten nach sich.

    Davon profitieren ausschließlich die Nutznießer gesellschaftlicher und sozialer Ungleichheit. Der Rest gewinnt absolut nichts.

  • Pflegemigration als Lösung? Nette Idee. Schade, dass dann die Mutter /Vater /Oma /Opa kaum noch CO2 arm besucht werden kann. Die meisten Pflegebedürftigen sind durchaus noch an ihren früheren Einbindungen und an Kommunikation interessiert.

    Und ob durch den Vorschlag soviele Wohnungen frei werden, wäre auch zu hinterfragen. Schliesslich würden die Wohnungen bei einer durchschnittlichen Verweildauer in der Pflege von drei Jahren auch frei, nur halt drei Jahre später, bzw. der Effekt müsste jetzt schon zu messen sein.

    Aber der dritte Effekt, der wäre sich zu erreichen, mehr Geld im Süden. Auch wenn es etwas neokolonial anmutet, dass südliche Ärme, wenn auch freiwillig, nördliche Ältere versorgen sollen.