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Juristen-Gutachten zu G20-PolizeieinsatzBitte kurz mal entmummen

Polizisten, die sich unter Demonstranten mischen, müssen die Demo-Leitung informieren. Das sagt der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages.

Vermummte Polizisten im Schwarzen Block: Bitte bei der Demoleitung melden! Foto: Miguel Ferraz

HAMBURG taz | Es hätte alles ganz ganz anders laufen müssen. Die vier sächsischen Polizeibeamten und all ihre zivilen Kollegen, die sich auf der Welcome-to-Hell-Demo während des G20-Gipfels vermummten und sich als „Tatbeobachter“ unauffällig in den Schwarzen Block mischten – sie hätten erst mal den Demo-Anmelder, den Aktivisten der Roten Flora, Andreas Blechschmidt, im Demo-Getümmel ausfindig machen müssen.

Alsdann hätten sie ihre Vermummung kurz abnehmen, sich per Dienstausweis als Polizisten ausweisen und Blechschmidt Sinn und Zweck ihres Einsatz erläutern müssen. Anschließend hätten sie sich wieder die Tücher vor die Nase ziehen dürfen – aber nur bis zu dem Zeitpunkt, als die Polizeiführung erstmals drohte, den Demo-Zug nicht von der Stelle zu lassen, weil diverse TeilnehmerInnen gegen das Vermummungsverbot verstießen. In diesem Moment hätten die Beamten die Maskerade sofort beenden und sich ihre Tücher vom Gesicht reißen müssen.

Nur so wäre der verdeckte Einsatz der Zivilbeamten zweifelsfrei rechtmäßig gewesen. Die Institution, die das sagt, ist linksradikaler Bestrebungen unverdächtig: Es sind die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages. Die legten jetzt auf Anfrage des Linken-Abgeordneten Andrej Hunko eine juristische „Ausarbeitung“ zum „Einsatz nichtuniformierter Polizisten bei Versammlungen“ vor und nehmen dabei explizit auf die Welcome-to-Hell-Demo am 6. Juli 2017 Bezug. Die neunseitige Expertise enthält drei Kernaussagen.

Erstens: „Vermummen sich Polizisten, um sich getarnt unter vermummten Versammlungsteilnehmern bewegen zu können, verstoßen sie nicht gegen das Vermummungsverbot und erfüllen nicht den Straftatbestand.“ Allerdings so heißt es weiter, „darf der Staat jedoch in keinem Fall unmittelbar durch seine Beamten oder mittelbar durch sie als Agents Provocateurs einen Grund für die Auflösung einer Versammlung schaffen. Hierin läge ein Verstoß gegen die Versammlungsfreiheit“, lautet die zweite Kernaussage des Gutachtens.

Werden Polizeibeamte in eine öffentliche Versammlung entsandt, so haben sie sich dem Leiter zu erkennen zu geben

§ 12 Versammlungsgesetz

Doch genau das scheint auf der Welcome-to-Hell-Demo passiert zu sein. Nach einer unbedachten, weil nicht von seiner eingeschränkten Aussagegenehmigung gedeckten Aussage eines sächsischen Polizisten vor Gericht, haben er und drei weitere sächsische Beamte sich bei der Welcome-to-Hell-Demo im Schwarzen Block aufgehalten und sich „ein schwarzes Tuch bis unter die Nase gezogen“ um nicht aufzufallen.

Weil aber diverse Demo-TeilnehmerInnen vermummt waren, hatte die polizeiliche Einsatzleitung den Zug nicht einen Meter marschieren lassen – anschließend war es zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und den DemonstrantInnen gekommen. Wie viele Zivilbeamte sich getarnt unter die DemonstrantInnen mischten und ob sie ihre Vermummung nach Aufforderung ihrer uniformierten KollegInnen abnahmen, darüber verweigern die Hamburger Polizeiführung und die Innenbehörde bis heute jede Auskunft.

Auch ob es eine Anweisung der Einsatzleiter gab, sich in der Demo zu vermummen, ist nicht bekannt. Hamburgs Polizeisprecher Timo Zill räumte nur ein, dass es sich nur um eine „einstellige Zahl“ ziviler Tatbeobachter innerhalb des Welcome-to-Hell-Zuges gehandelt habe.

Verdeckte Einsätze quasi unmöglich

Im Klartext bedeutet die Bewertung der Wissenschaftlichen Dienste: Schickt die Polizeiführung vermummte Beamte auf eine Demo, kann sie sich bei einer Auflösung der Kundgebung nicht auf Verstöße gegen das Vermummungsverbot stützen, ohne die Rechtmäßigkeit der Auflösung in Frage zu stellen.

Die dritte Kernaussage der Abhandlung aber ist die brisanteste – sie macht einen Einsatz verdeckter Ermittler in einer Demo quasi unmöglich. „Werden Polizeibeamte in eine öffentliche Versammlung entsandt, so haben sie sich dem Leiter zu erkennen zu geben“, zitieren die Wissenschaftlichen Dienste das Versammlungsgesetz. Dies gelte „grundsätzlich für alle Polizisten“.

In der Praxis absurd

Die „Namen und Dienststelle“ müssten dem Demo-Anmelder genannt werden. In der Ausarbeitung heißt es: „Der Versammlungsleiter muss gerade die uniformierten Polizisten als solche erkennen, um ihr etwaiges Eingreifen nicht als Verhalten von Teilnehmern zu missdeuten“. Im Falle der Welcome-to-Hell-Demo war das nicht möglich. Er sei nicht angesprochen worden, sagt Blechschmidt.

„Dass sich vermummte Beamte gegenüber den Anmeldern ausweisen, ist in der Praxis absurd“, weiß auch der Linken-Abgeordnete Hunko. Er fordert deshalb „ein klares Verbot der Teilnahme verdeckt auftretender Polizisten auf politischen Versammlungen.“

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10 Kommentare

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  • Also theoretisch ist das juristisch sehr gut dargestellt, aber ansonsten ist das Fiktion. Natürlich werden Polizeibeamte und Geheimdienstmitarbeiter sich in Demos einfinden und dort ihrer Arbeit nachgehen.

     

    Selbst wenn das illegal ist. Denn: Wie soll das einklagbar sein? Wie kann ein Versammlungsleiter tatsächlich dagegen vorgehen?

     

    Die Frage, wann eine Demo gefährlich wird und aufgelöst werden muss, ist auch so eine Sache.

    • @Andreas_2020:

      „Die Frage, wann eine Demo gefährlich wird und aufgelöst werden muss, ist auch so eine Sache.“

       

      ... die man ja nur dann beantworten könnte, wenn eine Demo überhaupt erst mal starten konnte.

  • Die Polizei möchte sich einfach nur nicht vorwerfen lassen, sie hätte mal wieder keine „Präsenz“ gezeigt. Leider konnte ihre „Präsenz“ in Hamburg nicht zu einem Mehr an „Sicherheit“ beitragen - nicht einmal gefühlt «(º¿º)»

  • in Zukunft wird es weiter vermummte Anstiffter geben... nur halt werden die vor Gericht halt lügen

  • 'ha ha... der Text ist ja köstlich ! FrauMann stelle sich vor, das ca. 10% der Demoteilnehmer sichtbar markiert wären als `undercover´ Polizisten.. dann wäre die politisch intendierte Rolle von "agent provocateurs" des Hamburger Senats unmöglich- und dieser gesamte G20 "Gewalt Affen Zirkus" politisch intendierter Eskalation wäre nicht geschehen.. Meine Güte..

  • Verdeckte Polizisten können auch ein Schutz für eine Demo sein und die Übernahme durch andere Gruppen oder die Unversehrtheit von Demonstranten und Kindern sichern. Eine Demo wird nur dann genehmigt, wenn sie legale Ziele verfolgt. Diese in Zusammenarbeit von Demoleitung und Polizei zu erreichen, scheint mir keineswegs absurd! Dass Demonstranten und Polizei Gegenspieler seien, ist eine Annahme, die bereits davon ausgeht, dass der Rechtsstaat inexistent ist. Der Missbrauch von Exekutive und Rechtsstaat bedeutet nicht, dass jeder vernünftige Gebrauch unmöglich wäre. Die Vorgänge in Hamburg werden von einem der erfahrendsten Politiker und Minister Deutschlands verantwortet: Olaf Scholz. SPD-Wähler sollten sich sehr genau überlegen, was sie da tun!

    • @EricB:

      ... und Kühe können auch fliegen, Elefanten können Bienen züchten, Judith Rakers die Mathe-Olympiade gewinnen.

      Man muss nur dran glauben. Der Glaube versetzt Berge!

    • @EricB:

      Also bitte. Das ist genau das Gegenteil von dem was wir haben und wie es richtig ist. Nicht die Polizei entscheidet, was eine Versammlung ist. Es muss auch nichts genehmigt werden. Wo kämen wir denn dann hin? Dann wären die VersammlungsFREIHEIT sofort eingeschränkt. Versammlungen sind Grundpfeiler der Demokratie und Grundgesetz und Versammlungsfreiheit sind in erster Linie Abwehrrechte gegenüber dem Staat. Leute wie du verdrehen die Interessen der Polizei vollkommen.

  • Der vermummte Polizist - Freund und Helfer... der Justiz

     

    
Diese Praxis, politisch motivierte Gewalttaten mittels agents provocateurs zu inszenieren, gehört seit jeher zur Grundausstattung im Werkzeugkasten der politischen Polizei. Umberto Eco hat dies sehr plastisch am Beispiel Frankreichs Ende des 19. Jhs. beschrieben:

„Ein guter Agent der Nachrichtendienste ist verloren, wenn er in etwas bereits Geschehenes eingreifen muß. Unser Metier ist, dafür zu sorgen, daß es früher geschieht. Wir geben nicht wenig Geld dafür aus, Tumulte auf den Boulevards zu organisieren, Dazu braucht man nicht viel, ein paar Dutzend entlassener Zuchthäusler und einige Polizisten in Zivil genügen, sie plündern drei Restaurants und zwei Bordelle, auf den Lippen die Marseillaise, zünden ein paar Zeitungskioske an, dann kommen die Unseren in Uniform und verhaften sie alle nach einem Anschein von Handgemenge.“ („Der Friedhof in Prag“, S. 254)

    • @Reinhardt Gutsche:

      Daraus erschließt sich auch warum Einsatzleiter Dudde, in einer PK kurz vor der Demo, so überzeugt war, seine aufgebotenen "Einsatzmittel" auch einzusetzen.