Elbphilharmonie feiert den Kaukasus: Aus Versehen doch politisch
Das Festival „Kaukasus“ in der Elphi spart den Armenier-Genozid aus, feiert alte christliche Gesänge und ignoriert die Rolle der orthodoxen Kirchen.
Ganz so unpolitisch, wie Elbphilharmonie-Programmkoordinatorin Barbara Lebitsch sagt, ist das Programm dann auch gar nicht. Das fängt damit an, dass man Ensembles aus Armenien, Georgien und Aserbaidschan einlud, nicht aber Musiker aus dem russischen Teil des Kaukasus.
Außerdem hat man zwar Kirchenchöre, Orchester und Volksmusik-Ensembles aus besagten Ländern hergebeten, die teils auch gemeinsam auftreten – doch die wichtigste Komponente fehlt: ein gemeinsames Konzert der seit Langem verfeindeten Armenier und Aserbaidschaner. Dabei sind sich – streng „off the records“ – alle Beteiligten einig, dass Musik eine politische Aussöhnung gut vorwegnehmen könnte.
Aber das ist wohl nicht gewollt, und so wird der aserbaidschanische Volksmusik-Sänger Alim Qasimov, Virtuose des hochkomplexen Melodie- und Intonationssystems „Mugham“, eben allein auftreten.
Das ist schade. Richtig ist aber auch, dass ein Aserbaidschaner, der mit Armeniern musizierte, Repressalien fürchten müsste. Gut erinnerlich ist noch der Fall des aserbaidschanischen Autors Akram Aylisli, der vom gefeierten Helden zum Volksfeind wurde, nachdem er 2012 über ein anti-armenisches Pogrom in Baku während der Kämpfe um Berg-Karabach geschrieben hatte. Eine Welle nationalistischen Hasses brach los, Aylisli wurde von Politikern bedroht und floh schließlich in die Türkei.
Es bleiben harmlose Crossovers
So gesehen ist verständlich, dass die Elbphilharmonie dieses Risiko nicht eingeht. Aber man hat Alim Qasimov nicht einmal gefragt, ob er mit Armeniern auftreten möchte; vielleicht hätte er es ja riskiert. Und Lebitschs Argument, Qasimov könne nicht mit Armeniern musizieren, weil die arabisch geprägte Mugham-Musik Aserbaidschans anderen Gesetzmäßigkeiten folge, trägt nur bedingt: Hamburgs Hochschule für Musik und Theater hat jüngst in einem Flüchtlingsprojekt bewiesen, dass dieser Crossover jedenfalls im Jazz gut gelingt. Vielleicht hätte auch die Elbphilharmonie für Qasimov einen musikalischen Partner suchen können.
Das "Kaukaus"-Festival in Hamburgs Elbphilharmonie findet statt vom 28.3. bis zum 3.4.
Aber man tat es nicht, und so bleiben einige harmlosere Crossovers, etwa zwischen dem armenischen Gurdjeff- und dem syrischen Hewar-Ensemble. Hintergrund dieser – erstmaligen – Kooperation ist, dass etliche Armenier während des Genozids in Syrien Zuflucht fanden. Heute flüchten Syrer nach Armenien, und diese wechselseitige Solidarität ist den Musikern Anlass für ein Erinnerungs- und Dankeskonzert. Diese Kooperation ist politisch unspektakulär und musikalisch unproblematisch, birgt armenische Volksmusik doch viele arabische Elemente.
Auch dass der Armenier Ruben Gazarian das – gleichfalls geladene – georgische Kammerorchester Ingolstadt dirigiert, bedeutet keine Revolution. Er fühlt sich wohl in seiner Rolle, die Mentalitäten sind ähnlich, die Völker befreundet.
Mutig war allerdings die Einladung des georgischen Aznash-Ensembles aus dem tschetschenisch bewohnten Pankisi-Tal. Dieses Tal gilt seit Langem als Transitstrecke für Drogen- und Waffenhandel. Als der „Islamische Staat“ dort immer mehr Jugendliche rekrutierte, wehrten sich die Bewohner und schrieben ans Parlament in Tiflis – mit Erfolg. Seither ist weitgehend Ruhe. Zusätzlich haben sich Frauen aus der Gegend zusammengeschlossen, um soziale Projekte aufzubauen und an positive Traditionen zu erinnern. Zu ihnen zählen die Frauen des Aznash-Ensembles, die uralte Gesänge aufführen.
Die Frauen werden im kleinen Saal der Elbphilharmonie auftreten, und Bedenken, dass es zu exotistisch werden könnte, hegt Planerin Lebitsch nicht. „Dieser Saal ist sehr intim; auch in unserer Reihe „Klassik der Welt“ erleben wir immer wieder, wie schnell zwischen den Musikern und dem Publikum große Nähe entsteht.“
Sakrale Gesänge jazzig umgedeutet
Diese Nähe wird es beim Konzert des Yerevan State Chamber Choir mit dem armenischen Pianisten Tigran Hamasyan nicht geben. Dafür ein spannendes Crossover, wenn der Pianist Sequenzen aus dem liturgischen Chorgesang aufgreift und jazzig umdeutet. Und der Gesang dieses Chors wie auch der des gleichfalls geladenen armenischen Geghard-Chors: virtuos, mystisch und ergreifend.
Darüber dürfe man aber nicht vergessen, sagen Insider, welch restriktiven Kurs die armenisch-orthodoxe Kirche seit dem Ende der Sowjetunion fahre. Die Kirche sei inzwischen „korrupt, nationalistisch und schottet sich ab“, sagt auch Komponist Ulrich Klan. Er hat zum Gedenken an den Armenier-Genozid das Trio „in der wüste“ geschrieben.
Das Stück wurde nicht zum Kaukasus-Festival geladen, und auch nicht das – dem Völkermord geltende – Requiem des armenischen Komponisten Tigran Mansurian. Doch anstatt diese Polit-Abstinenz zu begründen, sagt Lebitsch nur: „Uns und den teilnehmenden Musikern lag daran, vorrangig Werke von Komponisten aus den jeweiligen Ländern zu präsentieren.“
Aber immerhin hat man die georgische Autorin Nino Haratischwili gebeten, eine Text-Musik-Collage im Stil des traditionellen georgischen Supra-Mahls zu schaffen, bei der die Zuschauer mit speisen. Sie hat es getan – und das patriarchiale Ritual feministisch hinterfragt und konsequent aus weiblicher Perspektive betrachtet.
Georgische Autorin kritisiert Rolle der Kirche
In puncto Kirche stehe Georgien im Übrigen nicht besser da als Armenien, sagt sie: „Auch in Georgien hat die Kirche seit der Perestrojka enorm an Macht gewonnen. Sie fährt einen totalitären Kurs und ist nicht an gesellschaftlichem Fortschritt interessiert“, sagt Haratischwili. „Das sieht man an der Haltung zur Rolle der Frau und an der Verteufelung von Homosexuellen und Minderheiten.“
Angesichts dessen ist man überrascht, dass die Elbphilharmonie-Programmplanerin Lebitsch so unbedarft von den alten liturgischen Gesängen und Skripten schwärmt, die derzeit wieder ausgegraben würden. „Da findet eine Wiederbelebung statt, die viel mit der Suche nach der eigenen Tradition und also auch mit Spiritualität zu tun hat“, sagt sie.
Nino Haratischwili hält diese Spiritualität für vorgeschoben. „Alle Politiker, die seit der Unabhängigkeit in Georgien an die Macht kamen – und ich bezweifel, dass die alle so gläubig sind –, haben die Kirche als Legitimation benutzt und ihr viele Privilegien zugestanden“, sagt sie.
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