: Verbrecherisches Akronym
Weil sie ein T-Shirt mit der Aufschrift „A.C.A.B“ getragen hat, steht am Mittwoch eine Frau vor Gericht
Von Andreas Speit
Zwischen dem Park Fiction und der Roten Flora ist das Akronym allgegenwärtig: „A.C.A.B.“ steht an Hauswänden, auf Litfaßsäulen und Kapuzenpullovern. 750 Euro soll das offene Tragen der Abkürzung, die für „All cops are bastards“ steht, nun kosten. Am Mittwoch beginnt vor dem Amtsgericht Altona ein Verfahren gegen eine Verkäuferin des kleinen Bio-Ladens „Obst & Gemüse“ am Hein-Köllisch-Platz. Die Staatsanwaltschaft beschuldigt sie, ein T-Shirt mit dem Buchstabenkürzel getragen zu haben.
Zu dem Vorfall, auf den Anzeige folgte, kam es kurz nach dem G 20-Gipfel. Das Bio-Laden-Kollektiv im Souterrain eines Altbaues musste die Feuerwehr rufen, weil von der Fassade des mehrstöckigen Gebäudes Steine gefallen waren. Mit der Feuerwehr kam auch die Polizei. Eine Beamtin und ein Beamter sperrten das Gefahrengebiet mit rot-weißem-Plastikband ab. Die Beschuldigte hatte da gerade Feierabend. „Ich saß auf dem Platz vor unserem Laden und schaute zu“, sagt sie. Am Morgen hatte sie ein verwaschenes schwarzes T-Shirt mit dem umstrittenen Akronym angezogen. Für den Beamten war das offenbar eine Provokation.
Die Verkäuferin schildert, wie der Beamte auf sie zugekommen sei, auf das T-Shirt gezeigt und gesagt habe, er fühle sich persönlich beleidigt. Er habe ihre Personalien verlangt und angekündigt, sie anzuzeigen.
Darin heiße es nun, so berichtet die Verkäuferin, dass sie sich ständig um die Polizisten herum bewegt habe, um provozierend ihr T-Shirt zu zeigen. „Das ist Quatsch“, sagt die Beschuldigte. „Ich habe eine geraucht und mal geschaut, was vor unserer Ladentür passiert.“
Sie habe nicht damit gerechnet, dass das Tragen des T-Shirts strafrechtliche Konsequenzen haben könnte. Doch erst kam die Anzeige, dann der Strafbefehl von 750 Euro. „Und dann dachte ich, ich zahle nicht“, sagt die Verkäuferin.
In den vergangenen Jahren haben Polizeibeamte öfters Anzeigen wegen des Akronyms gestellt. Vor fast 18 Jahren entschied das Amtsgericht Tiergarten in Berlin, dass das Tragen eines Bekleidungsstück mit „A.C.A.B.“ höchstens eine Beleidigung eines Kollektiv sei. Im Jahr 2013 sollte ein Fan des FC Bayern München 3.000 Euro Strafe zahlen, weil er die Buchstaben auf einer Hose trug. Er ging vor das Bundesverfassungsgericht und bekam Recht: Die Karlsruher Richter entschieden am 17. Mai 2016, wer das Kürzel öffentlich zur Schau stellt, macht sich nicht wegen Kollektivbeleidigung schuldig. Die „Kundgabe der Buchstabenkombination ‚A.C.A.B.‘ im öffentlichen Raum“ sei „vor dem Hintergrund der Freiheit der Meinungsäußerung nicht ohne weiteres strafbar“.
Die Verkäuferin des Bio-Ladens hofft, dass das auch für ihren Fall gilt. Sie sagt: „Ich hoffe, dass bei den Sicherheitsbehörden langsam wieder Gelassenheit einkehrt.“
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