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Zwei Sachbücher über RassismusSchwarze Teufel und weiße Seelen

Der US-Historiker Ibram X. Kendi und der Soziologe Wulf D. Hund tragen in ihren Werken Grundsätzliches zur Geschichte des Rassismus zusammen.

Ibram Kendi stellte in seiner Studie die Widmung „To the lives they say don’t matter“ voran Foto: David Massey

Der Begriff „Rassismus“ ist eine Wortschöpfung aus der Zeit des deutschen Nationalsozialismus. Er wurde von exilierten deutschen, französischen und angloamerikanischen AutorInnen verwendet, um den NS-Rassenbegriff zurückzuweisen. Bereits im Zeitalter des Kolonialismus existierte rassistisch motivierte Ausgrenzung. Rassismus will uns glauben machen, es gäbe unterschiedliche „Rassen“. Jahrhunderte davor begründete die Wahrnehmung von Hautfarben keine spezifische Differenz, andere Kriterien wie Religion oder Kultur dienten zur Diskriminierung „des Anderen“.

Im 17. Jahrhundert führte der britische Philosoph John Locke Beispiele an, warum seiner Meinung nach Weißsein und Weisheit zusammenfallen würden, fortan symbolisierte weiße Hautfarbe Überlegenheit.

Eine Klassifizierung der Menschheit nach „Rassen“ ergibt auch biologisch keinerlei Sinn. Sinnvoll aber ist, wie Ibram X. Kendi in seiner großen Studie „Gebrandmarkt. Die wahre Geschichte des Rassismus in Amerika“ belegt, „Ethnien zu bestimmen“. Der in der US-Hauptstadt Washington lehrende Historiker definiert Schwarze darin als „Ansammlung von Gruppen, die sich durch Geschlecht, ökonomische Schicht, Volkszugehörigkeit, Sexualität, Kultur, Hautfarbe, Beruf und Nationalität“ von anderen ethnischen Gruppen unterscheiden.

Seinem Buch ist die Widmung „To the lives they say don’t matter“ vorangestellt. Kendi verfasste „Gebrandmarkt“ in den Jahren 2015 und 2016, zu jener Zeit häuften sich Tötungen von Schwarzen in den USA durch die Polizei, Auslöser für die Protestbewegung „Black Lives Matter“ und zusätzlicher Antrieb für „Gebrandmarkt“. Dass Schwarze häufiger als Weiße Opfer von Schusswaffen werden, ist nicht neu. Neu war seinerzeit, dass einige dieser Tötungen durch Handykameras gefilmt wurden und in den sozialen Medien Aufmerksamkeit erhielten. Kendi sieht eine Analogie zwischen den Opfern der jüngsten rassistisch motivierten Gewalttaten an Afroamerikanern und den Sklaven, die gewaltsam in die Vereinigten Staaten verschleppt wurden.

„Ethnische Diskriminierung führte zu rassistischen Ideen, die Unwissenheit und Hass mit sich brachten“, erklärt Kendi die Kausalitätskette, wie es sie von Beginn der nun 242-jährigen Existenz der USA gegeben hat. Kendi führt auf, wie die Behauptung unterschiedlicher „Rassen“ systematisiert und kategorial gemacht wurde. Anhand von fünf Hauptzeugen, dem puritanischen Prediger Cotton Mather (1663–1728), Thomas Jefferson (1743–1826), dem dritten US-Präsidenten (und Sklavenhalter), dem weißen Antisklaverei-Aktivisten William Lloyd Garrison (1805–1879), dem schwarzen Bürgerrechtler und Soziologen W. E. B. Du Bois (1868–1963) und der Philosophin und Black-Panther-Aktivistin Angela Davis (geboren 1943), legt er „Gebrandmarkt“ an.

Nicht nur physische Gewalt

Der 35-jährige Kendi, der in einem Black-Power-Elternhaus im New Yorker Bezirk Queens aufgewachsen ist, trägt damit Grundlegendes über Ursachen, Logik und Verlaufsgeschichte des Rassismus gegen Schwarze in den USA zusammen. Auf mehr als 600 Seiten tut er das dem komplexen Thema entsprechend ausführlich. In einem Prolog beschreibt er zunächst seinen Forschungsgegenstand: Rassismus stellt für ihn nicht nur physische Gewalt dar, er ereigne sich auch als Benachteiligung, Diffamierung und Herabminderung schwarzer Menschen in Vorstellungen und Gedanken jeder Art.

Die Bücher

Wulf D. Hund: „Wie die Deutschen weiß wurden. Kleine (Heimat)Geschichte des Rassismus“. J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2017, 211 Seiten, 19,99 Euro.

Ibram X. Kendi: „Gebrandmarkt. Die wahre Geschichte des Rassismus in Amerika“. Aus dem Amerikanischen von Susanne Röckl und Heike Schlatterer. C. H. Beck Verlag, München 2017, 604 Seiten, 34 Euro.

Die fixe Idee, dass Schwarze weniger wert seien als andere ethnische Gruppen, situiert Kendi zuerst im Europa des 15. Jahrhunderts. Von dort sei diese Behauptung durch die ersten britischen Siedler in die neue Welt gebracht worden und habe sich bis in die aktuelle Zuschreibung von schwarzen alleinerziehenden Müttern als „welfare queens“ und schwarzen Männern als „Schwerverbrechern“ hartnäckig gehalten.

„Gebrandmarkt“ mag als Buchtitel reißerisch klingen, Kendi hat diesen Begriff einer Rede des Südstaaten-Politikers Jefferson Davis entnommen. Davis, Anhänger von „strikter Rassentrennung“, hielt sie unmittelbar vor dem US-Bürgerkrieg im Jahr 1860. „Die Ungleichheit der weißen und schwarzen Rasse ist ein Brandmal von Geburt an“, hatte Davis konstatiert, um gegen die Finanzierung von Bildungseinrichtungen für Schwarze Front zu machen. Kendi fördert bekannte und entlegene Zitate zutage. Er zitiert aus politischen Dokumenten, aus der US-Verfassung, aus Zeitungsartikeln, Romanen und Filmen und ordnet dieses Material auch in den Kontext der jeweiligen Zeit ein.

Methodisch besticht „Gebrandmarkt“, weil Kendi seine Chronologie stringent nach drei Erklärungsmustern aufteilt: Segregation, Assimilation und Antirassismus sieht er in allen Epochen am Werk. Wo Segregationalisten eine strikte „Rassentrennung“ befürworten und Schwarze für die Ungleichheit eigenverantwortlich machen, führen Antirassisten die ethnische Diskriminierung als Ursache an, während die Assimilationisten Argumente beider Seiten bedienen.

Denkmuster im Zeitalter der Aufklärung beinhalten gleichzeitig Fortschrittliches und Menschenverachtendes

Differenziert beschreibt Kendi, wie Denkmuster im Zeitalter der Aufklärung Fortschrittliches und Menschenverachtendes gleichzeitig beinhalten. Die Gründerväter der USA bedienten sich in ihrer Legitimation der Sklaverei etwa bei Aristoteles und seiner Klimatheorie, in der er die Überlegenheit der alten Griechen über afrikanischen Sklaven als Auswirkung hoher Temperaturen ansah: Dadurch hätten Sklaven „verbrannte Gesichter“. Eine besondere Gewalttätigkeit der Sprache zieht sich durch alle Erklärungsmuster: Beim tief religiösen Prediger Cotton Mather, der Sklaverei damit rechtfertigte, dass sie „gottgewollt“ sei, kommt es zur Dichotomie: Den „schwarzen Teufeln“ läge „eine weiße Seele“ zugrunde, behauptete Mather. Schönheit würde allein durch die Farbe Weiß symbolisiert.

Mitte der 1980er Jahre gab es in der Amtszeit des republikanischen US-Präsidenten Ronald Reagan den rassistisch gefärbten Diskurs, Schwangerschaften alleinstehender schwarzer Teenager seien durch Sozialhilfe verursacht. Dem hielt die Philosophin Angela Davis entgegen, die Geburtenrate verheirateter schwarzer Mütter sei seit den 1960ern gesunken, während die Zahl von schwangeren schwarzen Teenagern seit den 1920er Jahren praktisch gleich geblieben sei.

„Schwarz ist schön und hässlich, intelligent und unintelligent, Schwarze befolgen Gesetze und verstoßen dagegen, sie sind fleißig und faul – diese Unvollkommenheit ist menschlich und bei allen Menschen anzutreffen“, schreibt Ibram X. Kendi.

Die falsche Vorstellung unterschiedlicher „Rassen“ steht auch am Anfang von „Wie die Deutschen weiß wurden. Kleine (Heimat)Geschichte des Rassismus“, einer Studie des Hamburger Soziologen Wulf D. Hund, die sich als Komplementärlektüre zu Kendis „Gebrandmarkt“ eignet. Darin schreibt der 72-Jährige, „von Natur aus gibt es weder Rassen noch Weiße. Sie sind ideologische Kopfgeburten der europäischen Expansion und mit Hilfe kolonialer Gewalt zur Welt gekommen, ehe sie im 18. Jahrhundert von der Aufklärung […] zu wissenschaftlichen Kategorien gemacht wurden.“

Hund geht in seiner Studie vor allem der Frage nach, wie die Deutschen weiß wurden, und welche Formen von Rassismus sie dabei in ihr Selbstbild integriert haben. Antisemitismus, das belegt Hund mit Beispielen aus dem Mittelalter, war die älteste Form von Ausgrenzung und Diskriminierung. Wie es Schwarzen erging, zeigt sich dann in einem Beispiel aus der Sphäre der schönen Künste: Wie in dem um 1750 entstandenen Gemälde „Henriette Karoline von Hessen-Darmstadt mit Diener“ porträtierte der Maler Antoine Pesne mit Vorliebe Vertreter des Adels zusammen mit schwarzen Dienern und machte daraus ein Sujet, indem er den hellen Teint der Adeligen ästhetisch herausstellte und so den Exotismus der Schwarzen betonte. Mit dieser Strategie brachte es Pesne sogar zum preußischen Hofmaler. „Heimat bezeichnet einen historischen Ort, an dem der Rassismus ­länger heimisch war als die Deutschen.“

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3 Kommentare

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  • Wieder einmal eine eurozentrische Betrachtungsweise, erweitert auf die USA. Rassismus und Sklaverei gab und gibt es in vielen Kulturen. In den Barbareskenstaaten waren Weiße nur Handelsgut in Japan werden alle Nichtjapaner noch heute als unterlegen angesehen. Letztendlich ist also nur eine Ausschnittsbetrachtung versucht worden, ein großer Wurf sieht anders aus.

  • Meine Erfahrung auf den vielen Reisen in andere Länder war, daß es neben prima gastfreundlichen und herzlichen Menschen auch überall Arschlöcher gibt. Weiße, schwarze, braune, gelbe usw. Daß hierzulande alle immer nur den eigenen Rassismus ihrer Landsleute feststellen, finde ich merkwürdig und erstaunlich. Das sollte man mal wissenschaftlich untersuchen.

  • Es passt in die heutige Zeit, alles schön kulturhistorisch und feuilletonistisch zu sehen und ökonomische Aspekte auszublenden. Aber erst kommt der ökonomische Nutzen aus der Ausbeutung oder Verslavung anderer und dann dessen ideologische Rechtfertigung.

    Wikinger hatten kein Problem damit, Menschen gleicher Hautfarbe als Sklaven zu verkaufen, Araber auch nicht. Erst aufgeklärte Individuen suchten sich dann Afrikaner*innen als menschliche Maschinen, als Ware und mussten sich das moralisch zurechtlegen.